Mülheim/Duisburg/Wesel. . Der Verein “Autismus Mülheim, Duisburg, Wesel“ ist inzwischen 30 Jahre alt. Aus der Gruppe von Eltern und Geschwistern Betroffener ist eine Anlaufstelle erwachsen, die ein eigenes Therapiezentrum in Mülheim und zwei Außenstellen betreibt.

An einem Augusttag 1981 trafen sich Eltern und Geschwister autistischer Kinder in einer Gaststätte in Dümpten. Aus dem Verein, den sie vor 30 Jahren gründeten, erwuchs eine Anlaufstelle, die das Leben vieler Menschen veränderte. Der „Autismus Mülheim, Duisburg, Wesel e.V.“ füllt heutzutage ein ganzes Häuschen. Es liegt an der Mellinghofer Straße, kurz vor Oberhausener Gebiet, und wird mit gutem Grund Autismus Therapie Zentrum (ATZ) genannt. Ferner gibt es zwei Außenstellen in Duisburg bzw. Wesel, und der Einzugsbereich geht in alle Richtungen über Stadtgrenzen hinaus.

„Bei uns arbeiten 22 therapeutisch tätige Personen“, sagt Heidi Baden, die Geschäftsführerin des ATZ. Hinzu kommen drei fest angestellte Verwaltungskräfte, und alle gemeinsam bieten ein breites Programm: vom Erkennen der Autismus-Störung über Einzel- und Gruppen-, Sprach-, Tanz-, Musiktherapie, von berufsbegleitenden Hilfen über Beratung von Bezugspersonen bis zum Anti-Aggressionstraining. Betreut werden mehr als 400 Menschen, vom Windelkind bis zum Erwachsenen weit jenseits der 50.

Männer häufiger betroffen

Bei allen zeigt sich irgendeine Form von Autismus: einem Phänomen, das Hollywood-Produktionen wie „Rainman“ oder „Mozart und der Wal“ der Welt näherzubringen versuchten. Jungen bzw. Männer sind drei- bis viermal häufiger betroffen als Frauen.

Autismus: Einfach gesagt, ist es eine Entwicklungsstörung, die im zentralen Nervensystem verortet wird, die Wahrnehmungsverarbeitung stark beeinträchtigt und im Kindesalter beginnt. Die Betroffenen haben Probleme mit zwischenmenschlicher Kommunikation, pflegen oft stereotype Angewohnheiten oder Aktivitäten. Mit Intelligenz hat Autismus jedoch nichts zu tun: Das Spektrum reicht von schwerstbehinderten Menschen bis zu Hochbegabten. Auch die Definition ist im Fluss: Inzwischen spricht man von der Autismus-Spek­trum-Störung (ASS), bei jedem und jeder Betroffenen zeigt sie ein anderes Gesicht.

So wird das Haus an der Mellinghofer Straße, das übrigens auch Raum für Elternstammtische bietet, von den unterschiedlichsten Personen aufgesucht. Auch Ärzte oder Lehrer/innen, die durchaus im Beruf und Alltag stehen, suchen hier Rat und Hilfe.

Zwölfjähriger arbeitet an einem Buch

In einer Hängematte, die von der Decke eines der Therapieräume baumelt, lässt sich David Kuhlmann nieder, ein zwölfjähriger Junge mit Rastamähne und offensichtlichem Gesangtalent. Einmal pro Woche kommt er zur Einzelsitzung hierher, momentan arbeitet er an einem Buch über sein größtes Idol: Bob Marley. „Ich möchte die anderen Menschen besser verstehen“, sagt David, der in Ratingen eine Förderschule besucht. Für dieses Ziel, das viele Klienten hier verfolgen, trainiert er im ATZ.

Ein ganz anderer Typ ist Stefan Wepil, dessen Mutter zu den Gründungsmitgliedern des Vereins gehört. Der inzwischen 42-Jährige ist als Computersachbearbeiter im ATZ tätig, tritt aber vor allem durch seine Malerei hervor, die er als Mittel der Entspannung sehr schätzt. Er schafft teils bizarre Landschaftsbilder und hat schon zwei Ausstellungen bestückt.

Auch Bea Reinhold kommt beim Malen zur Ruhe: Die 43-Jährige Mülheimerin gehört dem Vereinsvorstand an. Dass sie Autistin ist, merken ihr Außenstehende nicht ohne weiteres an. Es wurde ihr persönlich auch erst klar, als ihr Sohn, inzwischen 16, die Diagnose erhielt. Wie erlebt sie sich selber? „Das Problem ist die Wahrnehmung“, sagt Bea Reinhold. „Ich muss alles langsamer machen als andere, sonst geht es drunter und drüber. Ich fühle mich schnell überfordert.“ Zwischenfälle bringen sie völlig aus dem Gleichgewicht,, zuletzt ein Autounfall Anfang Januar, als sie – übrigens noch Führerscheinneuling – ihren Wagen in den Totalschaden fuhr: „Momentan geht es mir ziemlich schlecht.“

"Meinen Chefs war ich zu langsam"

So war es schon häufig in ihrem Leben, sie begann mehrere Lehren, einmal als Friseurin, dann als Zahnarzthelferin, doch „meinen Chefs war ich zu langsam, teilweise hat man mich auch nicht verstanden. Daher habe ich leider keine Ausbildung.“ Ihrem Sohn, der eine Mülheimer Förderschule besucht, soll es besser ergehen. „Er möchte Game-Designer werden, aber das ist schwer, die Gesellschaft akzeptiert Leute wie uns nicht.“

Wöchentlich kommt der Junge ins Therapiezentrum und trifft hier auf eine drei- bis vierköpfige Gruppe junger Autisten. „Da geht es um das Gemeinschaftsgefühl, damit hat mein Sohn Probleme.“ Dafür ist das ATZ da.