Mülheim. Aufgewachsen in Mülheim, radikalisiert in Bochum, gemordet in Dortmund, untergetaucht in der DDR: Die Geschichte von RAF-Terrorist Werner Lotze.

Von Ende der 60er bis Anfang der 90er Jahre sorgen die Linksterroristen der sogenannten Rote Armee Fraktion (RAF) in ganz Deutschland für Angst und Schrecken. An Mülheim ging der RAF-Terror nicht vorbei.

Der RAF-Terror: Junge Menschen, die das bestehende politische und gesellschaftliche System aushebeln und den ihnen verhassten Kapitalismus bekämpfen wollen, ziehen insbesondere in den 70er und 80er Jahren mit der Ermordung mehrerer Politiker und Wirtschaftsführer, aber auch mit der Tötung von Polizeibeamten und Unbeteiligten eine blutige Spur durch die Republik. Einer der Höhepunkte des RAF-Terrors ist 1977 die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer in Köln. Bei dieser Tat sterben unten dem Hagel von Maschinenpistolengarben auch drei Polizeibeamte und der Fahrer Schleyers.

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Mülheim spielt bei den Taten der gewalttätigen Extremisten nur eine untergeordnete Rolle. Aber einmal schlagen Angehörige der RAF hier zu. Im Dezember 1984 versuchen sie, eine Bombe am Gebäude der Firma AEG-Kabel in Saarn zu zünden. Der Sprengkörper, ein mit fünf Kilogramm Sprengstoff gefüllter Feuerlöscher, explodiert nur deshalb nicht, weil die Zeitzünderuhr stehen bleibt. Schwere Gebäudeschäden oder gar der Verlust von Menschenleben bleiben so zum Glück aus. Auch wenn Mülheim also als Tatort des Terrors keine große Rolle spielt, so stammt doch einer der international mit Hochdruck gesuchten RAF-Terroristen aus Mülheim: Werner Bernhard Lotze, Rufname Werner.

RAF-Terrorist Werner Lotze stammt aus einfachen Mülheimer Verhältnissen

Ein unscheinbares Haus an der Kirchstraße, nahe der heutigen Broicher Mitte in Mülheim: Hier hat der spätere RAF-Terrorist Werner Lotze in seiner Jugend gelebt.
Ein unscheinbares Haus an der Kirchstraße, nahe der heutigen Broicher Mitte in Mülheim: Hier hat der spätere RAF-Terrorist Werner Lotze in seiner Jugend gelebt. © Frank Kawelovski

Lotze wird am 22. Februar 1952 in Mülheim geboren. Sein Vater ist Schuhmacher, seine Mutter arbeitet als Krankenschwester. Kindheit und Jugend verbringt er in dieser Stadt. Die Familie wohnt zunächst am Heuweg, zieht dann aber in die Kirchstraße in Broich. Lotze geht in Mülheim aufs Gymnasium und schafft das Abitur, was zur damaligen Zeit für einen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen durchaus noch keine Selbstverständlichkeit ist. An der erst kurz zuvor gegründeten Ruhr-Universität Bochum studiert er Sportwissenschaften und Anglistik. 1976 bricht er sein Studium schließlich ab. Inzwischen hat er Kontakt zu Anarchisten der RAF bekommen und wird schließlich selbst Teil der Terrorgruppe.

Nur zwei Jahre nach dem Verlassen der Universität ist er bereits in schwerste Verbrechen verwickelt. Am 24. September hört eine Streifenwagenbesatzung in einem Waldstück im Dortmunder Stadtteil Lüttringhausen Schüsse. Bei Annäherung an den Ort des Geschehens überraschen die beiden Streifenbeamten Lotze sowie seine Komplizen Michael Knoll und Angelika Speitel bei Schießübungen. Es kommt unvermittelt zu einem Feuergefecht zwischen den Polizisten und den Terroristen. Dabei werden sowohl der 26-jährige Polizeibeamte Hans-Wilhelm Hansen als auch Knoll durch Projektile tödlich getroffen. Der zweite Beamte sowie Angelika Speitel bleiben schwer verletzt am Tatort zurück. Lediglich Lotze gelingt die Flucht. Erst viel später wird die Beteiligung Lotzes an dem Polizistenmord sowie an zwei Raubüberfällen in Darmstadt 1979 und einem missglückten Anschlag auf den Nato-Oberbefehlshaber Alexander Haig, ebenfalls 1979, bekannt.

