Mülheim. Das Teilhabechancengesetz soll Langzeitarbeitslosen den Weg in den Arbeitsmarkt ebnen. Wie das bei Mülheims größtem „sozialen Arbeitgeber“ läuft.

Ein Ringen um Spracherwerb, Qualifikation und ja, auch um Würde: Es sind Biografien wie die von Herrn D., Herrn G. und so vielen anderen Menschen, die im Diakoniewerk an der Georgstraße einen Job gefunden haben. Durch den sozialen Arbeitsmarkt haben sie die Chance auf eine Beschäftigung erhalten, wenn auch geringfügiger Art. Durch das im Koalitionsvertrag verankerte Teilhabechancengesetz sollen Langzeitarbeitslose unterstützt, „ihre Beschäftigungsfähigkeit durch intensive Betreuung, individuelle Beratung und wirksame Förderung verbessert“ werden.

Das Werk des kirchlichen Trägers vereint unter anderem Tafel, Kleider-, Möbelladen und Schreinerei unter einem großen Dach. Die Beschäftigungsmöglichkeiten sind mannigfaltig, das Diakoniewerk ist Mülheims größter Arbeitgeber im Bereich des sozialen Arbeitsmarkts. Grund genug für Kerstin Griese (SPD), Bundestagsmitglied und Parlamentarische Staatssekretärin für Arbeit und Soziales, der Einrichtung einen Besuch abzustatten.

Arbeitsmarkt in Mülheim: Qualifizierung ist essenziell

In marineblauer Jacke und mit pinker FFP2-Maske steht die 56-Jährige an diesem Nachmittag in der Kleiderkammer des Diakoniewerks. Mehrere Menschen laufen geschäftig durch den weitläufigen Raum mit den hohen Decken und der Nähnische in der Ecke. Haufen an Kleidern türmen sich auf einem der großen Tische auf, Plüschtiere auf dem nächsten. „Hallo“, grüßt die Staatssekretärin die Mitarbeitenden und wünscht im Vorbeigehen zum Abschied „frohe Weihnachten“. An einer lebensgroßen Porzellanfigur eines afghanischen Windhundes kommt die SPD-Politikerin zum Stehen. „Geschmäcker sind verschieden“, sagt sie und erntet Schmunzeln aus der Runde.

Kerstin Griese (SPD) besucht das Diakoniewerk in Mülheim.
Kerstin Griese (SPD) besucht das Diakoniewerk in Mülheim. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die Runde, das sind die SPD-Landtagsabgeordneten Sebastian Fiedler, Elisabeth Müller-Witt und Rodion Bakum sowie Dominik Schreyer und Monika Otto von der Geschäftsführung des Diakoniewerks. Vor Ort ist man sich einig: Mit dem Teilhabechancengesetz ist der Weg für etwas Gutes bereitet worden. Der gängigen Kritik, man halte dadurch Menschen vom „echten“ Arbeitsmarkt fern und als günstige Arbeitskräfte an ihnen fest, setzt Griese entgegen: „Es muss noch mehr in Qualifizierung investiert werden.“ Erklärtes Ziel sei natürlich die Eingliederung in den Arbeitsmarkt – sofern denn möglich.

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Langzeitarbeitslose fallen oftmals durch das Raster

„Da spielen oft familiäre Voraussetzungen und andere Faktoren eine Rolle“, sagt die SPD-Abgeordnete für Niederberg und Ratingen. „Mit Coachings kommt man oft nicht weiter“, gesteht sie die Grenzen behördlicher Maßnahmen ein, manche Leute fielen einfach „durchs Raster“. Ein Beispiel dafür: Herr D., der für den Einlass bei der Tafel des Diakoniewerks zuständig ist, erzählt Geschäftsführerin Monika Otto. „Er hat noch zwei Jahre bis zur Rente. Soll er sich da jetzt noch mal kurz vor Schluss umschulen lassen in der Hoffnung, einen Job zu kriegen?“

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Beim Werk des Trägers sind 30 Menschen nach der sogenannten „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ oder auch Paragraf 16i beschäftigt, 16 weitere zur „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ gemäß Paragraf 16e des Sozialgesetzbuches. Die Nachfrage sei groß an der Georgstraße, immer wieder kämen Menschen mit dem Wunsch nach einer Beschäftigung vorbei. „Als kirchlicher Träger ist es unser Ziel, niemanden abzulehnen“, erklärt Dominik Schreyer. Und irgendwie gelingt es auch immer, einen Platz zu finden – „in der Regel“. So wie bei Herrn G., der in der Schreinerei des Werks arbeitet. „Eigentlich habe ich einen guten Draht zu ihm“, so Schreyer. „Aber wenn es darum geht, einen Deutschkurs zu besuchen, macht er komplett zu.“

In der Schreinerei des Diakoniewerks entstehen Möbel aus Palettenholz, gefertigt von ehemaligen Langzeitarbeitslosen. Im Bild, v.l.: Dominic Schreyer, Geschäftsführer Diakoniewerk, Kerstin Griese (SPD), Sebastian Fiedler (SPD), Elisabeth Müller-Witt (SPD) und Rodion Bakum (SPD) und Monika Otto, Geschäftsführerin Diakoniewerk.
In der Schreinerei des Diakoniewerks entstehen Möbel aus Palettenholz, gefertigt von ehemaligen Langzeitarbeitslosen. Im Bild, v.l.: Dominic Schreyer, Geschäftsführer Diakoniewerk, Kerstin Griese (SPD), Sebastian Fiedler (SPD), Elisabeth Müller-Witt (SPD) und Rodion Bakum (SPD) und Monika Otto, Geschäftsführerin Diakoniewerk. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Mülheimer Diakoniewerk beschäftigt auch nach Arbeitsgelegenheit

Wie das mit Maßnahmen eben so ist, enden diese fristgerecht. So auch die sogenannten Arbeitsgelegenheiten, kurz AGH. Ein Mittel, um Arbeitslosen Alltagsroutinen zu bieten und den Weg in den Arbeitsmarkt zu ebnen. Von einem Träger angeboten, wird die Beschäftigung vom Jobcenter vermittelt und die Stellen dafür beim Träger genehmigt. „Wir haben eigentlich 170 AGH-Stellen, davon sind aktuell 51 Prozent besetzt“, erklärt Monika Otto. Laut Kerstin Griese ist das unter anderem auf die massive Unterbesetzung der Jobcenter zurückzuführen – aber nicht allein: „Durch die vorläufige Haushaltsführung fehlt es oftmals an Mitteln, die dann am Ende doch übrig sind.“

Zwar sind es am Ende Gesetze, Bürokratie und finanzielle Mittel, die über das Schicksal vieler Langzeitarbeitsloser entscheiden können, aber manchmal gibt es eben auch Chancen, kleine Schlupflöcher, die ermöglichen, was sich nicht quantifizieren lässt: Würde. So wie bei Herrn D. und Herrn G., die beide beim Diakoniewerk bleiben dürfen, wie Dominik Schreyer das vorläufige Ende der beiden Biografien liefert. „Ich habe zu ihm gesagt: Dein Platz ist bei uns.“