Mülheim. Eine Messie-Wohnung in Mülheim hätte ganz leicht brennen können. Ein Mann warnt Polizei, Feuerwehr und Stadt. Ohne Erfolg. Ist das rechtens?
Messie-Wohnungen geraten immer mal wieder in Brand. Die Löscharbeiten sind dabei sehr schwierig. Zum Teil sogar so schwierig, dass nicht nur die Wohnung, sondern das gesamte Wohnhaus abbrennt – oder dass die Bewohner nicht rechtzeitig aus den Flammen gerettet werden können und ums Leben kommen. Ein Mülheimer ist sich sicher: „Der ein oder andere Brand in einer solchen Wohnung hätte verhindert werden können. Aber niemand fühlt sich verantwortlich und das regt mich unheimlich auf.“
Zum Hintergrund: Der Mann wendete sich an unsere Redaktion, als zuletzt eine Messie-Wohnung an der Leineweberstraße in Mülheim Feuer fing. Pressesprecher Thorsten Drewes von der örtlichen Berufsfeuerwehr erklärte bei diesem Brand, dass die Glutnester nur mit einer Wärmebildkamera ausgemacht werden konnten. Und dass der Zugang in der vermüllten Wohnung erst freigelegt werden musste. Ein großer Aufwand für die Feuerwehr.
„Als ich das gelesen habe, war ich geschockt. Ich musste sofort an meine eigene Erfahrung denken“, erzählt der Mülheimer. Er möchte anonym bleiben und wird fortan Klaus Müller genannt. Denn in seiner Geschichte – die er dieser Redaktion offenbart hat – kritisiert er die Rechtsgrundlage und den öffentlichen Dienst scharf.
Mülheimer betritt eine Messie-Wohnung, in der die Räume nicht mehr zu erkennen sind
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Müller arbeitet seit dem Ruhestand ehrenamtlich als Handwerker. Im Zuge dieser Tätigkeit hat er schon viele Messie-Wohnungen betreten. Das Phänomen scheint heutzutage keine Seltenheit mehr zu sein, wie eine Fachanwältin für Mietrecht bestätigt. Aber dazu später mehr.
Die letzte Messie-Wohnung betritt er vor einem halben Jahr. Sie liegt in Broich in einem Mehrfamilienhaus mit mehreren Parteien. „Als ich hereinkam, war ich schockiert. Alles war so zugemüllt, dass es kein Durchkommen gab, und es stank fürchterlich. Überall lagen verschimmelte Lebensmittelreste und gebrauchte Windeln“, beschreibt Müller die Lage vor Ort. Er zeigt Fotos aus der Wohnung – als Beweis für den katastrophalen Zustand.
Darauf zu sehen: Aktenordner, Decken und Umzugskisten sind bis unter die Decke gestapelt. Die Räume sind nicht mehr zu erkennen. In der Badewanne liegen eingerollte Teppiche neben leeren Joghurtbechern. In der Küche ist auch alles zugestellt. Den Herd kann die Bewohnerin nur noch aus der Ferne mit einer Zange bedienen. Überall fliegen haufenweise leere Flaschen herum. Daneben Verpackungen und anderer Kram, der längst hätte entsorgt werden müssen.
Handwerker will helfen und vor der Eigen- und Fremdgefährdung warnen
„Ich habe erst mal zwei riesige Mülltüten voller Flaschen gesammelt, damit ich überhaupt irgendwo durchkam“, erinnert sich der ehrenamtliche Handwerker. Dabei war sein Auftrag ein ganz anderer. Eigentlich hatte ihn die ältere Dame einbestellt, damit er ihren Heizstrahler repariert. „Sie kam nicht mehr an die regulären Heizkörper heran, weil alles so zugestellt war. Deshalb hat sie inmitten dieses Müllchaos einen Heizstrahler gestellt.“
Die Brandgefahr springt Müller sofort ins Auge. „Wäre auch nur ein kleines Papier durch die Schlitze an diesem offenen Elektrogerät geraten, hätte binnen kürzester Zeit alles in Flammen gestanden“, weiß er. Vor seinem Ruhestand war er Diplom-Ingenieur für Elektrotechnik. „Ich bin Fachmann. Wenn ich sehe, dass da Gefahr im Verzug ist und die Wohnung gebrannt hätte, hätte ich mitgehaftet.“
Er hat Angst, dass womöglich das gesamte Haus abbrennen könnte, und will der Bewohnerin in ihrer Sammelwut helfen. In ihrem Einverständnis macht er Fotos von der Wohnung (eben jene, die dieser Redaktion vorliegen). Damit wendet er sich an die Polizei, die Feuerwehr und die Stadt. Mit dem dringenden Appell, die Brandgefahr zu beseitigen und Abhilfe zu schaffen. Ohne Erfolg.
