Mülheim. Pass abgelaufen? Bis zu vier Stunden Wartezeit drohen im Bürgeramt Mülheim – ohne Termin. Die neue Behördenchefin will den Service verbessern.
Die Corona-Auflagen weichen, die Reiselust wächst, viele Menschen wollen ihre Ausweise verlängern. Im Mülheimer Bürgeramt verschärfen sich dadurch altbekannte Probleme. Online-Termine gibt es dort erst in gut sechs Wochen, falls man nicht frühmorgens eines der seltenen Zeitfenster erwischt. Die Alternative heißt: Ohne Termin an der Löhstraße anstehen, mit viel Zeit und Geduld im Gepäck.
Wie lästig das gerade für Berufstätige sein kann, hat kürzlich die Mülheimerin Britta W. wieder erfahren und der Redaktion geschildert - „im Zustand der Entrüstung“, wie sie schreibt. Das Bürgeramt scheine sich immer noch „im Schockzustand der ersten Pandemiewelle vor zwei Jahren zu befinden“.
Mülheimerin beklagt „steinzeitliche Verhältnisse“ im Bürgeramt
Um ihren Personalausweis zu verlängern, der im Mai abläuft, habe sie es an einem März-Morgen über das Onlineportal versucht. Zwei Termine seien angeboten worden - innerhalb der nächsten 15 Minuten. Sonst nichts. Britta W. vermutete einen technischen Fehler und rief beim Bürgeramt an, wo ihr eine „durchaus freundliche“ Mitarbeiterin eröffnet habe, momentan gebe es kurzfristig keine Onlinetermine, wegen der „derzeitigen“ Pandemiesituation. Möglich sei jedoch, frühzeitig und mit entsprechend langer Wartezeit ohne Termin vor Ort zu erscheinen, ohne Garantie, an die Reihe zu kommen.
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Britta W. müsste dafür einen Tag Urlaub nehmen, auf Verdacht. Sie schimpft über ein „steinzeitliches Verhalten“, wie sie es schon vor einem Jahr erlebt habe, als sie beim Bürgeramt ihr Motorrad anmelden wollte. „Würde mir dies bei meiner Bank, meinem Metzger oder Friseur widerfahren, ich hätte umgehend gewechselt. Hier kann ich nicht einmal zur Nachbarstadt ausweichen.“
Die Stadt Mülheim, die wir mit der Beschwerde konfrontieren, verweist zunächst auf die Zugangsbeschränkungen, die die Pandemie dem Bürgeramt aufzwingt. Dann auf das Online-Portal der Behörde: Dort würden „tagesaktuell zusätzliche Termine online angeboten“. Es lohne sich, in den Morgenstunden nachzuschauen, um beispielsweise Termine zu buchen, die andere storniert haben.
Stadt Mülheim bewertet Beschwerde als „Missverständnis“
Zu den regulären Öffnungszeiten des Bürgeramtes könne man die Leistungen „in begrenztem Umfang und mit Wartezeit“ beantragen. Vorrangig Menschen mit dringenden Anliegen sollten Tickets ohne Termin ziehen. Und selbstverständlich könnten sie gerne ihre Anliegen per E-Mail an buergeramt@muelheim-ruhr.de richten. „Bei dem, was die Bürgerin berichtet hat, muss es sich um ein Missverständnis handeln“, erklärt die Stadt.
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Ein Missverständnis? Die knappen, schnell vergriffenen Online-Termine im Mülheimer Bürgeramt sind seit Jahren immer wieder ein Thema, schon lange vor Corona. Die Jagd nach Zeitfenstern, um etwa einen neuen Reisepass zu beantragen, ist auch beliebter Diskussionsstoff in Mülheimer Facebook-Gruppen, wo sich die Nutzer gegenseitig mit guten Ratschlägen versorgen: zwischen 7.30 und 8 Uhr auf die Website schauen oder besser schon ab 6 Uhr, anrufen und nachfragen oder einfach ohne Termin hingehen.
