Essen./Mülheim. Das Amtsgericht Mülheim hat zwei Dienstvorgesetzte verurteilt, weil sie die Straftat eines Polizisten vertuschen wollten.
An der Vertuschungsaktion eines Mülheimer Polizisten, der einem gefesselten unschuldigen Mann ins Gesicht geschlagen hatte, waren offenbar mehr Beamte beteiligt als bisher gedacht. Das Amtsgericht Mülheim verurteilte jetzt zwei Vorgesetzte wegen Strafvereitelung im Amt zu zehn Monaten Haft.
Die Strafen gegen die beiden Dienstgruppenleiter, 49 und 55 Jahre alt, setzte Amtsrichterin Annika Koch zur Bewährung aus. Die in Bochum beziehungsweise Essen lebenden Angeklagten hatten die Vorwürfe zurückgewiesen und sich als unschuldig bezeichnet, beide sind bislang nicht vorbestraft.
Falsch verstandene Kameradschaft
Treffen die bisher in dieser Sache erfolgten Urteile des Mülheimer Amtsgerichtes zu, offenbaren sie ein illegales Geflecht falsch verstandener Kameradschaft. Die daran beteiligten Beamten nahmen sogar in Kauf, dass ein Unschuldiger verurteilt werden könnte. Und dies nur, um dem eigenen Kollegen die gerechte Strafe zu ersparen.
Der Anfang dieses behördlichen Komplotts liegt mehr als vier Jahre zurück. Am 11. Januar 2019 fuhren mehrere Streifenwagen der Mülheimer Polizei zu einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt in der Innenstadt. Eine 23-Jährige sei heftig geschlagen und verletzt worden.
Den Falschen Mann als Täter gesehen
Wie sich später herausstellte, war dafür wohl ihr Bruder verantwortlich. Er hatte vor Eintreffen der Polizei das Weite gesucht. Einer der Polizisten, ein 31 Jahre alter Essener, hatte sich ohne weitere Ermittlungen auf den 54-jährigen Vater der Frau als Täter festgelegt.
Er legt ihm Handfesseln an und schlägt ihm mit der Faust ins Gesicht. Um 21:48 Uhr, keine Stunde nach Einsatzbeginn, schreibt der Polizist eine Anzeige gegen den gebürtigen Kosovaren und beschuldigt ihn wegen Körperverletzung, Bedrohung und Widerstand.
Ohne Grund gefesselt
Eine Nacht sitzt der 54-Jährige, der seit 1992 in Deutschland lebt, als Busfahrer arbeitet und nicht vorbestraft ist, in Polizeigewahrsam. Am nächsten Tag kommt er wieder frei und zeigt den Polizisten wegen Körperverletzung an: Der habe ihn ohne Grund gefesselt und mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen.
Das Ergebnis: Die Staatsanwaltschaft Duisburg klagt den 54-Jährigen an. Am 31. Juli 2020 muss er sich vor dem Amtsgericht Mülheim wegen falscher Verdächtigung verantworten, weil er den Polizisten zu Unrecht beschuldigt habe. Er bestreitet das und wiederholt seine Vorwürfe.
Polizistin enttarnt die Lüge
Aber auch der Polizist bleibt bei seiner Version. Er wird von seiner Streifenkollegin darin unterstützt. Als nächste Zeugin hört das Gericht eine 23 Jahre alte Polizistin, die als Mitglied einer anderen Dienstgruppe ebenfalls vor Ort war. Sie erzählt, dass der Polizist den gefesselten Mann völlig grundlos geschlagen habe. Erst danach korrigiert die erneut befragte Streifenpartnerin des Beamten ihre Aussage und belastet jetzt auch den Kollegen. Der Kosovare wird natürlich freigesprochen.
Im Sommer 2021 verurteilt das Amtsgericht den 31 Jahre alten Beamten wegen Körperverletzung im Amt. Er gesteht, zeigt sich reumütig und bekommt neun Monate Haft mit Bewährung.
Belastende Chats auf dem Handy
Zu diesem Zeitpunkt haben die Ermittlungen bereits gezeigt, in welchem Ausmaß sich Beamte der Mülheimer Wache abgesprochen haben, um das Fehlverhalten ihres Kollegen zu decken. Hilfreich waren bei der Wahrheitssuche die Ermittlungen wegen der rechtsextremen Chats in einer Dienstgruppe der Mülheimer Polizei. Dabei war auch das Handy des 31-jährigen Beamten sichergestellt worden. Andere Chats in seinem Telefon wiesen auf die Beteiligung von Kollegen hin.
Die Untersuchung stützte auch die Aussage der couragierten Beamtin, die das Ganze aufgedeckt hatte. Sie hatte auch erzählt, sich direkt nach dem Einsatz im Januar 2019 ihrem Dienstgruppenleiter anvertraut zu haben. Dieser habe versprochen, sich mit dem Vorgesetzten des schlagenden Polizisten auseinanderzusetzen über diese Tat.
Angeklagt wegen Strafvereitelung im Amt
Das hatten die beiden nicht gemacht. Sie landeten deshalb vor dem Amtsgericht Mülheim wegen Strafvereitelung im Amt. Beide wollen aber nie etwas von diesen massiven Vorwürfen der Beamtin gegen den Polizisten gehört haben.
Die Beamtin blieb aber dabei, sie informiert zu haben. Und Unterstützung fand sie vor Richterin Koch in der ehemaligen Streifenpartnerin des Polizisten. Die 26-Jährige, selbst wegen Strafvereitelung im Amt zu sechs Monaten Haft mit Bewährung verurteilt, hat mittlerweile erkannt, „dass das damals nicht in Ordnung war und ich großen Scheiß gebaut habe“. Sie habe sich aber nicht getraut, gegen den älteren Kollegen auszusagen.
Interne Ermahnung durch die Vorgesetzten
Sie berichtet detailliert, dass es eine Woche nach dem Vorfall ein Gespräch der beiden Dienstgruppenleiter mit ihr und ihrem Kollegen gegeben habe. Dabei habe der Polizist ganz offen erzählt, was er gemacht habe. Die Reaktion der Vorgesetzten habe gezeigt, dass sie von einer Straftat des Beamten ausgingen. Denn einer von ihnen sagte laut Aussage der Beamtin: „Alex, das macht man nicht. Man schlägt keine gefesselten Leute.“
Rechtskräftig ist das Urteil noch nicht. Die Verteidiger der mittlerweile in andere Abteilungen versetzten Dienstgruppenleiter hatten auf Freispruch plädiert.