Mülheim. Zwei Geschäftsführer, zwei Urgesteine der Altenpflege, verlassen das Mülheimer Haus Ruhrgarten. Zuletzt erlebten sie „notvolle“ Zeiten.
In der Evangelischen Altenhilfe Mülheim endet eine Ära: Die beiden Geschäftsführer Oskar Dierbach (Pflege) und Peter Steinbach (Verwaltung) sind seit Mitte der achtziger Jahre ein Duo und gehen jetzt gemeinsam in Rente. Für den erstklassigen Ruf des Pflegeheims Haus Ruhrgarten haben sie hart gearbeitet, ihre schwierigste Prüfung kam zum Schluss. Ein Interview.
Wir haben die vierte Pandemiewelle, den zweiten Corona-Winter: Wie ist die Stimmung in Ihrem Haus?
Peter Steinbach: Die Stimmung ist gedrückt. Ich sehe die dringende Notwendigkeit, unsere Bewohner und Mitarbeitenden zu schützen. Das Team ist nach anderthalb Jahren Pandemie erschöpft, wir müssen neue Kräfte sammeln.
Aufpassen, dass die Mitarbeitenden im Pflegeheim durch den Winter kommen
Oskar Dierbach: Wir sind stolz auf unsere Mitarbeitenden, die diese extreme Belastung mittragen. Obwohl wir einen höheren Personalschlüssel haben als andere Pflegeheime, sind wir am Limit angekommen. Wir müssen aufpassen, dass unsere Mitarbeitenden durch den Winter kommen, dass sie nicht ausbrennen.
Was können Sie dafür tun?
Dierbach: Wir als Chefs stärken ihnen den Rücken und fordern nicht mehr, als sie leisten können. Ganz wichtig sind auch Begegnungen mit Bewohnern und Angehörigen. Doch unsere Veranstaltungen in der Adventszeit können nur unter verschärften Corona-Bedingungen laufen. Sie müssen stark zurückgefahren werden. Gefeiert wird nur in kleinen Gruppen, wir sind sehr familiär unterwegs.
Nach Corona-Ausbruch zwischen sterbenden Bewohnern gestanden
Sie, Herr Dierbach, sind in der Pandemie oft als Mahner hervorgetreten. Gegen Ende der ersten Welle, im Frühjahr 2020, haben sie dringend vor Lockerungen der Besuchsregeln gewarnt, diese seien „lebensgefährlich“. Im Oktober 2020 gab es dann einen Corona-Ausbruch im Haus Ruhrgarten. War das ein Tiefpunkt in Ihrem Berufsleben?
Dierbach: Jedenfalls war es eine sehr harte Zeit. Ich hatte von Seiten des Gesundheitsministeriums eine Strafandrohung bekommen, weil ich in unserem Haus die Besuchsregelungen enger gefasst habe. Von November bis Februar standen wir dann zwischen sterbenden Bewohnern. Das war eine sehr notvolle Situation. So etwas möchte ich nicht noch mal erleben und wünsche es niemandem.
Sie und Peter Steinbach haben seit Mitte der 1980er Jahre als Geschäftsführer zusammengearbeitet. An welche besonders bewegenden Momente erinnern Sie sich?
Dierbach: Da gab es viele – und viele Phasen, in denen wir trotz unserer unterschiedlichen Persönlichkeiten einen Konsens gefunden haben, um die Einrichtung nach vorne zu bringen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es mal eine Konkurrenz der Eitelkeiten zwischen uns gegeben hätte. Es war immer ein gemeinsames Arbeiten.
Steinbach: Oskar Dierbach hat mir Türen gezeigt an Stellen, wo ich gar nicht wusste, dass dort überhaupt ein Haus steht.
Zu brisanten gesundheitspolitischen Themen klar Stellung bezogen
Als Pflegedienstleiter hat Oskar Dierbach sich auch gesundheitspolitisch geäußert, oft mit klaren, harten Worten. Sie haben Stellung bezogen zu brisanten Themen wie Pflegefinanzierung, Personalmangel, Pflege-Prüfdienst oder Ausbildung. Wie fällt hier Ihre Bilanz aus?
