Mülheim. . Die Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) haben zu der von ihnen beklagten Geheimniskrämerei um die Einsparpläne im örtlichen Straßenbahnnetz einen ersten Kontrapunkt gesetzt. Sie holten einen entschiedenen Befürworter des Schienenverkehrs zum Vortrag.

Die Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) haben zu der von ihnen beklagten Geheimniskrämerei um die Einsparpläne im örtlichen Straßenbahnnetz einen ersten Kontrapunkt gesetzt: Bei einer Vortragsveranstaltung im Hotel Handelshof präsentierten sie mit Prof. Heiner Monheim einen entschiedenen Befürworter des innerstädtischen Schienenverkehrs.

Monheims Plädoyer für Mülheim: die Straßenbahn-Infrastruktur erhalten, modernisieren – ja sogar ausbauen!

Von den rund 70, 80 Zuhörern erntete der Verkehrswissenschaftler der Uni Trier, der sich als einer der schärfsten Kritiker der Massenmotorisierung und tragende Säule des Konzeptes der „sanften Mobilität“ einen Namen gemacht hat, immer wieder wohlwollenden Applaus. Etwa, wenn er sich mit Blick auf die Mülheimer Diskussion „Busse statt Bahnen“ wortgewaltig festlegte, dass mit „blindwütigen Rationalisierern“ niemals ein umweltfreundliches und stadtverträgliches Verkehrskonzept hinzubekommen sei.

Ausufernde Unwirtschaftlichkeit

Mülheims Stadtspitze glaubt, dass der Betrieb von Straßenbahnen maßgeblich ist für die ausufernde Unwirtschaftlichkeit des ÖPNV-Angebots. Allein 2010 sind 26,6 Mio Euro Defizit angelaufen, vergleichbare Großstädte ohne Straßenbahn kommen mit weitaus weniger Zuschüsse aus.

Die städtische Beteiligungsholding hat bisher keine Pläne zum Ersatz von Straßenbahnen durch Busse öffentlich gemacht, doch hat sie nach WAZ-Informationen der Politik bereits erste Vorstellungen präsentiert (wir berichteten): So ist angedacht, die Linie 110 (Friesenstraße-Hauptfriedhof) komplett einzustellen, die 104 könnte am Heuweg in Broich und am Hauptfriedhof gekappt werden, die 102 an der Haltestelle „Auf dem Bruch“ in Dümpten. Die 104, so der Verwaltungsaufschlag, soll künftig am Ev. Krankenhaus enden, dafür über die Leineweberstraße zum Hauptfriedhof rollen.

Renaissance der Straßenbahnen

Wie gesagt: Für Monheim sind in Mülheim „blindwütige Rationalisierer“ am Werk: „Was da geplant ist“, sagte er mit Blick auf die Renaissance der Straßenbahnen etwa in Frankreich, „ist absolut aus der Zeit.“ Die entscheidende Frage, die an den Beginn jeder Debatte über eine zukünftige Ausrichtung zu stellen sei, sei die, ob das bestehende Angebot überhaupt so gut ausgestaltet ist, um die Potenziale eines ÖPNV zu heben. Mit 17 % sei der Anteil des Mülheimer ÖPNV doch viel zu gering, „30 % wären angemessen“. Wer diese Quote nicht erreiche, müsse sich fragen, ob er mit seinem Angebot nah am Kunden sei, sprich: das Netz eng genug gespannt habe.

Die Saarner Kuppe kam zur Sprache, Diskussionsteilnehmer klagten über schlechte Verbindungen zwischen Speldorf und Styrum. Für Monheim reichte ein Blick auf die Liniennetzkarte der MVG, um sich festzulegen: Klar zu erkennen sei die historisch gewachsene sternförmige Ausrichtung der Straßenbahn-Linien – alles auf die City zu. Was fehle, seien Tangential- und Sektoralverbindungen, um mit einem engmaschigen Netz mehr Kunden einzufangen.

Mobilität in Etappen

Des Professors Quintessenz: „Mülheim ist gut beraten, sein Straßenbahn-Erbe zu bewahren und weiterzuentwickeln.“ Dazu müsse ein Konzept erarbeitet werden, das Mobilität in Etappen zerlege, bis hin zum zumutbaren Fuß- oder Radweg zur nächsten Haltestelle. Ein Blick etwa nach Wuppertal genüge, um zu erkennen, wie „ein intelligentes System“ aussehe. Dort seien kleine Quartiersbusse auf Strecken unter drei Kilometern unterwegs, um potenzielle Nahverkehrskunden besser an die Straßenbahn-Haltestellen anzubinden.

Netzaus- statt -abbau – wer soll das bezahlen? Für Monheim kein Thema, nicht nur wegen der möglichen Zunahme an Fahrgästen. Mit dem Straßenbahn-Ersatz durch Busse ist für ihn kein Geld zu sparen. Erstens, so die Erfahrung, breche dann die Nachfrage ein. Zweitens benötige man mehr Personal, um die gleiche Anzahl Menschen mit Bussen zu transportieren. Da die Personal- aber rund 65 % der Betriebskosten ausmachten, rechne es sich nicht.

ÖPNV-Zukunft ist elektrisch

Die ÖPNV-Zukunft zeichne sich durch Elektromobilität aus. Das könne Straßenbahn bieten. Im Übrigen, so merkte der per Metrorad zum Handelshof geradelte Monheim an: „Ich bin an vielen Straßenbahnwagen vorbeigefahren. So schlecht ist das hier nicht.“

Das freilich war der einzige Punkt, der im Publikum nicht unwidersprochen blieb . . .