Mülheim. Vielfalt steht beim vierten Mülheimer Hundertpro-Festival im Vordergrund: Tanz und Comedy widmen sich der „Diversität“. So reagierte das Publikum.
Beim diesjährigen inzwischen schon vierten Hundertpro-Festival für Nachwuchskünstler steht bereits das humorige Moderationsduo Mari Volar und Temye Tesfu für das Thema Diversität. Eingeleitet von den bombastischen Raumschiff-Enterprise-Klängen zeigt sich die estnische Komikerin Mari Volar selbstbewusst auf Englisch als „weiße dicke Frau, die kein Wort Deutsch kann“, während der dünne, dunkelhäutige Temye Tesfu ins Deutsche übersetzt – eine plakativ und witzig präsentierte Verschiedenheit auf einen Blick.
Die Tanz-Performance „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ von der ungarischen Choreographin Beatrix Simkó eröffnet das Festival vor rund 250 Zuschauern – viele Künstlerinnen und Künstler gesellen sich zu den Besuchern. Wunderbar anschaulich agieren die zwei Frauen und zwei Männer mit ihren akrobatisch-tänzerischen Elementen das Thema Verschiedenheit gruppendynamisch aus.
Tänzer zittern eindrucksvoll wie Fische auf dem Trockenen
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Zu Beginn faszinieren die vier zunächst als homogene Gruppe, wirken wie ein Wesen, dessen Gliedmaßen kaum mehr zu unterscheiden sind, doch dann bricht alles auseinander. „You touch me“, klagt ein Tänzer an, und die Gruppe bricht auseinander, zerfällt in Individuen, nur langsam werden wieder Beziehungen geknüpft, Annäherungen gewagt.
Manch einer erkennt greifbare Bilder wie „Arbeit“ und „Pressure“ (Druck) bei den roboterhaften Bewegungen, oder auch „Fische auf dem Trockenen“, wenn bei allen Tanzenden im Liegen die Glieder zittern. Interpretationen, die Beatrix Simkó amüsiert und freudig zur Kenntnis nimmt, genau das macht Tanz ja auch aus, diese subjektive Wahrnehmung, sagt sie. Mit Riesenapplaus, viel Gejohle und überschäumender Begeisterung, so beginnt dieses Hundertpro-Festival.
Mülheimer Festival gibt 100 Prozent Tanz und Comedy: „Du kannst nicht alles sehen“
Divers ist schon das Angebot aus Liveauftritten aus den Bereichen Tanz und Comedy, zusätzlich zu den angestammten zwei Bühnen mit parallelem Liveprogramm gibt es dieses Jahr noch eine dritte mit Videos in Endlosschleife. Gemütliche Sitzkissen laden zum Verweilen ein, sind allerdings arg dicht an die große Leinwand postiert, wer – nach Belieben – kommt, macht es sich lieber hinten bei den Stehtischen gemütlich. Für die beiden Livebühnen gilt, auch aus Rücksicht auf die Nachwuchskünstler: kein Nacheinlass!
Ein überall präsenter Timetable listet das parallele Geschehen auf allen drei Bühnen auf, die Länge der Liveacts ist aufeinander abgestimmt. Das Moderationsduo erklärt grinsend: „Du kannst nicht alles sehen!“ – Auch Ringlokschuppen-Dramaturg Sebastian Brohm verweist schmunzelnd auf den Festival-Charakter, spricht von „Flow“ und von der Freiheit, sich auch mal aus dem Geschehen zurückzuziehen. So gestaltet sich das Festivalprogramm ganz nach der Entscheidung jedes Einzelnen.
Anne will mit Schwester und Ehemann (alle 50 plus) erst mal nichts verpassen, hätte lieber zwei Tage Zeit dafür. Sie gibt zu: „Die viele Technomusik ist nicht so mein Ding“, und vermutet: „Wir sind wohl auch nicht die Zielgruppe.“ Das Publikum besteht hauptsächlich aus Jüngeren, von denen – Stichwort Diversität – viele Englisch sprechen. Sobald es klingelt, sind die drei auch schon weg, leert sich das Terrain des Ringlokschuppens bis auf wenige. Die Menschen gieren offensichtlich nach fulminanten Liveacts, und die liefert dieses Festival, wie das ausgiebige Dacapo verdeutlicht, hundertpro.