Mülheim. PFAS-Chemikalien sind fast überall – auch in Mülheims Ruhr. Was bedeutet das fürs Trinkwasser, fürs Baden und das Angeln? Das sagen Behörden.
Sie stecken in der Bratpfanne, der Arbeitskleidung, im Pizzakarton, in Pflanzen oder sogar im Nektar von Bienen. Doch wie gefährlich sind die PFAS-Werte in der Ruhr? Seit einer veröffentlichten Recherche von Süddeutsche Zeitung, WDR, NDR und Le Monde, die rund 400 Kontaminierungen durch „Polyfluorierte Alkylsubstanzen“ in NRW und nicht wenige davon entlang der Ruhr aufzeigte, ist die Verunsicherung groß. Darf man vom Ruhrwasser trinken, Fische daraus essen, darin baden? Denn auch in Mülheim machte man wenigstens einen Ort aus, an dem erst kürzlich der Grenzwert massiv überschritten wurde.
Rund 10.000 Nanogramm pro Liter gibt die journalistische Recherche für das Jahr 2021 im Oberflächenwasser nahe dem Kraftwerk auf der Schleuseninsel an sowie weitere 3579 Nanogramm pro Kilo im Sediment an nahezu gleicher Stelle. Damit überschreitet der angegebene Wert die festgelegte Höchstkonzentration von 0,65 Nanogramm im Wasser um mehr als das Tausendfache.
Welche Gefahr durch PFAS besteht in Mülheim: Behörden antworten zögerlich
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Als einmaligen Spitzenwert lässt das Gesetz zwar durchaus mehr Spielräume zu. Hier wären sogar einmalige Spitzen von 36.000 Nanogramm (36 Mikrogramm) pro Liter möglich, rund das Dreifache der Messung auf Mülheimer Gebiet von 2021. „Perfluorierte Alkylsubstanzen“ jedoch können über Jahrzehnte fortbestehen, Spitzenwerte also sind genau zu beobachten, wie ,nachhaltig’ sie sind. Denn: PFAS können massive Schäden an der Gesundheit verursachen, wie Krebs, Leberschäden, Fruchtbarkeitsstörungen.
Welche Gefahr also geht von den Mülheimer Werten aus? Wer bei Behörden nach einer Einschätzung fragt, bekommt wenig klare Aussagen. Stattdessen verweist man weiter: die Untere Wasserschutzbehörde in Mülheim auf die Zuständigkeit der Bezirksregierung Düsseldorf, die Bezirksregierung auf das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv), das Lanuv auf verschiedene Grenzwerte.
Mülheimer Behörde stuft PFOS-Werte von 2015 bis 2018 als ,nicht gut’ ein
Dabei wird auch die Recherche der Journalisten hinterfragt – „die aufgeführten Messwerte wurden von Journalisten und nicht von amtlichen Stellen zusammengestellt und aufbereitet, stammen aber grundsätzlich aus verschiedenen Quellen“, merkt die kommissarische Umweltamtsleiterin Ulrike Bresa mit Vorsicht, aber zurecht an. Denn dies erschwert die Überprüfbarkeit der Funde.
So viel zumindest kann Bresa zur Situation des Oberflächengewässers Ruhr an der Messstelle Mülheim-Kahlenberg sagen: „In 2015 bis 2018 wurde der chemische Zustand bezogen auf den Grenzwert von PFOS (Anmerk. d. Red.: auch die Perfluoroktansulfonsäuren zählen zu den PFAS) als ,nicht gut’ eingestuft.“
Die Bezirksregierung Düsseldorf benennt für 2021 und 2022 von 270 Messungen, die an der Messstelle Mülheim-Kahlenberg vorgenommen wurden, nur sieben, die oberhalb der Bestimmungsgrenze des Analyseverfahrens lagen.
So sind die Werte im Mülheimer Trinkwasser
Dass sich aktuell keine Behörde zu weit aus dem Fenster lehnen will, kann an dem Stoff selbst liegen – oder besser: der Stoffgruppe. 4700 Substanzen sammeln sich unter dem Begriff PFAS und für jeden einzelnen Stoff existieren jeweils andere Grenzwerte – oder auch gar keine. Denn nur eine Teilmenge – 20 sogenannte Zielverbindungen – werden mit Grenzwerten belegt. Kritiker sagen, diese Verzweigung habe Methode. Denn so können Produzenten bei Verboten schnell auf die nächste nicht bewertete Variante umstellen.
