Mülheim. Nach mehreren Monaten Schließung ist das Mülheimer Sozialkaufhaus wieder zurück. Was hat es zu bieten und was haben die Kunden vermisst?
Den Markenfernseher gibt es für 60 Euro mit Garantie, den Miele-Trockner für 140, die Siemens-Spülmaschine für 70 Euro – kein Wunder also, dass die Halle des Mülheimer Sozialkaufhauses an der Georgstraße gut besucht ist. Monatelang musste es die Türen schließen – aus Brandschutzgründen. Doch in Kooperation mit der Stadt gelang nun zumindest eine Teilöffnung. Nicht wenige haben darauf gewartet.
Da ist „Heike“, die zur Wiedereröffnung am Dienstagmittag einen Esstisch mit Stühlen sucht. Ihren wahren Namen will sie nicht nennen – aus Sorge, stigmatisiert zu werden. Doch so ein massiver Holztisch allein würde neu im Möbelgeschäft ab 300 Euro aufwärts kosten, sagt sie. Hier gibt’s das Set mit sechs Sitzgelegenheiten schon für 360 Euro. Das Geld sitze eben knapp, zieht Heike die Schultern hoch, Miete, Heizen, Strom. Viel mehr sei nicht drin. Eine Alternative wie das Sozialkaufhaus habe ihr deshalb gefehlt.
Sozialkaufhaus Mülheim: „Inzwischen nehmen wir auch Matratzen, Unterwäsche und Socken an“
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Und selbst dann müssen nicht wenige Menschen oft lang sparen, das weiß Dominik Schreyer zu genau: „Wenn man etwa ein neues Brillengestell braucht, bedeutet das gleich mehrmonatigen Verzicht“, beobachtet der Geschäftsführer des Diakoniewerks Arbeit und Kultur die zunehmende Spaltung in der Mülheimer Stadtgesellschaft mit einiger Sorge: „Der Frust bei Hilfebedürftigen ist groß.“
Denn „die Formen der Normalität sind sehr unterschiedlich“, stellt Schreyer fest. Meint: Die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Stadtmitte und Holthausen, Styrum und Saarn ist gewachsen. Woran Schreyer, der in Styrum aufwuchs und nun in Holthausen lebt, das misst? Zum Beispiel daran, dass nicht nur die Küche, die Waschmaschine und der Kühlschrank nachgefragt werden – oft Dinge, die wiederum andere ansonsten auf den Schrottplatz bringen würden. Sondern „wir nehmen inzwischen sogar gebrauchte Matratzen, Socken oder Unterwäsche an“, sagt Schreyer. Weil die Nachfrage, nein, die Not dramatisch gestiegen ist.
Zahl der Kunden wächst: Zeichen für die gesellschaftliche Spaltung in Mülheim
Und auch das ist ein Indikator für wachsende gesellschaftliche Spaltung: Das Sozialkaufhaus stehe längst jedem offen, der seine Bedürftigkeit erkenne, so Schreyer, der seitdem eine wachsende Zahl von Kundinnen und Kunden registriert. Mit zumindest dem positiven Effekt, dass sich der Ort an der Georgstraße, wo Sozialkaufhaus, die Mülheimer Tafel, die Upcycling-Werkstatt und mehr zusammenkommen, zu einem offenen Ort der Begegnung entwickelt hat.
Als der zum Teil ausfiel, klaffte für nicht wenige eine Lücke. Knapp drei Monate musste das Kaufhaus die Türen dichtmachen, nachdem Feuerwehr und Stadt dort Brandschutzmängel feststellten. Vorübergehend zog es in das Forum in der Innenstadt, allerdings nur in abgespeckter Form ohne Möbel und Elektrogeräte. Ein neues Konzept mit zusätzlichen Maßnahmen wie Funkbrandmelder, Fluchtwege und Entlüftung ist aber nunmehr auf den Weg gebracht. Die Kooperation mit der Stadt funktioniere sehr gut, lobt der Geschäftsführer.
Geschäftsführer hofft auf Kompletteröffnung zum Ende des Jahres
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Bis zur Genehmigung des Bauantrags – Schreyer rechnet mit Ende 2023 – kann das Diakoniewerk den Verkauf von Kühlschrank, Möbel und Co. deswegen in eingeschränkter Form fortsetzen: 400 Quadratmeter Fläche sind dafür in der Kranhalle mit schwarzem Absperrband abgetrennt von den anderen Bereichen. Nicht für jeden ist die Regelung ersichtlich, die Mitarbeiter müssen deshalb immer wieder mal Kunden freundlich vor die Absperrung führen.
Immerhin: Mit der Genehmigung wird man wieder an die 2000 Quadratmeter Fläche nutzen können. Dass das Kaufhaus aber so schnell wieder teileröffnet werden konnte, sei auch dem guten Ruf des Diakoniewerks Arbeit und Kultur geschuldet, den man sich in der Stadt erarbeitet habe, glaubt Schreyer: „Es ist ein wichtiger Ort.“ Und das zeige sich für den Geschäftsführer zur Wiedereröffnung am Dienstag erst recht bei den Stammkunden, „denn die sind sofort da gewesen, ohne dass wir für die Öffnung geworben haben“.