Mülheim. Kfz-Anmeldung in Mülheim: Privatleute warten Monate auf Termine, Zulassungsdienste nehmen die Überholspur. Warum das Bürgeramt so arbeitet.
Wer aktuell in Mülheim ein Auto ummelden möchte und dafür online einen Termin im Bürgeramt bucht, muss mit zwei Monaten Wartezeit rechnen. Diese Erfahrung machte auch Michael H., der einen Wagen von einer anderen Stadt nach Mülheim umschreiben lassen möchte.
Doch noch mehr als die acht, neun Wochen Wartezeit irritiert ihn ein Hinweis, den er nach eigener Auskunft telefonisch beim Bürgeramt bekam: „Wenn es schneller gehen soll, müssen Sie einen Zulassungsdienst in Anspruch nehmen.“
Servicefirma sitzt direkt am Eingang zum Mülheimer Bürgeramt
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Ein Dienstleister bietet sich besonders augenfällig an. Wer das Mülheimer Bürgeramt an der Löhstraße besucht, sieht im Ladenlokal direkt neben dem Eingang die signalgelbe Reklame der Firma Kroschke, die nicht nur Autoschilder druckt, sondern auch Zulassungen anbietet. Michael H. erfährt dort telefonisch, eine Lieferung sei innerhalb weniger Tage möglich. Kostenpunkt: 139 Euro inklusive Kennzeichen.
Was er nicht versteht, und möglicherweise auch andere Bürger rätselhaft finden: „Wie ist es möglich, dass dieser Zulassungsdienst Termine bevorraten kann, Privatpersonen aber zwei Monate warten müssen?“ Er fragt sich auch, ob die Firma für diese Termine zahlt, und wenn ja, an wen?
Pandemie beschert Zulassungsdiensten viele neue Kunden
Dem Unternehmen Kroschke begegnet man nicht nur in Mülheim, sondern fast flächendeckend in Deutschland. Die Christoph Kroschke GmbH bezeichnet sich selber als „führend in Deutschland für Dienstleistungen rund um das Kraftfahrzeug“. Laut eigener Website betreibt die Firma mehr als 430 Servicestellen und über 60 Zulassungsdienste.
Dienstleister wie Kroschke werben damit, ihren Kundinnen und Kunden lästige Behördengänge und Wartezeiten zu ersparen. Phillip Kroschke, Mit-Geschäftsführer des Familienunternehmens, berichtete kürzlich gegenüber dpa, die Corona-Pandemie habe den Zulassungsdiensten „sehr viele Neukunden“ gebracht.
Terminvergabe liegt allein beim Bürgeramt – Firmen zahlen nicht dafür
Für die Terminvergabe sei allein das Bürgeramt zuständig, erklärt eine Sprecherin des Unternehmens, und Servicefirmen wie Kroschke zahlen auch nichts dafür, kaufen keine Terminkontingente. „Grundsätzlich unterscheidet das Amt zwischen gewerblicher und privater Zulassung. Beide Bereiche haben unterschiedliche Ansprechpartner und Mitarbeitende.“ Warum die Wartezeiten so unterschiedlich sind, wisse man nicht.
Händler: Können Unterlagen am nächsten Tag wieder abholen
Kroschke sitzt zwar besonders nahe an der Behörde, ist aber nicht der einzige Zulassungsdienst in Mülheim. Andreas Schnippert beispielsweise bietet diesen Service seit vielen Jahren an der Auerstraße an, kürzlich hat er auch einen neuen Schilderladen gegenüber dem Bürgeramt eröffnet. Das Ganze funktioniere über zwei getrennte Abteilungen in der Zulassungsbehörde, erläutert Schnippert: „Wir als Händler dürfen dort morgens bis halb zehn unsere Taschen mit den Unterlagen der Kunden abgeben und können sie am nächsten Tag ab 11 Uhr wieder abholen.“
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Dafür müssten die Firmen der Stadt Mülheim nichts extra zahlen. Nur die allgemeinen Gebühren würden fällig, wie sie auch für Privatleute gelten. Andreas Schnippert ist der Meinung, dass die Zulassungsdienste dem Bürgeramt auch viel umständliche Arbeit abnehmen: „Wir kümmern uns darum, dass die Unterlagen unserer Kunden vollständig sind. Erst dann reichen wir sie ein.“ Im Zweifel einfacher für die Behörde.
Bürgeramtsleiterin: Weiterhin enorme Stellenvakanzen
Denn deren Team kämpft weiterhin mit personellen Engpässen. Amtsleiterin Mera Kabashaj sagt: „Leider sind die Stellenvakanzen im Bürgeramt weiterhin enorm, so dass die kurzfristige Terminvergabe nur für sehr dringende Anliegen möglich und das Terminkontingent eingeschränkt ist.“ Außerdem sei das Interesse an Terminen für neue Personalausweise oder Reisepässe seit geraumer Zeit „immens“, besonders jetzt vor Beginn der Sommerferien. Diese „extrem hohe Nachfrage“ gehe zulasten anderer Termine.