Wenn es gut läuft, ist man laut Erfahrungsberichten nach rund einer Stunde am Ziel. Wenn es weniger gut läuft, geht der ganze Vormittag drauf. Eine Mülheimerin berichtet: Vier Stunden lang habe ihr Mann am vergangenen Montag warten müssen, bis er endlich seine Passangelegenheit vortragen konnte.
Neue Bürgeramtsleiterin: „Es macht den Eindruck, das System sei nicht gut“
Mit dem Frust, der aus solchen Erlebnissen wächst, muss sich auch die künftige Amtsleiterin Mera Kabashaj befassen, die Reinhard Kleibrink nachfolgt. Sie sagt: „Mit dieser Frage beschäftigen wir uns täglich, und es macht den Eindruck, das System sei nicht gut.“ Eine Aussage, die viele Bürgerinnen und Bürger unterschreiben würden.
Die neue Behördenchefin verweist zum einen auf Erschwernisse durch die Corona-Vorschriften, die dazu führen, dass im Wartebereich weniger Personen untergebracht werden können. Sie muss sich allerdings fragen lassen, warum etwa in der großen Nachbarstadt Essen, ebenfalls unter Pandemiebedingungen, ständig kurzfristige Termine verfügbar sind? „Das Mülheimer Bürgeramt bietet Dienstleistungen aus einer Hand“, erklärt Mera Kabashaj, „Essen hat eine reine Meldestelle für das Ausweiswesen und auch mehrere Standorte. Das macht die Sache etwas einfacher.“
Mit Personal „grundsätzlich gut ausgestattet“
An mangelndem Personal liege es im Mülheimer Bürgeramt nicht, so die neue Leiterin: „Wir sind grundsätzlich gut ausgestattet, haben allerdings eine hohe Fluktuation.“
Das Terminmanagement vergleicht Kabashaj mit einem „Blick in die Glaskugel“. Für acht Wochen im Voraus müsse geschaut werden, was die Kunden und Kundinnen wohl beanspruchen. Dass momentan besonders viele Leute frische Ausweise und Reisepässe anfordern, zeigte die Glaskugel offenbar nicht. Normalerweise setzt dieser Run erst zur Ferienzeit ein, in diesem Jahr „seltsamerweise frühzeitig“, so die Amtsleiterin. Das Mülheimer Bürgeramt war darauf nicht vorbereitet, bei Passangelegenheiten ist ein extrem langer Atem gefordert.
Neue Chefin im Bürgeramt
Offiziell zum 1. Mai 2022 übernimmt Mera Kabashaj die Leitung des Mülheimer Bürgeramts, als Nachfolgerin von Reinhard Kleibrink.Die neue Chefin begann 1992 ihre Ausbildung in der Mülheimer Stadtverwaltung und arbeitet bereits seit 25 Jahren in unterschiedlichen Funktionen im Bürgeramt. Sie sagt: „Ich hatte das Glück, ganz verschiedene Bereiche kennenzulernen, von der Pike auf.“Zuletzt war die 46-Jährige Abteilungsleiterin der Führerscheinstelle und der allgemeinen Verwaltung im Bürgeramt.Die Behörde hat etwa 100 Mitarbeitende, inklusive Standesamt, Kommunikationscenter, Bürgeragentur und Führerscheinstelle.
„Diesen Trend haben wir jetzt erkannt und werden darauf reagieren“, verspricht Mera Kabashaj. Sie bestätigt, dass die günstigste Uhrzeit, um kurzfristig einen freien Termin zu erwischen, morgens um kurz vor acht liegt. „Täglich gegen 7.45 Uhr schauen die Teamleitungen, wer sich krank gemeldet hat, wie viele Personen sie zur Verfügung haben.“ Und schalten dann möglicherweise weitere Fenster frei. Wenn es wirklich drängt, helfe oft eine kurze Mail an ihr Team oder ein Anruf, so die Amtsleiterin. „Wenn jemand einen Ausweis sehr schnell benötigt, finden wir immer eine Möglichkeit.“