Dierbach: Ich habe mich immer in einem Spannungsfeld bewegt: Wie weit kannst du dich für das große Ganze engagieren? Wie viel kannst du vor Ort bewegen? In erster Linie habe ich mich immer als Hirte, Chef, Pflegedienstleiter meiner eigenen Einrichtung definiert und dafür gesorgt, dass es hier im Laden gut läuft. Dann kam das andere.
Bald sind Sie ja vom Arbeitsalltag entlastet und werden viel freie Kapazitäten haben. Wird man Ihre kritische Stimme auch künftig hören?
Dierbach: Ja, das sicher, auch außerhalb der Mülheimer Szene, in entsprechenden Organisationen und Verbänden.
„Qualität am Menschen geht weiter, Qualität in der Bürokratie nicht“
In Mülheim gehörten Sie 2013 zu den Initiatoren der „Qualitäts-Offensive Pflege“, mit der Maßstäbe gesetzt werden sollten. Es geht um Würde und Lebensqualität in der Pflege. Was ist in Pandemie-Zeiten von diesem Anspruch geblieben?
Dierbach: Die Qualität am Menschen geht genauso weiter. Die Qualität in der Bürokratie nicht.
Mit Ihrem Konzept der „therapeutischen Pflege“ haben Sie bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Es setzt auf eine bessere Personalausstattung und therapeutische Angebote. Alter, auch der Einzug ins
Generationswechsel zum 1. Januar
Künftig, offiziell ab 1. Januar 2022, wird ein deutlich jüngeres Duo die Evangelische Altenhilfe Mülheim leiten. Dazu gehören die Seniorenheime Haus Ruhrgarten und Haus Ruhrblick (insgesamt 113 Plätze) sowie eine Tagespflege.
Geschäftsführender Pflegedienstleiter wird Marco Warnath (42), der im Haus schon seine Ausbildung gemacht, danach aber in anderen Einrichtungen gearbeitet hat. Seit August 2020 ist er wieder in der Ev. Altenhilfe tätig.
Verwaltungschefin wird Nina Eumann (40), studierte Betriebswirtin, die zuvor gemeinnützige Einrichtungen beraten hat, unter anderem als Referentin im Spitzenverband der Diakonie. Sie arbeitet bereits seit Jahresbeginn bei der Ev. Altenhilfe.
Warnath und Eumann betonen, dass sie das Konzept der therapeutischen Pflege im Haus Ruhrgarten fortführen werden.
Außerdem wollen sie die Digitalisierung vorantreiben, vor allem mit Blick auf Dienstpläne und Pflegedokumentation.
Pflegeheim, soll keine Endstation sein. Haus Ruhrgarten gilt als Vorbild, dem andere Häuser folgen sollen. Wie sieht es damit aus?
Dierbach: Wir möchten diese Form der therapeutischen Pflege in jeder Stadt, in jedem Kreis in Deutschland haben. Das ist das Ziel. In Zusammenarbeit mit der AOK Rheinland/Hamburg sollen zunächst zwölf Einrichtungen dieses Modell einführen, ein Förderantrag für das Forschungsprojekt wurde bereits gestellt. Wir brauchen eine Umkehr im Denken, hin zu mehr Menschenwürde in der Pflege.
Noch ein Blick in Ihre persönliche Zukunft: Wo und wie möchten Sie in 20 Jahren leben?
Steinbach: Oskar Dierbach und ich beziehen im Ruhrgarten ein Doppelzimmer. Dafür setzen wir noch eine Etage drauf.
Dierbach: Es kann gut sein, dass ich dann dem Weisenbeirat des Bundesgesundheitsministeriums angehöre. Wenn sie dort erkannt haben, dass man erfahrene Gerontologen braucht.