Mülheim. Höchst umstritten war die Einführung eines 5. Dezernats in Mülheim. Und auch bei der anstehenden Besetzung gibt es für Schwarz-Grün einen Haken.

„Selbstverständlich“ habe er sich selbst gewählt, „etwas anderes wäre mir doch als Heuchelei vorgekommen.“ Den Satz soll CDU-Kanzler Konrad Adenauer in seinen „Erinnerungen“ an seine Wahl zum ersten Bundeskanzler der BRD am 15. September 1949 niedergeschrieben haben. Seine eigene Stimme war damals ausschlaggebend. In Mülheim könnte sich das wiederholen. Wenn am Donnerstag die Wahl der Beigeordneten für das - hoch umstrittene – fünfte Dezernat ansteht.

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Schon die Entscheidung für ein weiteres Dezernat musste Schwarz-Grün mit einer Stimme Mehrheit durchdrücken

Kurzer Blick zurück: Denkbar knapp hatten CDU und Grüne zur Ratssitzung am 1. Juli ihre Koalitionsmehrheit und den OB gegen die komplette Opposition in die Waagschale geworfen, und die Stelle für einen zusätzlichen, fünften Dezernenten für Gesundheit, Soziales und Kultur mit einer einzigen, entscheidenden Stimme geschaffen: 28 zu 27. Diese Stelle soll mit Daniela Grobe besetzt werden – darauf hat man sich bereits in der Koalition geeinigt.

So wird es auch in der kommenden Wahl am Donnerstag voraussichtlich auf diese eine Stimme ankommen, um die Mehrheit für die Kandidatin zu erreichen. Die Reihen dürften auf beiden Seiten geschlossen sein. Doch das könnte für Schwarz-Grün eventuell nicht reichen – zumindest wohl nicht für die grüne Kandidatin, die das Dezernat besetzen soll.

Alles hängt an einem Paragraphen: Darf die Stadtverordnete für sich selbst stimmen?

Dr. Daniela Grobe - ist die Wunschkandidatin der Koalition für die fünfte Dezernentenstelle.
Dr. Daniela Grobe - ist die Wunschkandidatin der Koalition für die fünfte Dezernentenstelle. © Die Grünen

Denn alles könnte an einem Paragrafenabsatz der Gemeindeordnung NRW hängen. § 71 regelt die Wahl des Beigeordneten, der ein kommunaler Wahlbeamter ist und ein Dezernat führt: „Sie werden vom Rat für die Dauer von acht Jahren gewählt.“ Dafür reicht die einfache Mehrheit. Im Rat mit 54 Stadtverordneten hat Schwarz-Grün diese mit 27 Stimmen plus Oberbürgermeister rechnerisch. Häkchen dran?

So einfach geht das nicht: Denn es gibt auch den „§ 31“, der die „Ausschließungsgründe“ regelt, bei denen ein Ratsmitglied nicht mitstimmen darf. So darf ein „zu ehrenamtlicher Tätigkeit oder in ein Ehrenamt Berufener“ – das sind Ratsmitglieder – „weder beratend noch entscheidend mitwirken, wenn die Entscheidung einer Angelegenheit ihm selbst einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann“.

Warum ein Nachsatz die Abstimmung schwierig macht

Ist es zum Beispiel ein „Vorteil“, wenn man als Stadtverordnete zur Beigeordneten gewählt wird, weil man – nach Adenauers Vorbild – sich selbst gewählt hat? Das sogenannte Mitwirkungsverbot differenziert sehr fein. So darf jemand zum Beispiel auch dann mitstimmen, wenn er damit seine eigene Berufsgruppe bevorteilen würde.

Auch wenn jemand per Wahl zu einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder in ein Ehrenamt berufen würde, dürfte dieser mit – also für sich – stimmen. Auch „bei Wahlen, Wiederwahlen und Abberufungen nach § 71“, gilt das Verbot der Mitwirkung zunächst also nicht. Entscheidend aber könnte der Nachsatz sein: „Es sei denn, der Betreffende selbst steht zur Wahl“.

Koalition plant bereits einen Ausweg

Stadtdirektor Frank Steinfort bestätigt die Problematik auf Anfrage der Redaktion. Er kennt auch schon den Ausweg der Koalition aus dem Dilemma.

Daher erklärt Daniela Grobe am Donnerstag vor dem Sitzungsbeginn ihren Rücktritt aus dem Rat. Sie wird durch Kathrin Rose, derzeit Parteivorsitzende der Mülheimer Grünen und Kandidatin für die Landtagswahl 2022, ersetzt.

Kathrin Rose soll zu Beginn der selben Sitzung vom Rat vereidigt werden. Somit kann Rose anstelle von Grobe für die grüne Kandidatin als Beigeordnete stimmen.

Für den von der CDU bevorzugten Kandidaten David Lüngen wird dies keine Hürde darstellen. Doch Daniela Grobe ist aktuell eines von 13 Mitgliedern in der Ratsfraktion der Grünen. Deutlicher noch: Es wäre ihre einzelne Stimme, die darüber entscheiden würde, ob sie die Stelle bekommt. Normalerweise pflegen sich Betroffene zu enthalten – in anderen Mehrheitskonstellationen als dieser knappen wäre dies kein Problem. Doch bei der zu befürchtenden Stimmengleichheit, also 27 zu 27, käme damit ihre Wahl nicht durch.

Das Dilemma wird die Koalition noch vor der Ratssitzung am Donnerstag lösen müssen oder sich darauf verlassen, dass Teile der Opposition unerwartet für Grobe stimmen – schließlich soll sie bei den Bewerbungsgesprächen am stärksten überzeugt haben.