Mülheim. Mit einer Reihe ungewöhnlicher Bitten wendet sich der Vorsteher des Mülheimer Finanzamtes, Manfred Winkler, an die Öffentlichkeit. Wegen hoher Arbeitsverdichtung dauere die Bearbeitungszeit der Steuererklärungen inzwischen bis zu sechs Monaten.
Täglich gehe eine hohe Zahl an Nachfragen von Bürgern ein, wo denn das Ergebnis der Steuererklärung bleibe – und damit nicht selten das Geld, sagt Winkler und stellt fest: Auch das verzögert.
Kein Land in Sicht
Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil, sagt Marc Kleischmann, Finanzbeamter und Vorsitzender der Steuergewerkschaft in Mülheim. Denn immer mehr Last werde den Finanzbehörden auferlegt mit der Folge: „Die Qualität leidet. Wo man früher noch einmal nachhakte, bleibt heute nicht die Zeit dazu“, sagt Kleischmann und schätzt, dass so in jedem Finanzamt eine größere Summe an Steuergeld verloren gehe. „Wir können nicht mehr als arbeiten“, sagt Winkler und bescheinigt seinem Team mit 225 Beschäftigen einen hohen Einsatz.
Doch was hilft’s, wenn jedes Jahr aufs Neue ein ganzes Bündel an Gesetzesänderungen in den Finanzämtern landet. Über das Gerede der Politiker in Sachen Steuervereinfachung können sie in den Ämtern nur noch den Kopf schütteln. „Allein die Veränderungen zur Krankenversicherung umfassen mehrere Seiten“, sagt Kleischmann. Ob Rentenbesteuerung, Entfernungspauschale, Arbeitszimmer – ständig Neuerungen, ständig neue Bögen. Die Fehlerquote steige, beim Bürger wie beim Beamten. Auch das bringe Verzögerungen.
Personal reduziert, Aufgaben erweitert
Doch nicht nur die Spirale der Gesetzesänderungen belastet die Mitarbeiter. Anfang 2000, sagt Kleischmann, habe es bei einem einfacheren Steuerrecht rund 30 Beschäftigte mehr in Mülheim gegeben. Die Mitarbeiter gingen, neue Aufgaben kamen, etwa auch von den Städten, die angesichts dortiger Personalreduzierungen froh sind, Arbeit loszuwerden. Haben sich bisher Städte und Finanzämter die Arbeit rund um die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte geteilt, ist heute die Kommune diesen Job Richtung Finanzamt los.
Versprochen war, so Kleischmann, dass die Automatisierung besser werde. Mehr Technik sollte den Menschen entlasten. Doch was zur Verfügung gestellt worden sei, reiche nicht. Dabei stieg gleichzeitig die Fallzahl an: Bei der Arbeitnehmer-Veranlagung von 2000 auf etwa 2700 Steuererklärungen, die jeder pro Jahr zu bewältigen habe. Und auch beim Gewerbe, so Kleischmann, waren es mal 1000 Erklärungen, die ein Mitarbeiter im Jahr zu bewältigen hatte, heute seien es an die 1600. Und es können noch mehr werden: Das Finanzamt weist eine hohe Krankenquote auf, acht bis zehn Prozent, so Winkler. Vor allem die Langzeiterkrankungen hätten zugenommen wie auch psychische Leiden. Eine Verbindung zu der Arbeitsbelastung liegt für den Vorsteher wie für die Steuergewerkschaft nahe.
Froh, wenn Personalstand gehalten würde
Mit mehr Personal rechnet man jedoch angesichts der Finanzlage des Landes nicht. „Wir wären froh“, so Kleischmann, „wenn der Personalstand gehalten würde. Und wenn es mal für ein paar Jahre Ruhe gäbe, keine wesentlichen Neuerungen in der Steuergesetzgebung.“
Wie das Finanzministerium erklärte, sei der hohe Arbeitsanfall in einigen Ämtern zu Jahresbeginn nichts Ungewöhnliches. Es gelte nicht: Je einfacher die Steuererklärung, desto schneller die Bearbeitung, so ein Sprecher des Ministeriums. „Es wird nach Eingang der Unterlagen vorgegangen.“ Die Oberfinanzdirektion will sich heute zu den Wartezeiten in Mülheim äußern.