Rees. .

Der zweiteilige Fernsehfilm „Der kalte Himmel“ am vergangenen Montag und Dienstag im Ersten mit Schauspielerin Christine Neubauer bewegte die Zuschauer.

Der Film behandelte die sensibel erzählte Geschichte über ein hochbegabtes, aber verhaltensgestörtes Kind, das Ende der 60er-Jahre von Ärzten mit der Diagnose „schizophren“ belegt wurde. Ein weiter Weg führte schließlich zur Beurteilung der Verhaltensauffälligkeit: Autismus. Ein Weg, den auch die Reeserin Christiane Hackfort mit ihrem heute elfjährigen Sohn Henrik zurückgelegt hat.

Probleme
im Kindergarten

Es begann eine Woche nach seiner Geburt. In letzter Sekunde konnte Christiane Hackfort ihren Sohn vor dem Kindstod retten. Zehn Tag verblieb er auf der Intensivstation. „In den kommenden Monaten war er in seiner Entwicklung verzögert, niemand konnte uns sagen, ob der niedrige Herzschlag damals die Ursache war.“ Henrik konnte erst mit 18 Monaten laufen, er spricht erst seit zwei Jahren. „Henrik ließ von Anfang an immer nur eine Person an sich heran. Und die fordert er komplett, das ist noch heute so.“

Schwierig wurde es im Kindergarten, wo es den Erzieherinnen kaum gelang, ihn zu betreuen. Damals suchte Christiane Hackfort erstmals auf Anraten eine Kinderpsychologin auf, die spezialisiert ist auf Autismus. Seitdem wird Henrik im Sozial-Pädagogischen-Zentrum des Marienhospitals Wesel mit verschiedensten Therapien gefördert, auch einer Autismustherapie.

Er braucht ganz
feste Strukturen

Seit seinem siebten Lebensjahr besucht der Junge die Schule Haus Freudenberg. Lernt hier, mit dem Leben zurecht zu kommen, er bastelt, lernt sich selbst anzuziehen, sogar zu kochen.

Er braucht ganz feste Strukturen, nichts darf von Gewohntem abweichen. „Schon wenn ein Kind in der Klasse auf einem anderen Platz sitzt, bekommt er Probleme, erst recht bei einem Lehrerwechsel“, erzählt seine Mutter, die als gelernte Bankkauffrau sich vor knapp zwei Jahren mit dem Bistro „Zum Froschkönig“ in Rees selbstständig gemacht hat.

Henrik muss Gefühle auswendig lernen. Bis zu seinem sechsten Lebensjahr hat er nicht geweint. „Er konnte blutüberströmt vor mir stehen, ohne eine Miene zu verziehen.“ Heute sagt er, wenn er sich stark ärgert: „Henrik muss jetzt weinen.“ Er hat auswendig gelernt, Ärger und Wut mit dem Begriff Weinen zu belegen. Ein Problem, was derzeit die Familie belastet, Henrik ist auf der ständigen Suche nach etwas Essbarem. „Das ist seine Art sich zu beschäftigen.“ Nur in der Schule akzeptiert er, dass es feste Mahlzeiten gibt. „Henrik wird immer ein schwieriges Kind bleiben. Früher wurden wir in Geschäften schief angeguckt, weil er so drängelte. Man hielt ihn für unerzogen, da man ihm die Einschränkung nicht ansieht.“ Da ist es gut in einer Kleinstadt zu leben, in der die Leute sich kennen.

Er konnte
nicht weinen

Vor anderthalb Jahren hat sich Christiane Hackfort von ihrem Mann getrennt. Dass sie sich überlastet fühlte, die ganze Verantwortung für den Sohn alleine übernehmen wollte und sich immer für das Kind entscheiden musste, entfernte sie vom Ehemann. „Heute verstehen wir uns sehr gut. Wenn Henrik beim Vater ist, hat er ihn für sich allein, das funktioniert, so wie es früher zu dritt schwer war.“

Der neue Lebensgefährte von Christiane Hackfort hat für Henrik feste Strukturen im Tagesablauf eingeführt, die dem Jungen den Alltag er-leichtern. Was auch bedeutet, dass Henrik in seinem neuen Zuhause erstmals im eigenen Bett schläft. „Was allerdings acht Wochen dauerte“, gibt die Mutter zu. Jeden Morgen wird Henrik zwischen 4 und 5 Uhr wach. Inzwischen hat er ge-lernt, dass es erst dann Frühstück gibt, wenn die Kirchturmglocke siebenmal schlägt. Seit einem Jahr ist er auch sauber, er fährt Rad und kann etwa 100 Wörter erkennen. Er hat große Fortschritte gemacht. Mit Erfolg. Beim letzten Test hieß es: Er ist doch kein Autist. „Vielleicht will man nur Therapiekosten sparen“, mutmaßt die Mutter. „Gut, dann ist er eben behindert“, sagt sie sich und weiß, dass Henrik sein Leben lang ein Außenseiter bleiben wird.

Wenig
vor der Zukunft

Doch beruhigt es zu wissen, dass Institutionen wie die Lebenshilfe ihm später eine Zu-kunft bieten können. Daher sind Menschen mit Behinderung in ihrem Lokal herzlich willkommen. „Wer weiß, wie es Henrik später ergeht!“ Ihr erster Urlaub ohne Kind steht an. „Mein Mann betreut ihn in dieser Zeit“, ist Christiane Hackfort dankbar. „Henrik hat damals meinen Ehemann weggedrängt und ich habe es zugelassen. Dabei brauchte ich selbst Streicheleinheiten.“

Der Neuanfang hat ihr gut getan. Ein Neuanfang für eine Mutter, die mit ihrem Kind nicht schmusen kann und nie von ihm körperliche Zuwendung erfahren wird.