Mülheim. Tag zwei im Berufungsprozess gegen zwei Dienstgruppenleiter der Mülheimer Polizei. Eine Kollegin (26) bricht im Zeugenstand in Tränen aus.
Am zweiten Verhandlungstag im Berufungsverfahren gegen zwei suspendierte Dienstgruppenleiter der Mülheimer Polizei, die erstinstanzlich vom Amtsgericht Mülheim wegen Strafvereitelung im Amt zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden waren, hat am Mittwoch eine der wichtigsten Zeuginnen ausgesagt. Sie habe „von Anfang an die Wahrheit erzählt“, so die Kollegin (26) vor dem Landgericht Duisburg. Das habe schlimme Folgen für sie gehabt.
Nachdem sie damals ihre Version des alles andere als normal abgelaufenen Einsatzes am 11. Januar 2019 offiziell gemacht hatte, sei sie schnell als „Kollegenschwein“ abgestempelt worden. „Man hat mich gemieden und niemand wollte mehr mit mir fahren.“ Leider habe sie auch später noch – nach einem polizeiinternen Wechsel nach Duisburg – damit zu kämpfen gehabt. „So etwas spricht sich rum.“ Die Erinnerung setzte der Frau im Zeugenstand derart zu, dass Tränen flossen. Erst vier Monate vor dem Vorfall hatte die junge Oberhausenerin in Mülheim angefangen, erlebte gerade ihre ersten Einsätze. Und sei schon von daher „völlig überfordert“ gewesen mit dem, was an besagtem Abend geschah.
Am Anfang stand ein Einsatz wegen häuslicher Gewalt in Mülheimer Hochhaus
Wegen häuslicher Gewalt war die Polizei damals zu einem der Hochhäuser am Hans-Böckler-Platz gerufen worden. Eine junge Frau war verletzt worden, blutete im Gesicht. Sie hatte den Tatort gerade verlassen, als die Beamten eintrafen. In der Wohnung ihrer Familie aber waren noch die Eltern. Und der Vater galt schnell als Beschuldigter. Letztlich aber war es wohl der Bruder, der sie misshandelt hatte.
Unsere bisherige Berichterstattung zu dem Fall:
- Polizeigewalt gedeckt? „Andere nannten sie Kollegenschwein“
- Polizeigewalt in Mülheim vertuscht: Gericht verurteilt Chefs
Was im achten Stock passierte – und wie man versuchte, dies im Nachhinein zu vertuschen –, beschäftigt seither immer wieder Staatsanwaltschaft und Gerichte. Geklärt ist bislang: Ein Kollege der 26-Jährigen, der am Mittwoch ebenfalls verhört wurde, legte dem Vater Handfesseln an. „Ich habe dann versucht, mit seiner Frau zu sprechen. Das war aber schwierig, weil er ständig auf sie einredete.“ Er habe dem Gefesselten deshalb, „mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen“, so der ebenfalls suspendierte Beamte. „Ich war gestresst und hatte den Eindruck, alles allein regeln zu müssen.“ Heute wisse er: „Die Situation hätte man anders lösen können.“
Der Essener (32) hat die Tat schon mehrfach gestanden. Im Juni 2021 ist er wegen Körperverletzung im Amt zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig, das Disziplinarverfahren indes noch nicht abgeschlossen.
Im Nachgang soll versucht worden sein, die Geschehnisse zu vertuschen
Im Nachgang wurde offenbar auf vielfältige Art versucht, die Geschehnisse zu vertuschen. Mit Erfolg: Die Ermittlungen gegen den Essener wurden zunächst eingestellt. Sein Opfer, das ihn wegen der Hiebe angezeigt hatte, musste sich dagegen sogar vorübergehend wegen falscher Verdächtigung verantworten. Bei der Vertuschung sollen die beiden nun erneut auf der Anklagebank sitzenden Männer eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die in Bochum beziehungsweise Essen lebenden Männer weisen diesen Vorwurf allerdings zurück.
Der 32-Jährige, der zugeschlagen hatte, erzählte vor Gericht von einem Bericht, den er über den Einsatz verfasst habe. Anschließend habe „ein Dienstgruppenleiter, dessen Namen ich nicht mehr weiß“, ihm zu verstehen gegeben: „Das kann man so nicht schreiben, sonst kommen wir in Teufels Küche.“ Er sei aufgefordert worden, den Bericht umzuformulieren, habe diesen daraufhin „komplett neu kreiert“. Unter anderem sollte so der Eindruck entstehen, der unschuldig Geschlagene sei von Beginn an aggressiv aufgetreten und habe Widerstand geleistet. Inwieweit der Polizist in diesem Kontext mit den Angeklagten zu tun hatte, blieb vor der 12. Strafkammer unklar. Dem Zeugen stand insofern ein Auskunftsverweigerungsrecht zu.
„Ich wusste, dass etwas passiert ist, was nicht richtig war“, so die junge Zeugin
Die 26-jährige Kollegin schilderte ihre Sicht der Dinge ohne Umschweife: Schon am Tatort sei es ihr „immer schlechter ergangen“: „Ich wusste, dass etwas passiert ist, was nicht richtig war. Mir sind super viele Gedanken durch den Kopf gegangen.“ Auch auf der Wache sei es danach nicht gut gelaufen: Die Beamten hatten den Beschuldigten dorthin mitgenommen. „Ich habe bemerkt, dass seine Fessel zu eng war. Ich wollte sie also lockern.“ Der 32-jährige Kollege aber warf ihr vor, sie wollen dem Mann die Fessel ganz abnehmen. „Er hat mich angeschrien, was ich da denn mache. . .“
„Völlig aufgewühlt“ sei sie schließlich im Zimmer des jüngeren Dienstgruppenleiters gelandet. „Ich bin zusammengebrochen, habe geweint und alles erzählt, was ich gesehen habe.“ Der 49-jährige Vorgesetzte habe „gefasst gewirkt“ und ihr signalisiert, „ich solle erstmal mit der Anzeige warten“. Er wolle sich zunächst mit dem nun ebenfalls angeklagten 55-jährigen Leiter der zweiten an diesem Abend beteiligten Dienstgruppe absprechen. „Er hat mir versprochen, dass er sich um alles kümmert“, so die Zeugin. Darauf habe sie sich verlassen, selbst nichts Weiteres unternommen.
Zeugin gibt an, dem Vorgesetzten die Situation vor Ort umfänglich geschildert zu haben
Der Behauptung des 49-jährigen Angeklagten, es sei in dem Gespräch zu nächtlicher Stunde gar nicht um die aus dem Ruder gelaufenen Geschehnisse im Hochhaus gegangen, sondern nur um den Vorfall mit dem Lösen der Fessel, widersprach die Zeugin am Mittwoch deutlich: „Ich habe ihm erzählt, dass der Kollege den Mann geschlagen hat. Ich habe die ganze Situation geschildert.“ Im Nachhinein habe der Vorgesetzte ihr aber schon angekündigt, er werde behaupten, davon nichts gewusst zu haben. „Das war schockierend.“
Der Prozess wird am Montag, 20. November, 13 Uhr, fortgesetzt.
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