Mülheim. „Apokalypse“ ist eine szenische Lesung von J. Conrads „Herz der Finsternis“. Ben Becker gastiert im Dezember in Mülheim. Der Vorverkauf läuft.
Ben Becker ist ein Meister der szenischen Lesung und ein Ereignis auf der Bühne. Am Mittwoch, 13. Dezember, um 20 Uhr widmet er sich in der Mülheimer Stadthalle einem Stück Weltliteratur: „Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad ist eine mitreißende und düstere Erzählung über die Grausamkeiten des Kolonialismus in Afrika.
Was fasziniert Sie an diesem Autor (1857-1924) und seinem Werk?
Ich habe als Kind schon Bücher von Joseph Conrad gelesen, besser gesagt verschlungen. Zum Beispiel die Erzählung „Jugend“. Der Autor hat mich fasziniert. Er hat sich auf beeindruckende Weise mit seiner Zeit auseinandergesetzt, seine Werke sind mitreißend und tiefgründig. Dahinter steckt großes literarisches Können. Ich lese ihn einfach gerne.
„Herz der Finsternis“ ist sein bekanntestes Werk. Die Erzählung thematisiert die Kolonialisierung in Zentralafrika, erzählt von der Reise eines Kapitäns auf dem Kongo. Er beobachtet unvorstellbare Brutalität gegenüber den Ureinwohnern und beginnt, an der Politik des Empire zu zweifeln.
Mein Dramaturg John von Düffel hat den Text komprimiert und mir für eine Lesung vorgeschlagen. Ich war zuerst skeptisch. In diesen Zeiten so eine düstere Geschichte? Aber dann fand ich, dass Conrad damals wichtige gesellschaftliche Fehlentwicklungen gesehen und richtig empfunden hat. Die Grausamkeiten der Kolonialisierung haben ihre Parallelen in der jetzigen Welt. Kolonialismus gibt es immer noch, und er findet auch heute rabiat statt. Im Auftrag des Profits. Man muss nur auf die Jagd nach Rohstoffen schauen. Die Erzählung ist kein verstaubter Rückblick, sondern auf erschreckende Weise aktuell. Heute gehen die Ausbeuter nur geschickter vor.
Wie können wir uns den Lese-Abend vorstellen?
Es ist eine szenische Lesung, das heißt ich bringe Requisiten für ein angedeutetes Bühnenbild mit. Und ich spiele auch. Minimalistisch, mit kleinen Andeutungen, die aber oft mehr sagen als große Gesten. Die Geschichte ist nicht ganz einfach darzustellen, es ist für mich jedes Mal eine schwierige Reise den Kongo runter.
An der Darstellung der Afrikaner in Conrad Erzählung wurde auch Kritik geübt, sie sei rassistisch...
Das hat, glaube ich, ein einziger afrikanischer Literaturwissenschaftler so gesehen. Ich kann diese Meinung aber nicht teilen. Die Erzählung verurteilt die Brutalität der Kolonialisierung und den Rassismus - ansonsten würde ich sie auch gar nicht auf die Bühne bringen.
Die Hauptfigur der Erzählung, der englische Kapitän Marlow, ist zwiegespalten...
Der Kapitän kommt aus einem System, das ihn geprägt hat (Anm.: britisches Empire, Handelsmarine). Aber er ist ein scharfer Beobachter. Die Dinge, die auf seiner Reise neu auf ihn zukommen, bringen ihn zum Denken. Er lernt aus den Erlebnissen. Seine anfänglichen – fast kindlichen – Vorstellungen vom Abenteuer im Dschungel stellt er im Laufe der Reise immer mehr in Frage. Wenn er eindimensional wäre, wäre es doch langweilig. Am Ende stellt er sich gegen die Gesellschaft, die ihn engagiert hat.
Sie spielen oft und gerne komplexe Charaktere...
Ja, wenn ich Kunst mache, muss da etwas sein, mit dem ich mich auseinandersetzen kann. Eindimensionalität interessiert mich nicht. Ich hinterfrage gerne, stichele gerne, betrachte Charaktere und Dinge dialektisch. Als Künstler stelle ich Fragen, meine Aufgabe ist es nicht, Antworten zu geben.
Warum trägt der Abend den Titel „Apokalypse“ – Weltuntergang?
Das soll an die biblische Apokalypse und an den großartigen Film „Apocalypse now“ erinnern, der ebenfalls auf Conrads Erzählung basiert. Und Ich will zeigen, dass die Welt der Unterdrückung und Ausbeutung es verdient hat, unterzugehen.
Ihr letztes großes Projekt war „Affe“ nach Kafkas „Bericht an eine Akademie“...
Ja. Das Stück konnte aber wegen der Corona-Pandemie nur drei Mal gezeigt werden. Ich nehme es im Sommer wieder auf, aber in einer neuen, überarbeiteten Fassung, und spiele es dann an verschiedensten Orten.
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Sie sind in diesem Jahr ohnehin viel unterwegs in Deutschland...
Ich bin froh und dankbar, dass es nach der langen und aufreibenden Corona-Zeit jetzt wieder läuft mit Auftritten. Zu Beginn war es noch schwierig, mit heiklen Themen Zuschauer zu locken. Jetzt geht das wieder.
Was sind ihre nächsten Bühnen-Projekte?
Ich werde „Exil“ nach Texten von Joseph Roth im Renaissance-Theater in Berlin aufführen – im Mai soll vermutlich Premiere sein. Außerdem nehme ich „Ich, Judas“ wieder auf. Und ich möchte etwas entwickeln zu Homers „Ilias“.
Werden sie bald wieder Musik machen oder im Film oder Fernsehen zu sehen sein?
Die Musik ist gerade etwas in den Hintergrund gerückt. Film und Fernsehen finde ich einfach nicht so interessant wie Theater. Kürzlich habe ich für eine Nachmittagsserie auf Netflix gedreht. Ich nehme nur gute Film- und TV Rollen an, das Theater ist einfach tiefgründiger und viel ernstzunehmender.