Mülheim. Ukraine, Altschulden, Wirtschaftsstruktur: Das waren Themen einer Ruhrgebiets-Delegation für Gespräche in Berlin. Mülheims OB dazu im Interview.
Oberbürgermeister Marc Buchholz (CDU) war zuletzt zwei Tage mit zehn weiteren Oberbürgermeistern und vier Landräten aus der Ruhr-Region zu Gesprächen mit dem Kanzler, mit Regierungsvertretern und Fraktionsspitzen in Berlin. Ein Interview.
Bringen Sie Zusagen aus Berlin mit, welche Hilfen die Stadt bekommen wird bei der Bewältigung der aktuellen Flüchtlingskrise?
Tatsächlich hat die Krise um den Krieg in der Ukraine alle anderen Themen überlagert. Sowohl der Kanzler als auch die übrigen Vertreter der Bundesregierung haben ihre mündliche Zusage gegeben, dass Länder und Kommunen auf die Bundesregierung zählen können. Konkrete Zusagen bringe ich aus Berlin allerdings nicht mit. Hier wurde seitens der Gesprächspartner darauf verwiesen, dass der Bund die Konkretisierung der Hilfsangebote für Anfang April plant. Im Ergebnis soll aber eine volle Kostenerstattung der Aufwendungen seitens des Bundes an die Länder und dann hoffentlich seitens der Länder an die Kommunen erfolgen.
Ukraine-Flüchtlinge: Mülheimer OB erhofft sich vereinfachte Registrierung
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Wo brauchen Kommunen wie Mülheim zur Bewältigung der Flüchtlingskrise dringend mehr Unterstützung vom Bund?
Einig waren sich alle Hauptverwaltungsbeamten darüber, dass der Bund durch eine Vereinfachung der Vergaberichtlinien bei den jetzt notwendigen Beschaffungen für die Ausstattung von Notunterkünften eine tatsächliche Erleichterung vor Ort erbringen kann. Auch bei der Frage nach dem notwendigen Verfahren bei der Registrierung haben die Oberbürgermeister und Landräte dem Kanzler Vorschläge unterbreitet, wie unsere Ausländerbehörden in einem eventuell vereinfachten Verfahren der Vielzahl der Geflüchteten Herr werden könnten. Ob der Bund hier eine tatsächliche Vereinfachung zum bisherigen Pic-Verfahren (Identitätsfeststellungsverfahren) ermöglichen wird, bleibt derzeit offen.
Thema war insgesamt, wie das Ruhrgebiet mit all seinen Strukturproblemen vorankommen kann. Was bringen Sie hinsichtlich dessen mit aus der Hauptstadt?
Die Oberbürgermeister und Landräte haben zunächst einmal nach Berlin die Botschaft mitgebracht, dass das Ruhrgebiet in den letzten Jahren einen immensen Transformationsprozess vollzogen hat. Das Ruhrgebiet mit einer Vielzahl von Hoch- und Fachhochschulen, mit grüner Infrastruktur, Freizeit- und Medizinwirtschaft ist heute weitaus mehr als einst als Kohle- und Stahlregion. Wir haben der Bundesregierung die Botschaft mitgebracht, dass wir mit unseren Unternehmen, unseren Verwaltungen und den vielen Fachkräften die Zukunftsregion Deutschlands – vielleicht sogar Europas – sein können.
Mülheims OB: Kanzler Scholz verspricht Altschuldenregelung noch in diesem Jahr
Wie das?
Wasserstoff- und neue Energiekonzepte für ein Leben mit weniger fossilen Brennstoffen sind hier längst aus der reinen Idee in konkrete Planungsprojekte überführt.
Auch der Abbau der kolossalen Altschulden der Ruhrgebietskommunen war Thema. Gibt es dafür überhaupt noch Geld bei all den finanziellen Erfordernissen, die aus der Bewältigung der Corona-Pandemie und den Kriegsfolgen erwachsen sind?
Tatsächlich hat neben dem Krieg in der Ukraine das Thema Altschuldenregelung einen weiteren Schwerpunkt der Gespräche ausgemacht. Die Bundesregierung – und allen voran Kanzler Scholz – haben deutlich gemacht, dass sie bis Jahresende eine Regelung für diese offene Frage herbeiführen möchten. Im Übrigen ist es keine Frage, ob genügend Geld zur Verfügung steht, sondern ob die Bundesregierung und die Landesregierung mit den Kommunen gemeinsam einen Konsens finden, die zurzeit „noch“ günstigen Zinskonditionen für eine langfristige generationengerechte Schuldenlösung zu finden.
Bundeswirtschaftsminister Habeck ist ins Ruhrgebiet eingeladen
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Eigentlich wollten Sie und Ihr Herner Kollege Frank Dudda mit Wirtschaftsminister Habeck auch zum klimagerechten Umbau der Wirtschaft und zu den Themen Flächenaufbereitung und Gewerbeknappheit sprechen. Der Termin musste ausfallen. Wann wird er nachgeholt?
In Abstimmung mit meinem Kollegen Frank Dudda habe ich den Bundeswirtschaftsminister eingeladen, um die eigentlich für Berlin bereits vorbereiteten Themen zu besprechen. In allen Kommunen des Ruhrgebietes – aber bei uns im Besonderen – ist die Frage nach einem ökologischen Wirtschaftsausbau dringend. Auch die Business Metropole Ruhr hat meines Wissens eine solche Einladung an den Minister ausgesprochen. Ich würde mich sehr freuen, wenn ein solcher Termin – auch aufgrund der anstehenden drängendsten Aufgaben – möglichst kurzfristig zustande kommen könnte.
Was sind die Gesprächsthemen?
In meinen Gesprächen habe ich auch auf die besondere Situation der in Mülheim produzierenden Röhrenwerke hingewiesen und darum gebeten, dass bei allen Überlegungen beim Thema Wasserstoff und Infrastrukturausbau deutsche Schlüsselindustrien, wie zum Beispiel Vallourec, nicht ins Ausland abwandern dürften und Arbeitsplätze hier erhalten bleiben müssen. Natürlich möchte ich dem Bundeswirtschaftsminister die technologischen Möglichkeiten, die unser Unternehmen Siemens Energy derzeit erarbeitet, vorstellen. Neben dem Thema Wasserstoff hat Siemens Energy unter dem Arbeitstitel „Mülheim Heat“ ein Projekt am Start, das sowohl energieintensiven Unternehmen als auch der Wohnungswirtschaft Antworten liefern kann, wenn es darum geht, ohne fossile Brennstoffe hohe Wärme- oder niedrige Kältetemperaturen zu erzeugen. Ich bin mir sicher, dass dieses Projekt die Begeisterung des Ministers weckt.
Der dritte Berlin-Ruhr-Dialog
Die Delegation aus dem Ruhrgebiet traf in Berlin neben dem Bundeskanzler unter anderem auf Bundesbauministerin Klara Geywitz sowie die Fraktionsspitzen der Ampel-Koalition: Rolf Mützenich (SPD), Britta Haßelmann (Grüne) und Christian Dürr (FDP). Auch mit dem Vorsitzenden der Unionsfraktion, Friedrich Merz, sprachen die Verwaltungschefs. Dazu standen Gespräche mit Staatssekretärinnen und -sekretären der Bundesministerien für Finanzen, Verkehr und Digitales sowie Inneres und Heimat auf der Agenda. Vorbereitet und organisiert hat den dritten Berlin-Ruhr-Dialog der Regionalverband Ruhr (RVR).