Mülheim. Alter macht das Wahlkämpfen nicht überflüssig, so Franz Müntefering. Welche Standpunkte der SPD-Promi auf dem „Roten Sofa“ in Mülheim vertrat.
Laufen, lernen, lachen: Das sei seine Formel, um vital zu bleiben im Alter. Und im Wahlkampf weiter zu kämpfen, wie es Demokraten abverlangt sei. SPD-Größe Franz Müntefering (82) nahm jetzt auf dem Roten Sofa von Mülheims SPD-Landtagskandidat Rodion Bakum Platz, um sich im lockeren Plausch auf die Frage einzulassen, was zu tun ist, um Menschen ein würdiges Leben im Alter möglich zu machen.
Im Krug zur Heimaterde waren gerade einmal knapp 20 Menschen zusammengekommen, um Müntefering zu erleben. Die hohen Corona-Infektionszahlen könnten ein Grund gewesen sein, auch die Machtlosigkeit, mit denen die Menschen den grausamen Nachrichten aus der Ukraine gegenüberstehen. . . Landtagswahlkampf 2022: ein zähes Geschäft.
Müntefering in Mülheim: Ältere sollten im Nahbereich „alles finden, was du brauchst“
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Stillstand aber, eine ausgeprägte Gleichgültigkeit gegenüber dem politischen Gestalten dürfe sich eine demokratische Gesellschaft nicht leisten, machte Politik-Tausendsassa Müntefering (in Gemeinde, Bund und Land) deutlich. Allein sein Schwerpunktthema an diesem Donnerstagabend, „Einmischen, Mittun und ein gutes Stück Leben auch im Ältersein“, werfe allerlei Politikfelder auf, die es zu beackern gelte, so der Sauerländer.
Politik müsse mittun und befördern, dass die wachsende Zahl älterer Menschen – in Mülheim ist ein Viertel, sind 41.000 Menschen älter als 65 - in ihrem nahen Wohnumfeld, innerhalb von zwei bis drei Kilometern „alles finden, was du brauchst“.
Müntefering: Hilfen zum würdevollen Leben im Alter müssen mehr Pflichtaufgabe sein
Zu unscharf sei die staatliche Verpflichtung, Bürgern ein würdevolles Älterwerden zu gewährleisten, so der ehemalige Vizekanzler. Kita und Schule seien für Kommunen als Pflichtaufgabe definiert. Aber was sei mit Mobilität im Alter, mit der Erreichbarkeit von Ärzten, Apotheken, Banken? Mit Hilfen bei Demenzerkrankungen, mit Hilfen für Senioren, sich in der zunehmend digitalen Welt zurechtzufinden? All dies könnten sich Kommunen wie das überschuldete Mülheim schwer leisten. Der künftige Landtag stehe vor der großen Aufgabe, hier Hilfen zu organisieren.
Ein starker Fokus der Politik ist laut Müntefering darauf zu richten, der Vereinsamung älterer Menschen präventiv zu begegnen, Treffpunkte, gemeinsame Aktivitäten zu befördern. Eine Option sei, Sportvereine einzubinden. Warum nicht alleinlebende Ältere proaktiv anrufen, um die helfende Hand bei Einsamkeit auszustrecken? Für ein solche aufsuchende Sozialarbeit müssten Datenschutzbedenken auch mal zur Seite geschoben werden, meint der ehemalige Vizekanzler.
Krisen über Krisen: „Eine Zeit, die sehr kompliziert werden wird“
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Ein Schwenk zur politischen Großwetterlage lässt Müntefering nicht aus. Vor uns allen liege „eine Zeit, die sehr kompliziert werden wird“. Die der Politik viel abverlange, bei einer Erdbevölkerung mit 8,5 Milliarden Menschen sicherzustellen, dass jedes Individuum gleichwertig zähle, auch die Verhungernden im Jemen. Bei all den Krisen seit der Finanzkrise 2007, die den in Koalitionspapieren festgehaltenen politischen Zielstellungen einen Strich durch die Rechnung gemacht hätten, gelte es nicht aufzugeben, sondern „das Beste daraus zu machen“.
Seine Partei im Wahlkampf zu unterstützen, ist für Müntefering weiter Herzenssache. Aus gesellschaftlichen Funktionen aber nehme er sich absehbar komplett heraus. „Die nächsten 18 Jahre bis 100“, so der 82-Jährige, „bin ich Rentner.“ Dabei will er fit bleiben: mit Lernen, Laufen, Lachen. Und einer Weisheit aus einem Gespräch von Charlie Brown und Snoopy, die er für sich beherzige: Es gibt nur einen Tag, an dem wir sterben. Alle anderen leben wir.
Stationen von Franz Müntefering
Seit 1966 ist Franz Müntefering Mitglied der SPD. Er war ihr Bundesvorsitzender, auch ihr Generalsekretär. Für die SPD saß Müntefering von 1975 bis 1992 und von 1998 bis 2013 im Bundestag. Drei Jahre lang führte er auch die Bundestagsfraktion an.
Seinen ersten Ministerposten trat Müntefering 1992 in NRW an – als Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales im Kabinett von Ministerpräsident Johannes Rau. Von 1998 bis 1999 war er Bundesminister für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen im ersten Kabinett von Gerhard Schröder, von 2005 bis 2007 Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales im ersten Kabinett Angela Merkels.