Mülheim. Ein Dutzend Leser durften mit Autobahn-Experten die Mülheimer Ruhrtalbrücke erkunden. Was die Brücke so stabil macht und welche Mythen stimmen.

Wie tief geht es von der Ruhrtalbrücke eigentlich runter, wie werden defekte Teile ausgetauscht wie schafft es das Konstrukt, auch heftigen Wetterumschwüngen standzuhalten? All diese Fragen wurden nun einigen Leserinnen und -Lesern der WAZ und NRZ beantwortet. Bei der Sommeraktion „WAZ öffnet Pforten“ durfte eine kleine Gruppe einen Blick hinter die Kulissen der längsten Stahlbrücke Deutschlands werfen.

Treffpunkt ist der Autobahnrastplatz Auberg, ein kleiner Seitenarm der A52, kurz bevor man aus Richtung Düsseldorf die Brücke Richtung Essen befährt. Auch wenn das (Regen-)Wetter nicht auf der Seite der dutzend neugierigen Leserinnen und Leser ist, werden sie von Bauingenieur André Deutenberg und seinem Team der Autobahn GmbH Rheinland gut gelaunt in Empfang genommen. Doch bevor es losgeht, werden alle erst einmal mit Warnweste und Helm ausgestattet, denn die Schrägen und Pfeiler innerhalb der Brücke sind nicht ungefährlich, erklärt der Fachmann.

Ruhrtalbrücke ist normalerweise gut versperrt

Der Weg ins Innere führt einen kleinen Hang hinunter. Einmal angekommen schützt der beginnende Brückenbogen vor Regen, dafür rumpeln die Lkw über die Köpfe hinweg. Was man aus dem Auto heraus sonst nicht gut erkennen kann, ist die tatsächliche Höhe der Brückenpfeiler oder auch die Tiefe des Tals.

Auf dem Weg in den Hohlraum des Pfeilers, übrigens durch eine dicke Panzertür gesichert, wie Deutenberg schmunzelnd erzählt, klären die Experten die groben Fakten. Die Ruhrtalbrücke erstreckt sich auf einer Länge von 1800 Metern, wird getragen von 18 Pfeilern und ist am höchsten Punkt um die 60 Meter tief. Ein Hohlraum unter der Fahrbahn wird für Wartungsarbeiten genutzt. „Es gibt auf beiden Seiten der Brücke diesen Raum. So kann vor Ort gearbeitet und dann direkt erneuert werden“, erklärt Deutenberg.

WAZ-Leser besichtigen das Innere der Ruhrtalbrücke in Mülheim

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Mülheim: Drei Arbeiter sind beim Bau der Ruhtalbrücke gestorben

Für Leser Klaus Tröster ist es bei weitem nicht die erste Brückenbesichtigung. Wie viele Brücken er schon besichtigt hat? „Kann ich nicht mehr zählen“, lautet seine Antwort. So viele habe er im In- und Ausland schon gesehen. So habe es ihm die französische Brücke von Millau angetan. Der Ruhrtalbrücke war er allerdings noch nie so nah wie heute.

Über das Mülheimer Bauwerk ranken sich einige Mythen und Geschichten. „Beim Bau sind drei Bauarbeiter gestorben“, bestätigt Deutenberg. „Einbetoniert wurde hier aber niemand!“ Doch über 100 Suizide sind bittere Realität. Mittlerweile könne ein hoher Zaun die Zahl aber immerhin mindern.

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Vom kargen Hohlraum geht es in den Stahlhohlkasten, der sich unter der Brücke durchzieht. Die Gruppe, die rund 200 Meter im Bauch zurücklegt, hört von Fahrbahnübergängen, die ähnlich einer Ziehharmonika dafür sorgen, dass sich die Brücke bewegen kann – zwischen Sommer und Winter liegen manchmal bis zu 90 Zentimeter. So kann die Brücke auch teils heftigen Wetterumschwüngen standhalten. Und sie erfährt, dass alle paar Jahre eine Hauptprüfung der Brücke erfolgt, eine quadratzentimetergenaue Untersuchung. Vor gut 15 Jahren wurden noch extra Träger als Stütze eingebaut. „Deutsche Wertarbeit“, sagt einer der Mitarbeiter nicht ohne Stolz. Sorgen vor einem Einbruch muss hier niemand haben.