Warnungen bei Polizei, Feuerwehr und Stadt sind vergeblich
Die Feuerwehr schickt ihn weg. „In solchen Fällen sind wir nicht zuständig. Wir kommen erst, wenn es brennt“, erklärt Thorsten Drewes, Pressesprecher der Berufsfeuerwehr in Mülheim. „Dann eben zur Polizei“, denkt sich Klaus Müller und fährt zur Wache. Doch auch hier wird er abgewiesen – mit dem Hinweis: „Ich müsste jetzt einen Bericht an die Stadt schreiben. Das ist viel Aufwand.“
Wieso der Beamte sich dagegen entschieden hatte, ist im Nachhinein unklar. Pascal Schwarz-Pettinato, Pressesprecher der Polizei Essen/Mülheim, sagt dazu: „Die Polizei kann nichts machen. Wenn es aber offene Feuerstellen sind, hätte die Stadt das überprüfen können. Wieso der Kollege dafür keinen Bericht geschrieben hat, kann ich nicht nachvollziehen.“ Die Stadt hätte dann den Vermieter auffordern können, den Unrat zu beseitigen.
Klaus Müller fährt damals schockiert nach Hause und schickt eine Mail ans Sozialamt und den Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt. Zwei Wochen lang bekommt er keine Antwort. Er warnt wieder: „Ich halte den Zustand dieser Umgebung (Elektroherd mit Widerstandsplatten mit Verlängerungskabel durch den Müll) weiter für äußerst bedenklich und in hohem Maße brandgefährlich.“ Ob der Dame geholfen wurde, erfährt der Senior auch danach nicht.
Den Sozialpsychiatrischen Dienst in Mülheim frustriert die Rechtsgrundlage
Auf Anfrage beim Sozialpsychiatrischen Dienst in Mülheim erklärt Dr. Michael Mengel: „Wir können nur etwas unternehmen, wenn eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt.“ Ein Heizstrahler würde dafür nicht ausreichen. „Wir müssen uns nach dem psychischen Krankengesetz richten. Das ist auch für uns sehr frustrierend. Wir möchten in solchen Fällen gerne helfen, dürfen aber nicht.“
Und auch „das Ordnungsamt hat keine rechtliche Grundlage, hier einzugreifen“, betont Stadtsprecher Volker Wiebels. Das bestätigt eine Mülheimer Fachanwältin für Mietrecht. „Messie-Wohnungen gibt es heutzutage wie Sand am Meer“, sagt Claudia Röver. „Die Einstellung der Gerichte ist: Es darf keine Gefahr für Leib und Leben bestehen. Wenn der Heizstrahler also für die Wohnung zugelassen ist, besteht kein Handlungsbedarf.“ Der Fall sei vergleichbar mit einer demenzkranken Bewohnerin, die vergisst, ihre Zigarette auszumachen.
Öffentlichem Dienst sind die Hände gebunden, sagt eine Fachanwältin für Mietrecht
„Das ist für Nachbarn nicht schön, die helfen und warnen wollen. Aber Mieter genießen durch das private Mietrecht eine große Freiheit, wie sie ihre Wohnung einrichten – oder vermüllen“, so Röver. Dem öffentlichen Dienst seien in solchen Fällen oftmals die Hände gebunden.
Und was wäre gewesen, wenn der Polizist einen Bericht an die Stadt geschrieben hätte? Dazu erklärt die Fachanwältin: Auch dann hätte der Vermieter der städtischen Aufforderung nicht nachkommen können. Denn solange sich keine Ungeziefer verbreiten und keine Geruchsbelästigung vorliegt, könne auch er nicht eingreifen.
Über diese Rechtsgrundlage kann sich Klaus Müller nur wundern. „Ich kann verstehen, dass jeder seine Wohnung so zumüllen darf, wie er will“, sagt er. „Aber das muss doch an dem Punkt aufhören, wo andere massiv gefährdet sind. Da muss sich etwas ändern.“