Mülheim. Seit die Ruhrbahn das Pünktlichkeitsversprechen auf Online-Formulare umstellte, fühlen sich Mülheimer Senioren ausgegrenzt. Woher der Ärger rührt.
Groß ist der Ärger über das Pünktlichkeitsversprechen der Ruhrbahn im Mülheimer Seniorenbeirat. Kommt der Bus oder die Bahn zu spät, soll der Ticketpreis erstattet werden – „wir geben ihnen sogar die Hand darauf“, verspricht die Ruhrbahn auf ihrer Homepage. Das Aushängeschild des Verkehrsbetriebs für Kundenfreundlichkeit hängt allerdings schief, denn der Erstattungsantrag geht nur online. Das aber schließt offenbar etliche Senioren aus.
50 Prozent der Mülheimer Senioren sollen durch die digitale Umstellung ausgeschlossen sein
Hexenwerk ist der Antrag zwar nicht – man trägt neben den persönlichen Daten das Datum, die Linie und Fahrtrichtung in eine vorgegebene Maske ein – dennoch geht der Beirat von 50 Prozent der Mülheimer Seniorenschaft aus, die eben nicht zur „digitalen Community“ gehören und teils nicht einmal einen Computer oder einen Internetanschluss haben sollen. Und vermutlich sind nicht nur ältere Menschen betroffen.
Gilt das Pünktlichkeitsversprechen also nur noch für digital versierte Mülheimer? Seit mehr als einem Jahr versucht Beiratsvorstand Paul Heidrich, eine Lösung mit dem Verkehrsunternehmen zu erzielen. Im Mai 2021 bahnte sich auch eine an: Im Gespräch mit dem Abteilungsleiter „Markt und Kommunikation“ des Verkehrsbetriebs habe Heidrich die mündliche Zusage erhalten, dass Senioren ihren Anspruch auf Kostenerstattung ab dem 1. Juli auch persönlich im Kundencenter geltend machen könnten.
Ruhrbahn soll Zusage kurzerhand zurückgezogen haben
Doch die Zusage sei schon eine halbe Stunde später durch die Geschäftsführung der Ruhrbahn zurückgenommen worden. Heidrich ist über das Gebaren empört: „Ich habe so etwas in meiner jahrzehntelangen Berufstätigkeit für eine gesetzliche Krankenversicherung, bei der ich auch mündliche Vereinbarungen getroffen habe, noch nicht erlebt.“ Aus Heidrichs Sicht ist die Online-Abwicklung der Ruhrbahn eine „Diskriminierung älterer Menschen“, die ja einen nicht unbeträchtlichen Teil der Kunden ausmachten.
Kurios an der digitalen Umstellung des Verkehrsbetriebs ist zudem: Die eigentliche Erstattung des Ticketpreises läuft eben nicht digital. Der Kunde muss sich den Betrag persönlich abholen – im Kundencenter.
Der Seniorenbeirat ging also einen Schritt weiter und hat alle Mitglieder des Aufsichtsrats der Ruhrbahn angeschrieben. Siegfried Rauhut, CDU-Mitglied im Aufsichtsrat, hatte darauf reagiert und sich um einen Ersatztermin mit der Geschäftsführung bemüht. Der sei „aus technischen Gründen“ nicht zustande gekommen, auch weitere scheiterten bislang.
Aufsichtsrat ist eingeschaltet und tagt Ende Oktober dazu
Digitale Technik: Generation Ü 65 ist häufiger unsicher
„Im Umgang mit digitalen Technologien fühlen sich die Über-65-Jährigen im Vergleich zu anderen Altersgruppen besonders unsicher“ – das ist das Fazit von Jörg Marx, Senioren- und Wohnberater im Mülheimer Sozialamt. Er stützt sich auf den aktuellen Altersbericht der Bundesregierung. Betroffen seien etwa 28.115 Personen in der Stadt.
Weiter heißt es im Fazit: „Anbieter von Dienstleistungen sollten insbesondere mit Blick auf die demografisch steigende Zahl hochaltriger Kundinnen und Kunden deren Teilhabe am öffentlichen Leben im besonderen Maße im Blick haben und fördern.“
Eine Antwort der Ruhrbahn auf die Anfrage der Redaktion war bis zum Redaktionsschluss nicht zu bekommen.
„Wir werden uns im Aufsichtsrat mit dem Thema beschäftigen“, sichert Rauhut zu. Nur der tagt erst wieder Ende Oktober. Für die Vorgehensweise der Ruhrbahn hat das CDU-Aufsichtsratsmitglied allerdings auch Verständnis: Es gehe um verbesserte Arbeitsabläufe und die Möglichkeit, die Angaben über das Formular schneller bearbeiten und prüfen zu können.
Rauhut selbst hat schon einen Lösungsvorschlag im Gepäck: „Wir müssen einen Digital-Scout einsetzen, der Menschen hilft, an der digitalen Welt teilzunehmen“, so die Idee. Begrenzt sei dies dann aber nicht nur auf Senioren und auch nicht allein auf die Ruhrbahn, vielmehr soll es um alle möglichen digitalen Problemfälle gehen.
Für den Seniorenbeirat ist dies jedoch allenfalls eine langfristige Lösung – und ob die Ruhrbahn dafür die Personalkosten übernehme, meint Heidrich, sei noch dahingestellt. Also würden damit weitere Kosten der Ruhrbahn auf die Stadt umgelegt.
Seniorenbeirat hat grundsätzliche Zweifel an der Effizienz der Umstellung
Auch hat der Beirat grundsätzliche Zweifel: „Eine verbesserte Effizienz der Arbeitsabläufe bei der Ruhrbahn durch die Digitalisierung oder gar eine Kostenersparnis konnte uns nicht mit Daten oder Zahlen belegt werden.“ Es sei auch nicht schlüssig, denn durch die persönliche Abholung des Erstattungspreises werde ja immer noch Personal beschäftigt.
Eine andere Vermutung stellt der Beirat dagegen an: Das System aus Online-Beantragung und Offline-Erstattung soll womöglich eine Hürde aufbauen, um das Pünktlichkeitsversprechen nicht einlösen zu müssen.