Dass Händler ihre Unterlagen separat abgeben, bestätigt die Amtsleiterin. Dass Gewerbliche bevorzugt werden, glaubt sie nicht. „Es ist definitiv ein ausgewogenes Verhältnis.“ Die Online-Terminvergabe sei für Bürger auch nicht der einzige Weg, um zum Zuge zu kommen. So gibt es auf der städtischen Homepage ein Kontaktformular, mit dem man dem Bürgeramt dringende Kfz-Angelegenheiten melden und um Rückruf bitten kann.
„Das System hat sich bewährt“
Die Amtsleiterin sagt: „Das System hat sich bewährt. Wenn ich den Bereich für Händler herauslösen würde, die teilweise viele Fälle mitbringen, würden sie die Bereiche für Privatkunden blockieren.“
Dass die Firma Kroschke mit ihrem Zulassungsdienst im selben Haus an der Löhstraße sitzt, sei von anderen entschieden wurden, betont die Bürgeramtsleiterin, denn es handelt sich nicht um ein städtisches Gebäude. „Die Firma steht im Mietverhältnis zu einem privaten Vermieter. Ihre Räumlichkeiten sind auch kein integrativer Bestandteil des Bürgeramtes.“ Rechtlich habe die Behörde mit der Firma nichts zu tun. Dass Zulassungsdienste von Privatpersonen oder Firmen beauftragt werden, sei „gängige Praxis“, ergänzt Mera Kabashaj.
Mülheimer findet Bevorzugung von Firmen „skandalös“
Aber es ist eben auch teurer für die Bürgerinnen und Bürger. Michael H. hat den Eindruck, hier würden privatwirtschaftliche Unternehmen „protegiert“, speziell die Firma Kroschke, „die quasi auf dem Schoss des Bürgeramtes sitzt“. Und wenn man bedenke, dass das Unternehmen bundesweit tätig und fast an jeder Zulassungsstelle zu finden sei, „kann man eine Vorstellung davon bekommen, welcher Profit hier vermittelt wird“, meint der Mülheimer. Das sei „skandalös“ und ein Fall für die Wettbewerbshüter.
Tatsächlich hat das Bundeskartellamt Ende 2019 Bußgelder in Höhe von insgesamt rund acht Millionen Euro gegen mehrere Hersteller von Kfz-Kennzeichen verhängt, darunter die Christoph Kroschke GmbH. Kritisiert wurden wettbewerbswidrige Praktiken beim Verkauf geprägter Autokennzeichen. Laut Begründung des Bundeskartellamtes hätten die Unternehmen unter anderem abgesprochen, wer wo eine Prägestelle betreiben darf und wer darauf verzichten muss. Kosten und Gewinne seien aufgeteilt worden. Alle betroffenen Firmen hätten aber mit dem Kartellamt kooperiert und das Bußgeld akzeptiert.
Was der Service kostet
Für die Umschreibung eines Fahrzeugs nach Mülheim (ohne Halter*innenwechsel, mit Beantragung eines MH-Kennzeichens) berechnet das Bürgeramt eine Gebühr von 27,60 Euro.Im Einzelfall werden weitere Gebühren fällig, beispielsweise 3,80 Euro für eine Zulassungsbescheinigung II oder 10,20 Euro für ein Wunschkennzeichen.Als zusätzliche Fremdkosten sind auf der städtischen Homepage aufgeführt: „Etwa 15 Euro pro Schild bei Schildermacher*innen Ihrer Wahl“.Professionelle Zulassungsdienste stellen für eine Zulassung, inklusive Kennzeichen und Gebühren, mindestens knapp 80 Euro in Rechnung, teilweise deutlich mehr.Eine Online-Zulassung, inklusive Gebühren und Versand der neuen Kennzeichen, bietet beispielsweise die Firma Kroschke ab 119 Euro an.
Michael H. findet, das Bürgeramt sollte für die Bürger da sein. Die Ummeldung seines Autos hat er jetzt erst einmal aufgeschoben. Amtsleiterin Mera Kabashaj verspricht: „Für den Bereich des Bürgerservice wird in naher Zukunft adäquates Personal zur Verfügung stehen.“ Dann könnten mehr Termine angeboten werden. Bis dahin empfiehlt sie dringend, die digitalen Dienstleistungen des Bürgeramtes zu nutzen, etwa die Online-Zulassung (iKFZ). „Sie werden leider weiterhin mäßig angenommen.“