Für Blick aufs Mülheimer Ruhrtal sollte man schwindelfrei sein

Svea Goldmann auf dem Weg nach unten.
Svea Goldmann auf dem Weg nach unten. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Svea und Brigitte Goldmann dürfen mit als erste ihre Schwindelfreiheit beweisen. Über eine enge Luke und schmale Treppe, klettern die beiden in den gitternden Kontrollkasten, der wie ein Bienennest unter der Tragfläche an einem der Pfeiler hängt. Ist die Sicht auch diesig, es ist schon beeindruckend, aus dieser Höhe auf das Ruhrtal zu blicken. Die Augen von Mutter und Tochter leuchten, als sie zurück im Brückeninneren angekommen.

Tochter Svea, studierte Bauingenieurin, hatte die Teilnahme gewonnen und Mutter Brigitte erst eifersüchtig gemacht, bis klar war, dass auch sie bei der Begehung dabei sein darf. Beide sind begeistert von den ungewohnten Einblicken. „Bei den Erklärungen spürt man die Begeisterung für den Beruf“, freut sich Brigitte Goldmann. Frau Stötzel, die neben den beiden steht, kann sich nur anschließen. Sie interessiere sich für Bauwerke, vor allem Kirchen und Brücken. Trotzdem habe sie etwas Neues gelernt. „Ich wusste nicht, dass die Brücke Platz für Bewegung hat“, erzählt sie.

Pläne für neue Ruhrtalbrücke noch am Anfang

Gebaut wurde die Brücke in den 60er Jahren, genauer gesagt von 1963 bis 1966. Doch damals herrschten andere Anforderungen. „Anfangs fuhren hier ca. 20.000 Autos täglich, heute sind es 80.000“, erklärt Deutenberg. Alles tragbar. Doch die größte Herausforderung ist die Masse an Lkw. „Früher hat man im Ernstfall mit einem Lkw pro Abschnitt geplant. Die waren einfach zu teuer“, heute werden jedoch über 72 Prozent der deutschen Transportleistung im Güterverkehr via Lkw gestemmt, die noch dazu größer und schwerer geworden sind. Wie sich die Anforderungen einer Brücke über die kommenden Jahrzehnte hinweg entwickeln, kann nur durch Modelle konstruiert werden. Aktuell wird auch im Jahr 2040 ein hohes Lkw-Aufkommen errechnet.

Die Überlegungen wie eine neue Ruhrtalbrücke aussehen könnte, haben zwar begonnen, befänden sich allerdings noch in einer frühen Vorplanungsphase. Aktuell ließe sich nicht sagen, was aus den Überlegungen von Radfahrweg und Co. werden wird. „Bei der Planung werden alle Seiten betrachtet“, erklärt Deutenberg. Es gilt sowohl die Anwohnenden, ihre Sorge vor Lärm, Radfahrer und die Autofahrer, die keine Einbußen haben wollen als auch Flora und Fauna im Blick zu haben. „Man will so wenig Ärger wie möglich“, bringt es der Experte auf den Punkt. Es wird klar, bei Brückenplanungen denkt man in Jahrzehnten und nicht in Jahren.

Ruhrtalbrücke wird jetzt anders betrachtet

Zum Abschluss geht es für die Auserwählten noch eine Treppe hinunter ins Tal, hinein in den Bauch einer der hohlen Brückenpfeiler. Für Mutter und Tochter Goldmann ein echtes Highlight, wie sie erklären. Nach fast zweieinhalb Stunden endet die Tour. Die Teilnehmenden scheinen sich einig: Die Autofahrt über die Ruhrtalbrücke begehen sie jetzt mit anderen Augen.