Mülheim. Bundesärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt spricht in Mülheims EKM über Kommerzialisierung der Medizin. Im Fokus: Investoren mit Renditeerwartung.
Das Thema scheint einen Nerv zu treffen. Denn an diesem Dienstagabend ist der Veranstaltungsraum „Kasino“ im Evangelischen Krankenhaus Mülheim EKM gut gefüllt. Medizinerinnen und Mediziner aus Mülheim und Umgebung treffen sich hier, um gemeinsam über ein Thema zu diskutieren, das – wie es der Titel schon anzeigt – nicht nur die Ärzteschaft umtreibt: „Kommerzialisierung in der Medizin – Bleibt der Patient auf der Strecke?“
Ein weites Feld, weswegen der prominente Gast an diesem Abend, Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, sich auch Mühe gibt, die Konfliktlinien von Medizin und Ökonomie an einem konkreten und zuletzt medial vielfach diskutierten Phänomen aufzuzeigen: der stetig wachsenden Zahl Medizinischer Versorgungszentren (MVZ).
Die Ursprungsidee hinter den Medizinischen Versorgungszentren
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Dabei sind MVZ keine ganz neue Erscheinung. 2004 im Zuge der Gesundheitsreform entstanden, sollten die damals neu geschaffenen Einrichtungen zunächst Lohnnebenkosten sparen. Die Idee: Wenn mehrere Fachärzte unter einem Dach arbeiten, entstehen die berühmten Synergieeffekte. Und wenn es sich dann noch um verschiedene Fachrichtungen handelt, könnten MVZ gerade für den ländlichen Raum auch ein Mittel sein, der grassierenden Unterversorgung Herr zu werden. Doch heute beobachten Experten einen gegenläufigen Trend: Die meisten MVZ befinden sich in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet; viele haben sich zudem auf eine Fachrichtung spezialisiert.
So sei das nicht geplant gewesen, erklärt Reinhardt, der in seinem Eingangsvortrag großen Wert auf eine Differenzierung ökonomischer und kommerzieller Praktiken im Gesundheitswesen legt. Durchaus selbstkritisch leitet der Bundesärztepräsident seine Vortrag ein: „Die Ärzteschaft hat lange Jahre mit der Ökonomie gefremdelt“, viele Kollegen hätten die „ökonomischen Zahlen ausgeblendet“. Dabei sei jede Praxis eben auch ein Geschäft, das sich rentieren müsse. Mittlerweile habe bei den meisten ein Lernprozess eingesetzt. Von Kommerzialisierung solle dagegen nur dann die Rede sein, wenn ökonomisches Denken das ärztliche Handeln anleitet, wenn also – so der vielsagende Versprecher einer der anwesenden Fachleute – der Arzt nicht das Beste für sondern eher das Beste vom Patienten will.
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Und das scheint, so die von fast allen an diesem Abend geteilte Befürchtung, am ehesten bei den investorengetragenen MVZ, kurz iMVZ, der Fall zu sein. Seit 2004 ist es nämlich auch Kapitalbeteiligungsgesellschaften möglich, statt beispielsweise in ein Münchener Tech-Start-Up in ein zahnmedizinisches Versorgungszentrum in Mülheim zu investieren – inklusive entsprechender Renditeerwartungen. Die Politik hat das brisante Thema bereits auf dem Schirm: Karl Lauterbach habe ihm gegenüber, so Reinhardt, versichert, in den kommenden Tagen ein bereits angekündigtes Papier zum Thema vorzustellen.
Im iMVZ trifft der Berufsethos von Ärzten auf die Gewinnorientierung von Kapitalgebern. Erhalten letztere zu viel Gewicht, werden Operationen durchgeführt, die eigentlich nicht nötig wären (aber rentabel sind). Umgekehrt fallen Behandlungen aus – weil sie sich nicht lohnen. Von Kliniken betriebene MVZ arbeiteten, so Reinhardt, zum Teil mit Raten, die festlegen, wie viele Patienten pro Quartal mindestens in die Betreiberklinik überwiesen werden müssen. Derlei Auswüchse müssten unbedingt bekämpft werden, so der Bundesärztepräsident, der sich gleichwohl „Strukturen modernen Unternehmertums“ nicht verschließen wolle. Ein gutes Beispiel sei das hiesige MVZ des EKM Mülheim.
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Medizinische Versorgungszentren böten nämlich auch eine Reihe von Vorzügen. Mediziner schätzen die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Entlastung von geschäftlicher Verantwortung und seien dann auch bereit, „auf wirtschaftlichen Mehrwert zu verzichten“. Das sei nachvollziehbar und „nicht verwerflich“. Gerade die neue Generation von Fachärztinnen und -ärzten schrecke von der finanziellen, fachlichen und räumlichen Bindung an eine eigene Praxis zurück. Wer sich nicht für die nächsten 30 Jahre festlegen will, sei in einem MVZ (oder in einer Klinik) mit Anstellungsverhältnis vielleicht besser aufgehoben.
Der „sprechenden Medizin“ wieder einen höheren Stellenwert einräumen
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Diejenigen dagegen, die sich aktiv um eine Praxis samt Vertragsarztsitz bemühen, unterlägen jetzt immer häufiger privaten Investoren. Es herrsche ein Ungleichgewicht, das sich zukünftig noch verstärken könnte. Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein weist darauf hin, dass die Gebote der Investoren auch deswegen so hoch seien, weil die Lebenszeit von einmal etablierten MVZ quasi „unendlich“ sei: Das Team im MVZ wechselt nach Belieben, ausgeschiedene Ärzte werden ersetzt. Eine ,normale Praxis’ hat dagegen eine „biologische Lebensdauer“ von 30 bis 35 Jahren, um dann an einen Nachfolger veräußert zu werden.
Andere Themen an diesem Abend waren die Entwicklung des Klinikmanagements und die aktuellen Gebührenordnungen und Honorarregelungen. Wieder ein weites Feld. Ein konkreter Einsatzpunkt schien aber doch an diesem Abend deutlich hervorzutreten: Der ,sprechenden Medizin’ müsse wieder mehr Zeit eingeräumt werden, war mehrfach zu hören. Patienten wünschten sich mehr Zeit zum beratenden Gespräch, Ärzte ebenso. Geschaffen werden müssten deswegen bessere Abrechnungsmöglichkeiten.