Der voll besetzte Saal in der Stadthalle feierte den Schauspieler für „Ich, Judas“ stehend und mit Jubelrufen. Simultanübersetzung auf Arabisch.

So hat man die Stadthalle selten gesehen: Die Bühne karg wie ein Altarraum mit langem Tisch und dem Gekreuzigten an der Wand. Gewaltige Orgelklänge füllen den Theatersaal, der still ist wie eine Kirche. Auftritt Ben Becker, ganz in Weiß. Mit seiner tiefen, unverwechselbaren Stimme zitiert er aus dem Matthäus-Evangelium: „Wahrlich ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten.“

„Ich, Judas“ heißt das Programm, mit dem der Schauspieler derzeit tourt und die Verteidigung jenes Mannes übernimmt, der als Verräter par excellence gilt, der Schuld auf sich lud, als er Jesus von Nazareth ans Kreuz lieferte. Dass diese Geschichte, die man so gut zu kennen glaubt, auch ganz anders zu sehen ist, das schaffte Becker überzeugend in seiner Ein-Mann-Aufführung, die ihm in den dichten 90 Minuten auch körperlich sehr viel abverlangte.

Die Stadthalle war Montagabend dicht besetzt, dennoch hätte man während des Programms die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können: Mucksmäuschenstill hing der Saal an den Lippen Beckers. Der Schauspieler las zunächst aus Amoz Oz’ „Judas“, jenem Roman des israelischen Schriftstellers, in dem Judas ein treuer Jünger war, sein Verrat Loyalität. Während Becker hier noch zu predigen scheint und Pathos verbreitet, läuft er beim Judas-Monolog von Walter Jens – „ich habe dich nicht verraten“ – zur Hochform auf.

Er argumentiert, er klagt an, er weint, er fleht, er schreit – und rechtfertigt, warum es seiner bedurfte, der seither als schlimmster Verräter von allen gilt: „Ich wusste, dass es eines Menschen bedarf, um Jesus zu überliefern.“ Ohne Judas kein Kreuz. Ohne Kreuz keine Kirche, und ohne Kirche keine Überlieferung der Botschaft – so die Argumentation eines, der sich als jenen sieht, der den göttlichen Plan erfüllte. Am Ende der Vorstellung steht das Publikum geschlossen auf, feiert Becker mit Jubelrufen. Der zeigt sich gerührt, liest als Zugabe mit tränenerstickter Stimme aus der Weihnachtsgeschichte. Und freut sich, dass seine Vorstellung für rund 20 Flüchtlinge auf Initiative des Ringlokschuppens simultan ins Arabische übersetzt wurde. „Das ist“, so Becker, „das erste Mal in meinem Leben.“