Mülheim. Seit Monaten knirscht es im Getriebe zwischen dem neuen Jugendstadtrat und dem Mülheimer Jugendamt. Von toxischer Arbeitsweise ist die Rede.

Gebrodelt hat es im Jugendstadtrat schon seit etlichen Jahren, denn ohne echte Mitsprache in den politischen Gremien war die Vertretung der Jugend in Mülheim nicht viel mehr als ein Papiertiger. Ein ambitioniertes Konzept versprach das zu ändern. Doch acht Monate nach diesem Neustart hegt das Jugendparlament erneut Zweifel an dessen Ernsthaftigkeit. Der Grund: Ausgerechnet das Jugendamt blockiere ihre Arbeit.

Wie lange braucht man, um ein neues E-Mail-Konto einzurichten? In der Alltagspraxis vielleicht zehn Minuten. Beim Jugendamt kann das schon mal acht Monate dauern. Im Jugendhilfeausschuss meldete das Leitungsteam des Jugendstadtrates – kurz JSR – in ihrem Evaluationsbericht nun feinsinnig den Erfolg – „in der vergangenen Woche“.

Jugendstadtrat beklagt „toxische Arbeitsweise“ des Jugendamts

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Das mögen Petitessen sein, doch auch von „toxischer Arbeitsweise“ sprechen die jungen Leute, von verhinderten Projekten, deren Gründe nicht nachvollziehbar wären, von langwierigen bürokratischen Hürden durch das Jugendamt, von Anrufen, die vom Amt wochenlang oder gar nicht erwidert würden. Und von „nicht nachvollziehbaren Kosten“ über 2000 Euro für ein „Konzeptionswochenende“, das für den Jugendstadtrat abgerechnet worden sei, ohne dass dieser die angeblichen Personal- und Materialkosten hätte im Nachgang kontrollieren oder gar im Vorfeld über sie hätte bestimmen können.

Warum? Ein Beschluss sei nicht nötig, weil es ja nicht die Mittel des Jugendstadtrates, sondern des Jugendamtes gewesen seien, habe das Jugendamt auf Anfrage der Mitglieder geantwortet. Die Ergebnisse des 2000 Euro teuren Wochenendes sind jedoch aus Sicht der jungen Leute „nicht nennenswert gewesen“ und es sei allen Beteiligten eher „wie eine Last vorgekommen, als dass es den JSR vorangebracht habe“.

Mit bunten Konzepten wollten Stadt und Politik in Mülheim die politische Arbeit von engagierten Jugendlichen und somit auch die Demokratie stärken. Die alltägliche Zusammenarbeit zwischen JSR und Jugendamt offenbarte aber graue Bürokratie, geht aus einer Evaluation der Jugendlichen hervor.
Mit bunten Konzepten wollten Stadt und Politik in Mülheim die politische Arbeit von engagierten Jugendlichen und somit auch die Demokratie stärken. Die alltägliche Zusammenarbeit zwischen JSR und Jugendamt offenbarte aber graue Bürokratie, geht aus einer Evaluation der Jugendlichen hervor. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Grüne fordern: Jugendstadtrat muss ,politischer’ werden

Zwar fehlten beim Jugendamt derzeit etwa drei Stellen für die Jugendarbeit insgesamt – die Betreuung des JSR müsse man zusätzlich bewältigen, hieß es. Doch die Jugendvertreter haben Zweifel daran, dass die Vorkommnisse nur auf den Personalengpass zurückzuführen seien. Weil eben Ideen und Entscheidungen vom Jugendamt aktiv blockiert oder an lange Entscheidungswege geknüpft worden seien. Diese Dämpfer hätten sich bereits auf das hohe Engagement der anfangs gut 50 Jugendlichen ausgewirkt. Einzig die Zusammenarbeit mit dem Rats- und Rechtsamt der Stadt und Bildungsdezernent David Lüngen sowie Politikerinnen und Politikern verschiedener Ratsfraktionen funktioniere gut.

