Mülheim. Mit Experten und geladenen Gästen diskutierte der erste Mülheimer Klimaworkshop über die epochalen Aufgaben. Denn vieles ist liegengeblieben.

Mülheim macht sich auf den Weg zur Klimaneutralität – wieder einmal, muss man sagen, denn beim vergangenen Klimaworkshop wurde klar: Schon vor 30 Jahren hatte man diesen Schritt unternommen, als man die CO2-Emission halbieren wollte. Und erneut vor sieben Jahren, als man den energetischen Stadtentwicklungsplan formulierte und Bürger zum „Dialog Klimaschutz und Energiewende“ einlud. Nur: Handlungskonzepte und Dialog allein reichen nicht aus. Man müsste beispielsweise an Photovoltaikanlagen die Mengen bauen, die man in den vergangenen 15 Jahren baute, so eine Erkenntnis des Workshops – nur inzwischen eben pro Jahr. Es schlägt also die Stunde null für Mülheims Klimaschutz – im dritten Anlauf.

Drei sogenannte „Klimaschutz-Workshops“ hat die Stadt in der ersten Jahreshälfte geplant. Denn damit es die Energiewende, die CO2-Neutralität und alles das, was in Mülheim bisher in der Theorie erarbeitet, aber praktisch kaum umgesetzt wurde, diesmal in die Praxis schafft, braucht es politische Entschlossenheit, aber mehr noch die der Bürgerinnen und Bürger. So kündigt Umweltdezernent Felix Blasch im ersten Workshop den Klimaschutz als ein „epochales Projekt“ an, „wir müssen auch hier von einer Zeitenwende sprechen“. Denn die schiere Menge an unerledigten Aufgaben in der Kommune kann erschlagend wirken.

Das müsste Mülheim im Bereich Wärme tun: 1750 Wärmepumpen im Jahr

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Beispiele dafür hat der erste Klimaworkshop einige geboten: Um die Klimaneutralität 2035 zu erreichen, müsste Mülheim im Sektor Wärme von Öl und Gas wesentlich auf Wärmepumpen sowie auf Nah- und Fernwärme umstellen. Doch rund 93 Prozent der Gebäude in Mülheim werden noch mit Öl und Gas beheizt – in nur 13 Jahren müssten dagegen 42 Prozent mit einer Wärmepumpe ausgerüstet sein. 2019 waren es nur ein Prozent. Jedes Jahr also müssten 1750 Wärmepumpen, sprich sechs pro Tag installiert werden.

Verbesserungen im Sektor Wärme können vor allem bei den großen Wohnungsgesellschaften schnell erreicht werden: „Hier ist die Energiewende noch gar nicht richtig angekommen, denn diese Kosten trägt ja der Mieter“, sieht Architekt Ulrich Bergermann in einer Expertenrunde mit Mitarbeitenden des Fraunhofer Instituts sowie der „Energielenker“ hier Ansätze für Nahwärme und Mieterstrom. Auch so genannte Warmmiete-Modelle könnten Anreize für Vermieter bieten, auf alternative Wärmeerzeugung umzustellen.

Die Autostadt Mülheim müsste nicht nur ihren Verkehr von Verbrenner auf alternative Antriebe umstellen, sondern auch die Menge der gefahrenen Kilometer senken. Karen Janßen (Fraunhofer Institut), Timo Spors (Grüner Vorsitzender des Mobilitätsausschusses) und Architekt Ulrich Bergermann diskutierten, wie.
Die Autostadt Mülheim müsste nicht nur ihren Verkehr von Verbrenner auf alternative Antriebe umstellen, sondern auch die Menge der gefahrenen Kilometer senken. Karen Janßen (Fraunhofer Institut), Timo Spors (Grüner Vorsitzender des Mobilitätsausschusses) und Architekt Ulrich Bergermann diskutierten, wie. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Das müsste Mülheim im Bereich Verkehr tun: Verbrenner drastisch reduzieren

Besonders desolat sieht die Klimabilanz Mülheims beim Verkehr aus, denn hier hat die Stadt in 30 Jahren „Klimaschutz“ kaum Verbesserungen erreicht – im Gegenteil: Jedes Jahr wächst in Mülheim die Zahl der Fahrzeuge um etwa ein Prozent. Zu über 90 Prozent sind diese mit fossilem Antrieb ausgerüstet. Und die stoßen jedes Jahr rund 359.000 Tonnen Treibhausgase aus – 1990 waren es 361.000.

