Mülheim. Der schwere Unfall auf dem Radschnellweg entfacht in Mülheim eine neue Debatte um Kennzeichen für Fahrräder. Wie sinnvoll ist die Forderung?

Sollten Fahrräder ein Kennzeichen bekommen, um sie bei Verstößen womöglich besser verfolgen zu können? Der schwere Unfall mit Fahrerflucht auf dem Radschnellweg am vergangenen Donnerstagabend hat nicht nur viele Mülheimer mitfühlen lassen, sondern in den sozialen Medien eine alte Debatte neu angefacht. Sogar einen Mülheimer Sonderweg könnte sich mancher vorstellen.

Einer, der ihn vertritt, ist der CDU-Stadtverordnete Werner Oesterwind: „Wir benötigen eine Kennzeichenpflicht für Fahrradfahrer“, argumentiert dieser nicht nur seit dem schweren Unfall am RS1. „Wir haben hier Personen, die sich nicht so verhalten, wie sie sollten.“ Ein Autofahrer aber könne aufgrund seines Kennzeichens bei einem Verkehrsverstoß ermittelt werden, ein Radfahrer bleibe anonym.

Sollten Mülheimer Drahtesel ein Kennzeichen bekommen wie Reitpferde?

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Bei Rot über die Ampel, beim unerlaubten Fahren auf Gehwegen und in Fußgängerzonen – Oesterwind sieht im Alltag immer wieder Fehlverhalten von Radlern, die nicht angezeigt und geahndet werden, weil man sie nicht ermitteln kann. Auf eine bundesweite Regelung müsste Mülheim nicht warten, glaubt Oesterwind, die Stadt könnte womöglich hier selbst handeln – nach dem Vorbild von Reitkennzeichen.

Was beim Pferd der Paragraf 62 Absatz 1 des Landesnaturschutzgesetzes NRW regelt – „wer in der freien Landschaft oder im Wald reitet, muss ein gut sichtbares, am Pferd beidseitig angebrachtes gültiges Kennzeichen führen“ – würde Oesterwind gerne auf Mülheimer Fahrradfahrer übertragen sehen. Die Reitkennzeichen werden jährlich für rund 30 Euro ausgegeben.

Grüne: Kennzeichenpflicht kann eine Hürde für die Verkehrswende sein

Für Koalitionspartner Timo Spors, Grüner Vorsitzender des Mobilitätsausschusses, wäre eine solche Regelung hingegen nicht nur ein Bürokratiemonster und schwer zu kontrollieren: „Der Vorteil am Verkehrsmittel Fahrrad ist doch gerade, dass man es im Vergleich zum Auto unkompliziert nutzen kann.“ Ein Kennzeichen wäre aus seiner Sicht eben auch eine Hürde für die Verkehrswende.

Doch Spors hat auch Zweifel an der Sinnhaftigkeit, „ich bezweifele, dass man sich bei einem Unfall noch schnell das Kennzeichen merken kann.“

Linien auf dem Radweg trennen an der Mülheimer Eisenbahnbrücke die Verkehrswege zwischen Fußgängern und Radlern. Doch diese Trennung zieht sich nicht durch den gesamten Radschnellweg.
Linien auf dem Radweg trennen an der Mülheimer Eisenbahnbrücke die Verkehrswege zwischen Fußgängern und Radlern. Doch diese Trennung zieht sich nicht durch den gesamten Radschnellweg. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Auch Ralf Bayerlein, Mülheimer Verkehrsexperte des Verkehrsclub Deutschland (VCD), ist skeptisch: „Kennzeichen verhindern auch beim Auto keine Fahrerflucht.“ Auch die damit verbesserte soziale Kontrolle schätzt Bayerlein gering ein: „Rüpel bleibt Rüpel. Den hält auch ein Kennzeichen nicht ab.“

Trotz Kennzeichen: Verkehrsstatistik zeigt niedrige Aufklärung bei Unfallflucht an

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Er könnte damit recht haben. Denn ein Blick in die Verkehrsstatistik der Polizei zeigt zunächst erschreckende Zahlen: 1193 Fälle von Verkehrsunfallfluchten hat die Polizei im Jahr 2021 registriert, davon 37 mit Personenschaden. Doch die Aufklärungsquote liegt gerade einmal bei rund 40 Prozent – trotz Kennzeichen. Denn die Zahlen unterscheiden nicht zwischen Auto- und Fahrradunfällen.

Bei der Einschätzung der Kennzeichenpflicht bleibt die Polizei auf Anfrage der Redaktion vage: „Das Polizeipräsidium Essen beteiligt sich nicht an der Diskussion über die Sinnhaftigkeit einer solchen Einführung. Eine Einschätzung nach Größe eines Problems und der subjektiven Bewertung, ob diese Sachverhalte ,häufiger’ vorkommen, nehmen wir nicht vor.“

Verkehrsexperte Bayerlein plädiert hingegen für mehr Eigenverantwortung und eine Fahrradkultur – wie in den Niederlanden. Aber ebenso für ausgebaute Radwege mit getrennten Spuren für den Zweirichtungsverkehr auf dem RS1. Denn der Experte beobachtet, dass Radler hier großzügig mal rechts mal links fahren: Eine Unterteilung durch einen Strich in der Mitte würde die Spuren wohl besser trennen und für mehr Sicherheit beim Überholen sorgen.

Mehr Sicherheit durch ausgebaute Radwege und getrennte Spuren?

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Für Gudrun Fürtges, Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), ist rücksichtsvolles Fahren auch auf dem Radschnellweg oberstes Gebot: „Ich bin zunächst einmal entsetzt über den Unfall und die Flucht.“ Es gebe zwar unterschiedliche Nutzer des Radschnellwegs, aber es könne nicht sein, dass Raser riskant überholen, um ihren Tempo-Schnitt zu halten, verurteilt sie.

Der Radler habe damit auch sich selbst gefährdet, „Radfahrer wissen in der Regel, dass sie – wie auch Fußgänger – keine Knautschzone haben, und fahren daher vorausschauend und defensiv.“

Der Grüne Mobilitätsvorsitzende Spors setzt auf alternative Kontrollen: „Wir haben mit einer Fahrradstaffel für das Ordnungsamt bereits auf die veränderten Mobilitätsarten reagiert.“ Und auch mehr Fahrradpolizei hält Spors für sinnvoll. Gegen Rüpel aber scheint kaum ein Kraut gewachsen, egal ob hinterm Radlenker oder Lenkrad – „die Quote der Idioten ist wohl überall gleich hoch“, kommentiert Spors.