Mülheimer RAF-Terroriszt lebt unter neuer Identität lange unbehelligt in der DDR

Früher in jeder Polizisten-Jackentasche, heute zur „Sammelkarte“ bei Ebay-Auktionen verkommen: eine RAF-Fahndungskarte des Bundeskriminalamts.
Früher in jeder Polizisten-Jackentasche, heute zur „Sammelkarte“ bei Ebay-Auktionen verkommen: eine RAF-Fahndungskarte des Bundeskriminalamts. © Frank Kawelovski

1980 beschließt der Mülheimer, sich von der Terrororganisation zu lösen. Er sucht, wie schon einige andere RAF-Mitglieder zuvor, zusammen mit seiner Ehefrau Christine Dümlein, die ebenfalls der Terrorgruppe angehört hat, Unterschlupf in der Deutschen Demokratischen Republik. Zu dieser Zeit ist er immer noch in Mülheim-Broich amtlich gemeldet. Vom Staatssicherheitsdienst der DDR, dessen Regime die anarchistischen Angriffe gegen die Bundesrepublik Deutschland nicht unlieb sind, erhalten er und seine Frau neue Identitäten. Lotze arbeitet jetzt unter dem Pseudonym Manfred Janssen als Lkw-Fahrer im VEB Synthesewerk im brandenburgischen Schwarzheide. Dümlein und Lotze führen im sozialistischen Teil Deutschlands eine bürgerliche Existenz. 1982 wird ihre Tochter Jenny geboren.

1989 bricht das DDR-Regime im Zuge der gewaltigen politischen Umwälzungen in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Staaten in sich zusammen. Nachdem monatelang Millionen mutige Menschen in riesigen Demonstrationen immer wieder auf den Straßen gegen ihre Regierung protestiert haben, klappt die Deutsche Demokratische Republik in sich zusammen, die bislang unüberwindbare Berliner Mauer wird für Ausreisen aus der DDR geöffnet und 1990 kommt es schließlich zum Zusammenschluss der beiden Teile Deutschlands, die durch den Krieg getrennt worden waren. Die DDR geht in der Bundesrepublik auf.

Lotze wird Kronzeuge in den RAF-Prozessen, kommt aber lange in Haft

Mit dem Niedergang des ostdeutschen Staates geht zwangsläufig zugleich das Schutzpatronat der in den Osten geflüchteten RAF-Terroristen verloren. So kommt es, dass Lotze und seine Frau am 14. Juni 1990 in ihrem Wohnort Senftenberg festgenommen werden. Lotze, der sich innerlich offenbar schon lange vom Terror der RAF distanziert hat, wird zum Kronzeugen in den RAF-Prozessen. Er bekennt sich nicht nur zu dem Dortmunder Polizistenmord, sondern hilft auch bei der Aufklärung zahlreicher anderer Verbrechen der Gruppe. Lotze entschuldigt sich auch bei der Witwe des getöteten Beamten und ruft andere RAF-Mitglieder auf, der Gewalt abzuschwören. Während seine Frau Christine aufgrund der Verjährung ihrer Straftaten freigelassen wird, wird Lotze 1992 zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Strafe wird etwas später auf elf Jahre abgemildert.

Die Spur einzelner ehemaliger RAF-Terroristen lässt sich nach ihren Haftentlassungen nachverfolgen. Lotze gehört zur Mehrheit derer, die in der Anonymität verschwinden, um ein neues Leben anzufangen. Ob er jemals noch einmal in seine Heimatstadt Mülheim zurückgekehrt ist, ist nicht bekannt.

Ein Fahndungsplakat der Polizei zeigt die Fahndungsfotos der damaligen RAF-Terroristen (v.r.n.l. und von oben nach unten) Susanne Albrecht, Christian Klar, Adelheid Schulz, Peter Juergen Boock, Friederike Krabbe, Freiherr Ekkehard von Seckendorff-Gudent, Christine Duemlein, Werner Bernhard Lotze, Ingrid Siepmann, Baptist-Ralf Friedrich, Silke Maier-Witt, Sigrid Sternebeck, Monika Helbing, Brigitte Mohnhaupt und Inge Viett.
Ein Fahndungsplakat der Polizei zeigt die Fahndungsfotos der damaligen RAF-Terroristen (v.r.n.l. und von oben nach unten) Susanne Albrecht, Christian Klar, Adelheid Schulz, Peter Juergen Boock, Friederike Krabbe, Freiherr Ekkehard von Seckendorff-Gudent, Christine Duemlein, Werner Bernhard Lotze, Ingrid Siepmann, Baptist-Ralf Friedrich, Silke Maier-Witt, Sigrid Sternebeck, Monika Helbing, Brigitte Mohnhaupt und Inge Viett. © ddp | MMM

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