Im Vergleich: Die CO2-Bilanz im Bereich Industrie sank in dieser Zeit auf ein Drittel, bei den privaten Haushalten immerhin um ein Drittel. 2035 dürften maximal 25 Prozent der Fahrzeuge fossile Verbrennermotoren besitzen, 75 Prozent mit alternativen Energieantrieben ausgerüstet sein. Als Anreiz müsste die Stadt dann 2000 Ladepunkte im öffentlichen Raum anbieten. Gut 150 neue Ladepunkte pro Jahr wären dafür notwendig, derzeit gibt es etwa 55.

Doch auch das reichte nicht: Mülheim muss auch die Fahrleistung pro Fahrzeug senken von derzeit etwa 10926 Kilometer pro Fahrzeug auf 9672. Sprich: Es müsst mehr gelaufen, mit dem Rad oder Bus gefahren werden. „Wir müssen gegen den Trend arbeiten“, macht sich Timo Spors, grüner Vorsitzender des Mobilitätsausschusses in Mülheim, für die Alternativen stark. An welchen Stellen die Politik dafür auch zu harten Verboten greifen will, ist jedoch offen.

Das müsste Mülheim im Bereich Energie tun: PV, PV, PV

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Für all das aber benötigt die Stadt ungeheure Energiemengen: Drei Windkraftanlagen mit insgesamt mindestens sechs Megawatt Leistung müssten in Styrum stehen. Derzeit ist es nur eine mit 2,3 MW und wann die zweite laufen kann, ist ungewiss. Weitere Flächen sind dagegen nicht ausgewiesen.

18 Megawatt erzeugen laut Angaben der Stadt die größtenteils privaten Photovoltaikanlagen auf Mülheims Dächern, es werden aber 280 Megawattpeak bis 2035 benötigt – das ist eben so viel pro Jahr, wie in den vergangenen rund 15 Jahren gebaut wurden. Konkret hieße das etwa 2000 Anlagen im Jahr. Perspektivisch aber liegt auf Mülheims Dächern das meiste Potenzial.

Mülheim und der Klimaschutz – so liefen die Debatten bisher

Der zweitmeiste Ertrag wäre aus Sicht der Expertenrunde beim Klimaworkshop auf Mülheims Freiflächen zu erzielen. Pläne, wie Sonnenenergie auch gemeinsam mit Erzeugnissen der Landwirtschaft geerntet werden könnte, liegen wohl seit 2017 in der Schublade des Dezernats im Technischen Rathaus. Herausgezogen hat sie der damalige Umweltdezernent Peter Vermeulen nie.

Wenn sein Nachfolger Felix Blasch sich daran setzte, könnten auf Mülheimer Gebiet rund 115 Megawattpeak im Jahr erzeugt werden. Architekt Bergermann sieht darin ein wichtiges Standbein der Energiewende, kritisiert allerdings die noch enormen Hürden zum Beispiel durch erforderliche Änderungen von Flächennutzungsplänen: „Wenn Sie die ändern wollen, müssen sie viel Zeit mitbringen.“ Mülheim allerdings bleiben nur noch knapp 13 Jahre.

So geht die Debatte weiter – auch mit Beteiligung der Mülheimerinnen und Mülheimer

Der nächste Workshop am 20. April mit geladenen Gästen wird sich mit Klimaschutzmaßnahmen beschäftigen, ein dritter am 8. Mai greift die Fragen von Priorisierung und Umsetzung der Maßnahmen auf.

Verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung sind außerdem geplant. Die erste Online-Variante soll vom 15. April bis 15. Mai möglich werden. Infos dazu gibt es bald unter www.muelheim-ruhr.deIm Sommer will die Stadt die Ergebnisse der Workshops den Bürgern vorstellen und um Mitwirkung bitten.