Mülheim. . Seit zwei Jahren taucht NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft tageweise in den Alltag der Menschen ein. Nun war sie im Rahmen ihrer “Tat-Kraft-Tour“ in Mülheim unterwegs. Sie traf auf überschuldete Eltern, Arbeitslosigkeit und schulmüde Kinder.

Das Ganze hat etwas von einer politischen PR-Kampagne, wenn Ministerpräsidentin Hannelore Kraft vor den gut 300 Gästen im Festsaal der Stadthalle erzählt, wie sie bei ihrer „Tat-Kraft-Tour“ mit der Polizei nachts unterwegs war und die Beamten angesichts der wachsenden Aggressivität in der Gesellschaft bedauert, wenn sie vom Blutdruckmessen in einer Arztpraxis berichtet oder wie jetzt von dem Tag in Mülheim, an dem sie mit Sozialarbeitern Familien aufsuchte, denen es nicht so gut geht.

Idealer Film für Wahlkampf

„Ich komme jedes Mal ein Stück verändert von diesen Einsätzen zurück“, sagt sie und berichtet von der Offenheit der Menschen, von neuen Problemwelten, die sich ihr eröffneten. Seit zwei Jahren taucht sie tageweise in den Alltag der Menschen ein. Ein Film hält dies Stück für Stück als Erinnerung fest, zeigt Hannelore Kraft, die zuhört, die mit anpackt – es wäre ein idealer Film für einen Wahlkampf. Und doch ist die Tour viel mehr als das.

Raus aus den Raumschiffen Düsseldorf und Berlin – „ich kann nur jedem empfehlen, sich Zeit für solche Tage zu nehmen“, rät die Ministerpräsidentin und versichert, dass sie daraus viel für ihr politisches Handeln ziehe. „Wir können dabei gut unsere Inhalte hinterfragen.“

Sie erzählt, wie gewöhnlich Firmenbesuche von Spitzenpolitikern ablaufen: Die Geschäftsführer empfangen, führen Gespräche in abgeschotteten Zimmern, und am Ende gehe es für ein werbewirksames Foto noch durch die Montagehalle, wo der Politiker mal eben der Frau am Fließband die Hand schütteln darf. Dabei seien gerade auch das Menschen, mit denen Politiker reden sollten, deren Wirklichkeit oft eine ganz andere sei als die offiziell vermittelte.

Appell mehr in Vorbeugung zu investieren

In Mülheim ging es um die Familienhilfe, um überschuldete Eltern, um Arbeitslosigkeit, um schulmüde Kinder, um Väter und Mütter, die mit der Erziehung schlicht überfordert sind, trotz aller Mühen. „Ich habe in den Familien auch viel Liebe gegenüber den Kindern erlebt“, berichtet Hannelore Kraft und wirbt in der Stadthalle erneut für ihr zentrales Anliegen: Lasst uns mehr in die Vorbeugung investieren, um in späteren Jahren die hohen Reparaturkosten für gescheiterte Jugendliche zu senken. Diese Kosten steigen rasant und übersteigen inzwischen im Land jährlich die Milliardengrenze.

Für Hannelore Kraft ist Vorbeugung nicht nur eine soziale Aufgabe, sondern auch eine wirtschaftliche von immenser Bedeutung: „Wir werden künftig alle jungen Menschen brauchen.“ Keine Alternative sieht sie zu diesem Weg und weiß, dass er länger dauern wird als eine Legislaturperiode – und dass er teuer ist.

1,1 Milliarden Euro will Kraft in Bildungs- und Sozialarbeit investieren

1,1 Milliarden Euro will sie landesweit in diesem Jahr in diese vorbeugende Bildungs- und Sozialarbeit investieren, um weitere Familien-Netzwerke der Städte und der Wohlfahrtsverbände aufzubauen und zu fördern, wie sie sie in Mülheim vorfindet und lobt. Sie ist mit den Familienberatern überzeugt: Die Investition lohnt sich – auch zunächst auf Pump. In Mülheim, wo die Familienhilfe von mehreren Einrichtungen getragen wird, zeigen sich, wie Dieter Spliethoff, Sozialarbeiter und SPD-Ratsherr, darlegt, erste sichtbare Erfolge, auch statistisch.

Wo die nächste „Tat-Kraft“ denn stattfinde, wollen die Gäste wissen. Es geht in eine Suppenküche, antwortet die Ministerpräsidentin, was zur Finanzlage des Landes passt. Schmalhans. Und dann kommt doch noch die Frage nach möglichen Neuwahlen. Da bleibt sie gelassen: In dem jetzt vom Gericht gekippten Nachtragshaushalt sei ohnehin wenig von Rot-Grün drin gewesen. Altlasten also? Die neue Politik wirke sich erst im Haushalt 2011 aus.