Mülheim. In der Mülheimer Ruhr Gallery treffen gegensätzliche künstlerische Positionen aufeinander: Was Heidi Becker und Martin Sieverding aber verbindet.

Sie schichtet Farben und Formen auf Leinwänden übereinander, lässt Bildkompositionen entstehen, deren Zusammenspiel innere Landschaften augenscheinlich werden lassen. Er hingegen kratzt und bricht jene Schichten auf, die er zuvor auf Papier und Leinwand oft fingerdick aufgetragen hat. Und bringt so Verborgenes zutage. Auch im übertragenen Sinn. Eine ganze Ausstellung hat die Ruhr Gallery den Kunstschaffenden Heidi Becker und Martin Sieverding gewidmet, die am Sonntag (7.11.) beginnt – und zieht faszinierende Fäden zwischen scheinbar gegensätzlichen Positionen.

Die Titel der beiden Bilder- und Objekte-Schauen lassen diese schon erahnen: „Extroviduum“ hat Heidi Becker ihre Beiträge aus den vergangenen zwei Corona-Jahren getauft. Ein Kunst-Wort aus „extrovertiert“ und „Individuum“. Rechteckige Farbflächen und dicke Linien durchziehen einige ihrer Beiträge „wie Schranken“, fiel der Mülheimer Künstlerin erst nachträglich auf. Sie nannte die Serie „Concealed“ – Verborgen.

Sieverding über Becker: „An ihren Bildern reizt mich ihr poetischer Umgang mit Farben“

Dass sie die Corona-Zeit mit ihren Beschränkungen auch in ihrer eigentlich abstrakten Kunst so prägen würde, hat Becker selbst überrascht. Doch ihre Technik, kontrastreich Farben und Formen überlagernd aufzutürmen, Teile der Leinwand mit Papierfetzen abzukleben – „Löcher“ wie blinde Flecken in dem Gebilde entstehen zu lassen –, eröffnet bewusst den Raum für das Unbewusste. Das Auge ist ständig in Bewegung, in spielerischer Verwirrung: Was ist vorne, was hinten? „Ich liebe es zu sehen, wie etwas entsteht, in der Natur und in der Kunst“, sagt sie.

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„An ihren Bildern reizt mich ihr poetischer Umgang mit Farben“, lobt Co-Aussteller Martin Sieverding ihr Schaffen. Der Duisburger Künstler ist wie Becker nicht zum ersten Mal in der Mülheimer Ruhr Gallery zu sehen. Seine markanten Skulpturen und Bilder kreisen um das Thema Vergänglichkeit. Wie ein Archäologe oder ein Astronaut dringt Sieverding in die aufgetragenen Materialschichten aus geschöpften Papier, Acryl, Schellack, Vulkansand und Ölfarbe wie in ein zu entdeckendes Universum vor. Bricht Stellen auf, legt sie wieder frei.

Becker über Sieverding: „Mir gefällt sein körperliches Arbeiten mit dem Material, wie er es weitertreibt“

Auch hier zeigt „Intronaut“ – so der Titel seiner Beiträge – seine Stoßrichtung in die Landschaften des Unbewussten, in denen Erlebtes in abstrakter Weise sichtbar wird. „Es wird zutiefst persönlich“, verspricht Sieverding. Auch seine Skulpturen haben diesen Bezug zum Archaischen, zum Morbiden: Dünnes kalkfarbenes Gewebe zieht sich wie Haut oder Fell etwa über Skelette aus Holzstäben. Anderswo offenbart der Duisburger auch seine Leidenschaft für Musik, Rhythmen. Dort zeigt er Muster, lässt seine Kratzspuren wie Klangwellen über die Leinwand gleiten.

„Mir gefällt sein körperliches Arbeiten mit dem Material, wie er es weitertreibt“, lobt Heidi Becker das Schaffen ihres Ausstellungspartners.

Zu sehen sind „Extroviduum“ und „Intronaut“ ab Sonntag, 7. November, 15 Uhr, in der Ruhr Gallery. Die Ausstellung geht bis zum 28. November. Öffnungszeiten: samstags und sonntags von 12 bis 17 Uhr sowie nach Vereinbarung: 469 49 567 oder info@galerie-an-der-ruhr.de.