Kehren die Engagierten nach einem hoffnungsvollen Start enttäuscht der parlamentarischen Demokratie – immerhin das Kernstück unserer Gesellschaft – den Rücken? „Der Jugendstadtrat muss politischer werden“, entgegnete der ebenfalls junge Grüne Stadtverordnete Timo Spors im Jugendhilfeausschuss.

Erst konkrete Aktionen stellte der Jugendstadtrat im März 2022 auf die Beine. Beim „Cleanwalk“ wurde Müll gesammelt. Doch die erhoffte politische Beteiligung gestaltete sich mehr als zäh.
Erst konkrete Aktionen stellte der Jugendstadtrat im März 2022 auf die Beine. Beim „Cleanwalk“ wurde Müll gesammelt. Doch die erhoffte politische Beteiligung gestaltete sich mehr als zäh. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

SPD sagt Unterstützung zu, „auch wenn es uns mal nicht passt“

Das kam beim Leitungsteam des JSR spürbar zwiespältig an. Denn genau das wollen die jungen Engagierten ja. Doch selbst in diesem Punkt der politischen Beteiligung, die im neuen Konzept durch so genannte Politikpaten aus dem Rat gefördert werden sollte, hakt es beträchtlich. Spors musste dabei einräumen, dass es durch die Legung der Sitzungstermine des Jugendstadtrates zu Überschneidungen von Ausschüssen komme und auch er oft nicht teilnehmen könne: „Ihr bräuchtet auch viel mehr Anleitung in den Ausschüssen.“

Filip Fischer, SPD-Stadtverordneter und einst im Jugendparlament aktiv, widersprach dem Grünen: „Der Jugendstadtrat ist schon politisch, ihr bekommt nur nicht die Möglichkeit, euch einzubringen.“ Die Kritik der Jugendlichen wertete Fischer als „dramatisch“, gleichzeitig sagte dieser die Unterstützung zu, „auch wenn uns eine Haltung mal nicht gefällt“.

Jugendamt weist massive Kritik zurück und fordert „gegenseitigen Respekt“

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Gefallen hatte die massive Kritik auch den anwesenden Jugendamtsmitarbeitenden sichtbar nicht. „Die Unzufriedenheit kann durchaus nachvollzogen werden. Wir wollen uns aber nicht für etwas rechtfertigen, was wir nicht zu verantworten haben“, antwortete Lydia Schallwig vom Amt 45. Für die drei offenen Stellen im Jugendamt seien aber keine Bewerbungen eingegangen. Der Mitarbeitende für die Betreuungsstelle des JSR müsse daher immer wieder Aufgaben aus seinem früheren Arbeitsfeld übernehmen.

Es werde daher leider immer wieder zu Einschränkungen kommen, kündigte Schallwig an. Man wolle aber die „Verbesserungsvorschläge im gegenseitigen Respekt aufgreifen, Arbeitsweisen und Strukturen hinterfragen und Unklarheiten beseitigen“. Unterstützung bot Schallwig bei unklaren Zuständigkeiten des Leitungsgremiums und der Ausarbeitung seiner Aufgaben an. Auch die Idee, häufiger als Jugendstadtrat zu tagen, um sich politisch besser in die Gremien des Rates einbringen zu können, wolle man fördern.

Schule, ÖPNV, Klima: Jugendstadtrat kündigt an, stärker politisch mitreden zu wollen

Für das Leitungsteam des JSR scheint eine Arbeit unter dem Schirm des – unterbesetzten – Jugendamtes jedoch keine denkbare Option mehr: „Wir wollen als Ganzes stattdessen an das Rechtsamt angesiedelt werden, dort arbeitet man zielorientiert“, sagt Julian Sroka. In Einzelpunkten und in Fachfragen wolle man mit dem Jugendamt aber kooperieren. „Wir wollen arbeitsfähiger werden, und bei Themen wie ÖPNV, Stadtentwicklung, Jugendangebote, Schule, Drogenpolitik und Klima politisch mitreden“, kündigt Sroka an. Dafür müsse das neue Konzept des Jugendstadtrates weiter verbessert werden.