Mülheim. Sonja Gehrmann musste um ihre zweite Impfung lange bangen, weil sie ihren Impfausweis verloren hatte. Was die Mülheimerin dabei erlebte.

Dass die Mülheimerin Sonja Gehrmann inzwischen stolz ihren Impfpass in die Kamera halten kann, wäre eigentlich kaum eine Nachricht wert. Wenn, ja wenn die 49-Jährige nicht dafür eine regelrechte Odyssee angetreten wäre. Fast wäre ihre Impfung am kleinen gelben Dokument gescheitert, denn ihr Hausarzt weigerte sich, den Pass herauszugeben. Die Begründung der Arzthilfe? Man könne mit dem Pass betrügen.

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Klare Ansage beim Impfzentrum: Ohne Pass gibt es keine zweite Impfung

„Ohne Pass keine zweite Impfung“ – mit der klaren Ansage sah sich Sonja Gehrmann am Mülheimer Impfzentrum konfrontiert. Einen Termin für den 19. Mai hatte sie zwar als Angehörige einer pflegenden Person bekommen, doch ihren Impfausweis konnte sie nicht mehr finden. Das Zentrum gab ihr dennoch die erste Spritze, allerdings mit der Auflage, diesen beim zweiten Termin vorzulegen.

Was tun, wenn der alte Pass aber nicht mehr auffindbar ist? „Ich werd’ schon einen bekommen“, glaubte Gehrmann optimistisch, tat das Naheliegende und schaute beim Hausarzt vorbei. Doch der stellte sich überraschend quer, oder besser: die Praxismitarbeiterin. Sie dürfe den Ausweis nicht herausgeben, weil man damit betrügen oder diesen gegen Geld verkaufen könnte. „Wie ich genau betrügen soll, hat sie mir nicht verraten“, stand Sonja Gehrmann einigermaßen perplex da. Und noch immer ohne Ausweis.

Zuständigkeit ist geregelt: Hausärzte und Gesundheitsamt dürfen neuen Pass herausgeben

Dabei ist die Lage zumindest auf den Seiten der Krankenkassen eindeutig dargelegt: Wer den Pass verloren hat, erhält ihn kostenlos beim Arzt oder Gesundheitsamt. heißt es dort. Doch auch bei der Behörde stieß Sonja Gehrmann auf Granit: Sie sei nicht zuständig, sagte man der 49-Jährigen, die langsam ratlos wurde.

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Die Krankenkasse, die Ärztehotline, die Ärztekammer – sogar bis nach Berlin zum Bundesgesundheitsministerium wählte sich Sonja Gehrmann durch. Überall jedoch bekam die Mülheimerin dieselbe Ansage zu hören: Nicht zuständig, bitte wenden Sie sich an den Hausarzt. „Niemand konnte angeblich helfen. Was soll ich aber machen, wenn der Arzt sich weigert? Deswegen den Hausarzt wechseln?“, fragt sich die Betroffene. Die Zeit also tickte immer lauter bis zum zweiten Impftermin.

Handel mit gefälschten und auch mit leeren Impfpässen ist ein lukratives Geschäft

Seit das Impfen gegen Corona der entscheidende Schlüssel zu mehr persönlichen Freiheiten geworden ist, avancierte der ,gelbe Lappen’ offenbar zum puren Gold. Gefälschte Impfpässe inklusive (gefälschter) Arztstempel und Unterschriften werden angeblich in den sozialen Netzwerken und Messengerdiensten angeboten und für bis zu 100 Euro verkauft, meldet unter anderem die polizeiliche Kriminalprävention des Länder und des Bundes.

Gesundheitsamt stellt Pass wegen hoher Nachfrage aus

Jahrzehnte lang füllten die Hausärzte, nicht das Gesundheitsamt, den Impfpass aus. „Das war die Praxis und macht auch Sinn“, sagt Stadtsprecher Volker Wiebels. Denn die Ärzte nehmen die Impfung in der Regel vor und verantworten auch die Einträge.

Doch die Corona-Pandemie hat offenbar dazu geführt, dass Menschen ihren Impfpass hervorkramen wollten und nicht mehr fanden. Die Nachfrage nach dem gelben Dokument ist seitdem spürbar gestiegen.

Daher habe, sagt Wiebels, der Krisenstab beschlossen, dass das Gesundheitsamt nun auf Nachweis der ersten Impfung etwa durch das Impfzentrum einen neuen Impfpass ausstellt und die Impfung auch einträgt. Das allerdings kostet eine Verwaltungsgebühr von 20 Euro. „Die Anfrage der Mülheimerin hat sich wohl mit dieser Änderung überschnitten“, vermutet Wiebels.

Weil sich der bisher kaum genutzte Impfpass bei offenbar nicht wenigen Menschen im Abyss der Schubladen verlor, scheint die Nachfrage groß und auch das Geschäft mit leeren Pässen blüht. Sogar auf Portalen von Online-Händlern wird der Ausweis – blanko natürlich – für 4,90 bis 7,90 Euro (als „Premiumset“ mit Hülle) und als „neueste Auflage“ mit separater Seite für Covid-19-Impfungen feilgeboten.

Gehrmann indes entsann sich einer anderen „List“, oder besser: ihre Mutter. Die 80-Jährige ging einfach zum nächsten Apotheker. Und erhielt einen – sogar ganz umsonst. Sonja Gehrmann ist jetzt erleichtert: „Man hat mit der Zeit echt Angst, keinen Pass zu bekommen. Ich bin jedenfalls immer nervöser geworden“, räumt die Mülheimerin unumwunden ein. Der goldene Lappen – er liegt jetzt gut gesichert in der Schublade bis zum zweiten Impftermin.