Mülheim. Allein im letzten Jahr haben 631 Mülheimer Katholiken ihre Kirche verlassen. Wíe Stadtdechant Michael Janßen die alarmierenden Zahlen wertet.

Die katholische Stadtkirche in Mülheim liegt im Bistumstrend. Allein im letzten Jahr haben 631 Mülheimer Katholiken ihre Kirche verlassen. Im Jahr davor waren es 387. Dem stehen im gleichen Zeitraum 23 Kircheneintritte gegenüber. Seit 2010 ist die Zahl der Mülheimer Katholiken damit von 52.000 auf jetzt 43.000 zurückgegangen. Im Gespräch mit dieser Zeitung äußert sich Stadtdechant Pfarrer Michael Janßen zu den alarmierenden Zahlen.

Welche Gefühle lösen die Zahlen des Ruhrbistums bei ihnen aus?

Pfarrer Michael Janßen: Die zahlreichen Kirchenaustritte gehen mir sehr nahe, weil sie das gute und karitative, was haupt- und ehrenamtlich in der Kirche geleistet wird. überdecken. Leider wird katholische Kirche in der öffentlichen Meinung zurzeit überwiegend mit einer Minderheit gleichgesetzt, die durch sexuellen Missbrauch Schutzbefohlener unserer Kirche massiv geschadet haben.

Welche Folgen werden die Massenaustritte für die katholische Kirche haben?

Es wäre für unsere Stadtgesellschaft fatal, wenn die Kirche aufgrund sinkender Mitgliedszahlen und damit auch sinkender Kirchensteuereinnahmen ihre karitativen Aufgaben in vielen Bereichen nicht mehr leisten könnte. Ich schätze die Lage so ein, dass sich die Mitgliederzahl der katholischen Stadtkirche auf niedrigem Niveau einpendeln wird.

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Wie muss die Kirche auf die Austrittswelle reagieren?

Ich bin sehr froh, dass wir einen Bischof haben, der mutig Reformen angeht. Der Synodale Weg, den Papst Franziskus jetzt auch für die Weltkirche angekündigt hat, ist der richtige und einzig gangbare Weg. Wir müssen die überfälligen Reformen anpacken, um wieder an Glaubwürdigkeit zu gewinnen. Ich denke dabei zum Beispiel an das Diakonat und Priestertum der Frau oder auch die Zulassung verheirateter Männer zum Priesteramt, wenn sie sich in der Ehe und im Familienleben bewährt haben.

Darüber hinaus müssen wir über neue Formen einer zeitgemäßen Verkündigung der Frohen Botschaft nachdenken. Das Passionsmusical auf dem Essener Burgplatz, das vor Ort von 5000 Zuschauern und am Fernsehen von einer Million Zuschauer verfolgt wurde, geht in die richtige Richtung. Ich denke aber auch an Beispiele an einen Gottesdienst, in dem sechs Gemeindemitglieder berichtet haben, was der Glaube für sie und ihr Leben bedeutet. Das ist anstelle einer klassischen Predigt sehr gut bei den Gottesdienstbesuchern angekommen. Auch das sind neue Wege in der Verkündigung.

Die nur häppchenweise Aufklärung von Missbrauchsfällen in den Bistümern schade dem Ansehen der katholischen Kirche, kritisiert Stadtdechant Michael Janßen.
Die nur häppchenweise Aufklärung von Missbrauchsfällen in den Bistümern schade dem Ansehen der katholischen Kirche, kritisiert Stadtdechant Michael Janßen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Wird der liberale Ruhrbischof mit seinem Reformdrang nicht innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz und durch die römische Kurie ausgebremst?

Ich glaube, dass Papst Franziskus in Rom nicht allein entscheiden kann. Denn, wenn er es könnte, wären wir auf unserem Reformweg sicher schon viel weiter. Es schadet dem Ansehen der katholischen Kirche außerdem, dass sich die deutschen Bistümer in der Aufarbeitung der priesterlichen Missbrauchstaten nicht zu einer einheitlichen Linie haben durchringen können. Es kommen immer wieder häppchenweise neue Missbrauchsfälle ans Licht der Öffentlichkeit und jedes Bistum reagiert ganz unterschiedlich und für sich darauf. Es wäre besser, wenn man hier zu einer konzertierten Aktion käme und alle Fakten gemeinsam auf den Tisch legt und daraus die notwendigen Konsequenzen zieht und diese auch öffentlichkeitswirksam kommuniziert.

Wie gehen Sie mit Menschen um, die bei Ihnen ihren Austritt aus der katholischen Kirche anzeigen?

Ich spreche mit Menschen, die sich ihre Entscheidung nicht leicht machen und lange damit gerungen haben. Es sind auch Menschen darunter, die bis vor kurzem sicher nicht daran gedacht hätten, ihrer Kirche den Rücken zu kehren. Ich höre immer wieder von den Menschen, die aus der Kirche austreten: „Das hat nichts mit meinem Glauben oder mit dem Verhalten der Ortskirche zu tun. Aber ich kann die Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche und wie sie mit diesen umgeht, nicht weiter mittragen.

Ich sage diesen Menschen dann: „Wenn Sie der Überzeugung sind, dass sie diesen Schritt gehen müssen, dann müssen Sie ihn gehen. Aber ich halte Ihnen unsere Türen weiter offen. Ich möchte auch weiterhin Ihr Pastor sein und ich würde mich darüber freuen, wenn Sie weiterhin in unserer Gemeinschaft ihren christlichen Glauben mit uns feiern würden. Natürlich werbe ich in diesen Gesprächen auch dafür, dass es besser ist, in der Kirche aufzutreten und Dinge zum Besseren zu verändern als einfach nur aus der Kirche auszutreten.