Und diese Grenzwerte sind noch abhängig davon, ob PFAS etwa im Grund-, Oberflächen-, Trinkwasser, im Boden oder aber in Lebensmitteln wie Fisch gefunden wurden. Zumindest für das Trinkwasser kann Ramon Steggink, Pressesprecher bei den Rheinisch Westfälischen Wasserwerken RWW, beruhigen: „Zuletzt haben wir einen Wert von zwei Nanogramm im Trinkwasser gemessen.“ Überwacht wird an verschiedenen Stellen an der Ruhr, wo Trinkwasser gewonnen wird, aber, so räumt Steggink ein, erst seit 2021.
Zwar gebe es, laut Steggink, in der aktuell gültigen Fassung der deutschen Trinkwasserverordnung noch keinen Grenzwert für PFAS. RWW erwarte jedoch, dass die EU-Trinkwasserrichtlinie umgesetzt werde. Der von der EU derzeit diskutierte Grenzwert liegt bei 100 Nanogramm pro Liter; die gefundenen Werte erreichen somit zwei Prozent des Grenzwertes.
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PFAS in der Ruhr – wie steht’s ums Baden und Angeln?
Auch im Oberflächengewässer der Ruhr habe RWW nur drei Nanogramm pro Liter gemessen – damit läge man auch hier ohne eine Aufbereitung des gewonnenen Wassers deutlich unter den EU-Grenzwerten. „In unseren Wasserwerken an der Ruhr setzen wir verschiedene Prozessschritte zur Aufbereitung des Ruhrwassers zum fertigen Trinkwasser ein“, sagt Steggink, etwa die Filtration des Rohwassers über Aktivkohle. Mit den organischen Spurenstoffen werden auch PFAS-Gruppe herausgefiltert, selbst wenn diese die Ruhr stärker belasten würden als gemessen. Zu den deutlich höheren Messwerten der Journalisten will sich RWW aber nicht äußern, „da wir nicht wissen, woher die Daten stammen“.
Wie gefährlich sind Baden und Angeln durch PFAS in der Ruhr? Die Bezirksregierung verweist beim Baden auf die Zuständigkeit des örtlichen Gesundheitsamts. Das Lanuv verweist darauf, dass hier die Ruhr als Fließgewässer nicht freigegeben ist, auch wegen Gefahren durch Strömung und Schifffahrt. Für das Angeln allerdings gelten bereits Empfehlungen des Landesamtes. So sollte der Verzehr von Fischen laut der Messstellen Baldeneysee, Kettwiger Stausee sowie an der Ruhr-Mündung auf maximal fünf pro Jahr (Rotauge: 6, Barsch: 2) begrenzt werden. Für die Mülheimer Messstelle Kahlenberg gibt es jedoch keine Angaben.
So prüft das Lanuv
Weitere Messdaten kann übrigens das Lanuv bieten: 1313 Wasserproben auf PFAS hat das Lanuv zwischen 2015 und 2022 an der Messstation Kahlenberg analysiert. „Im Juni 2015 wurde der Maximalwert von 76 Nanogramm pro Liter für die Summe der untersuchten PFAS gemessen“, antwortet das Landesamt auf Anfrage. Im Juli 2021 seien am Messpunkt 28 Nanogramm für die Summe der untersuchten PFAS im Wasser nachgewiesen worden.
Doch weder das Lanuv kann den von der Zeitung Le Monde dargestellten Wert (10.000 ng/l) bestätigen noch die Bezirksregierung Düsseldorf: Er sei im elektronischen wasserwirtschaftlichen Verbundsystem ELWAS „nicht reproduzierbar“, heißt es. Bestätigen kann die Bezirksregierung dafür jene 3579 Nanogramm im Sediment, teilt aber mit: „Für Sediment und Schwebstoffe bestehen keine Grenz- oder Orientierungswerte, somit kann keine Einordnung der Messerergebnisse erfolgen.“