Mülheim.. 20 WAZ-Leser erkundeten mit Experten von Straßen NRW die Ruhrtalbrücke. Für manchen ging mit dem Besuch ein langjähriger Traum in Erfüllung.


Ein Teenager war Monika Kampermann, als die Ruhrtalbrücke Mitte der 1960er Jahre gebaut wurde. In Ickten zuhause verfolgte sie die Arbeiten von Anfang an; „für uns Kinder war das eine Sensation“. Kaum stand der erste, eher kurze Brückenpfeiler unweit der Mendener Straße, erklommen Monika und ihre Freunde diesen verbotenerweise – „damit wir besser auf die Baustelle gucken konnten“. Die fertige Brücke einmal von innen zu sehen, das sei „schon als Kind ein Traum gewesen“. Durch die Aktion „WAZ öffnet Pforten“ ging dieser Jahrzehnte später, mit 66 Jahren, in Erfüllung.

Mobil sein sollten die 20 Teilnehmer, hieß es vor Begehung vom Landesbetrieb Straßen NRW, und festes Schuhwerk tragen. Bekanntschaft mit der Brücke machen bedeutet auch Leibesertüchtigung: Leiter hoch, Leiter runter, mutig zum Ausguck in rund 40 Metern Höhe hinab, und immer wieder Kraxeln im Inneren der imposanten Stahlkonstruktion. 1800 Meter ist die Brücke lang und bis zu 36 Meter breit. Auf 18 Pfeilern ruht sie, der längste Träger ist 60 Meter hoch. Rund 40 Millionen D-Mark hat das Bauwerk einst gekostet; heute, so überschlagen die Experten, müsse man dafür mindestens 200 Millionen Euro berappen.

Leser löchern Autobahnmeister mit Fragen






Fakten, die den Besuchern nicht genügen; die Neugier ist groß. Von Beginn an löchern sie André Deutenberg (44), Projektleiter in der Abteilung Brückenbau der Autobahnniederlassung Krefeld, und seine sechs Kollegen, die an einem Arbeitsfahrzeug Pläne ausgehängt haben. Wilfried Keimer (63) etwa interessiert, wie lang die Brücke wohl noch halten wird – „man hört ja so viel von Brücken, die erneuert werden müssen“. Zur Beruhigung aller sagt Bauingenieur Rüdiger Leenen (64): „Durch die vielen Verstärkungen, die angebracht worden sind, ist die Brücke so im Gleichgewicht, dass wir keine Bedenken haben.“ Positiv sei, dass täglich nur rund 4000 Lkw über die Ruhr rauschten. Bei der Rheinbrücke in Duisburg, die wegen Rissen jüngst für zwei Wochen gesperrt war, seien es 20 000 Lkw am Tag.

Fotograf Volker Flecht (65) freut sich über die „einmalige Gelegenheit“, das Bauwerk von innen kennenzulernen. Los geht’s mit einem Blick von unten in einen der Pfeiler. Das ruft Erinnerungen wach. Wie war das noch gleich mit der Entführung des Mädchens 1994? Straßenwärter Klaus Gustenhofen, 58 Jahre alt und seit ‘73 für die Autobahnmeisterei Ratingen im Einsatz, kennt alle Details, ist sogar derjenige, der das Opfer gefunden hatte. „Für mich ein erschreckender Moment – für sie wahrscheinlich der bewegenste ihres Lebens.“ Er habe das völlig verängstigte Kind über die Schulter gelegt und nach elf Tagen im Inneren der Brücke wieder ans Tageslicht gebracht.

Schutzzaun schreckt viele ab

Auch das traurige Kapitel Selbstmord wird angeschnitten: 110 Menschen haben sich durch einen Sprung das Leben genommen, seit Errichtung des hohen Schutzzaunes vor 20 Jahren jedoch nur noch drei. Auch diese Tragödie hat Gustenhofen live erlebt: „Der letzte ist mir vor die Füße gefallen. Da macht der Job keinen Spaß mehr.“

Genug der unschönen Aspekte. Den unter orangefarbenen Helmen steckenden Teilnehmern steht der Sinn nach Erforschen. Endlich dürfen sie den Stahlhohlkasten, der sich unter der ganzen Brücke durchzieht, in Augenschein nehmen. Es ist laut hier, die Autos sind nah, hin und wieder vibriert es heftig. Die Gruppe, die rund 200 Meter im Bauch zurücklegt, hört von Fahrbahnübergängen, die ähnlich einer Ziehharmonika dafür sorgen, dass sich die Brücke bewegen kann – zwischen Sommer und Winter liegen manchmal bis zu 90 Zentimeter. Und sie erfährt, dass just heute die alle sechs Jahre angesetzte Hauptprüfung der Brücke startet, eine quadratzentimetergenaue Untersuchung.

An Pfeiler 16 besteht die Möglichkeit zum Abstieg in luftige Höhen, zu einem fantastischen Ausblick. Über eine Leiter geht es hinab auf einen Besichtigungssteg – eine Art Balkon – rund 40 Meter über Icktener Erde. Die, so sagt Monika Kampermann, die mittlerweile in Dümpten lebt, sei noch immer Heimat. Und Klaus Gustenhofen, der alte Brückenwächter, wird fast poetisch: „Von hier oben hat jede Jahreszeit ihren Reiz: Im Frühjahr blüht der Raps, im Sommer ist es herrlich kühl, im Herbst leuchten die Blätter und Nebel steigt auf. Und im Winter ist alles weiß.“