Mülheim. Bei der Mülheimer Frauenberatung kommen im Lockdown weniger Hilferufe an, dafür sind sie umso dringender. Eine Beraterin berichtet.
Der Lockdown gilt auch für die Frauenberatungsstelle in der Mülheimer Innenstadt. Die Tür am Hans-Böckler-Platz 9 ist geschlossen, doch das Team bleibt erreichbar. Diplom-Pädagogin Karoline Marks und ihre Kollegin haben mit Klientinnen aus drei, wenn nicht vier Generationen zu tun. Ein Interview.
Die Corona-Pandemie hat das Leben völlig verändert. Auch die Probleme der Mülheimer Frauen, die bei Ihnen Hilfe suchen?
Karoline Marks: Nein. Unser Beratungsschwerpunkt ist Gewalt – zu Hause und in der Partnerschaft. Das hat sich nicht verändert. Wir beraten auch in Trennungs- und Scheidungssituationen, aber wir machen keine allgemeine Sozialberatung oder Migrationsberatung. Bei solchen grundsätzlichen Problemen verweisen wir an unsere Netzwerkpartner.
Was sagt Ihre Statistik: Gab es 2020 vermehrte Anfragen oder Notrufe?
Wir haben die Zahlen noch nicht genau ausgewertet, aber grob gesagt hat sich gegenüber 2019 nicht viel geändert. Es waren schätzungsweise 200 Frauen, die wir beraten haben.
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Dabei hört man doch vielfach, unter welchem Stress, welcher Belastung gerade Mütter durch den Lockdown stehen?
Normalerweise kommen auch gerade im Dezember und Januar besonders viele Beratungsanfragen, weil die Familien enger aufeinander hocken, die Konflikte eskalieren. Doch das hat es in diesem Jahr nicht gegeben. Es sind auch weniger Polizeifaxe gekommen.
Die Polizei faxt noch?
Ja, das läuft tatsächlich noch ganz altmodisch. Nach jedem Polizeieinsatz wegen häuslicher Gewalt bekommt unsere Beratungsstelle eine Meldung per Fax. Wir gehen dann auf die betroffenen Frauen zu, rufen bei ihnen an und fragen, ob sie Hilfe brauchen. Solche Fälle waren in jüngster Zeit seltener. Aber die Gewalt hat nicht nachgelassen. Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Wir vermuten, dass viele Frauen durch den Lockdown einfach nicht in der Lage sind, bei uns anzurufen. Wenn der Mann den ganzen Tag zu Hause sitzt, ist es schwieriger, frei zu sprechen.
Kein freies Sprechen, wenn der Mann den ganzen Tag zu Hause ist
Was deutet darauf hin?
Die Anfragen, die momentan kommen, sind wirklich akut. Das sind Frauen, die sich bedroht fühlen, die sagen: ,Ich muss raus. Ich kann nicht mehr.’ Frauen, die sich erst mal nur darüber informieren wollen, was sie bei einer Trennung oder Scheidung erwartet, melden sich seltener.
Die Türen der Beratungsstelle in der Innenstadt sind seit Dezember geschlossen. Erschwert das Ihre Arbeit?
Zumindest fällt eine ganz niederschwellige Zugangsmöglichkeit momentan weg, nämlich unser Second-Hand-Laden. Er hat oft Alibifunktion für Frauen, die einen sehr kontrollierenden Partner haben. Sie können sagen: ,Ich schau mal im Laden nach Kinderkleidung’ - und hier dann einfach hochkommen zur Beratung.
Falls sich die Hilfesuchenden nicht direkt beim Frauenhaus melden: Sind persönliche Beratungstermine zur Zeit überhaupt möglich?
Seit Dezember machen wir Face-to-Face-Termine nur in Notfällen. Dies wird tatsächlich auch mehrmals pro Woche angefragt. Außerdem bieten wir „Beratungsspaziergänge“ an. Die meisten Frauen möchten in der aktuellen Situation aber kein persönliches Treffen im geschlossenen Raum.
Gewalt kann jede Frau betreffen – auch nach 50 Ehejahren
Wenn Sie auf das vergangene Jahr schauen: Wie alt war die älteste Frau, die Hilfe gesucht hat? Wie jung war die Jüngste?
Unsere jüngste Klientin war ein 15-jähriges Mädchen, die älteste eine 83-Jährige. In beiden Fällen ging es um häusliche Gewalt, im Elternhaus, beziehungsweise in der Partnerschaft. Es kommt in allen Altersstufen vor und kann jede Frau betreffen. Auch nach mehr als 50 Ehejahren.
Aktuelle Anlaufstellen in Mülheim
Die Beratungsstelle „Hilfe für Frauen“ am Hans-Böckler-Platz 9 ist momentan nur telefonisch erreichbar unter 0208-3056823, montags bis freitags von 9 bis 12 Uhr.
Ab März soll eine psychosoziale Onlineberatung über die Webseite des Vereins angeboten werden.
Der Verein betreibt auch das Mülheimer Frauenhaus, dort können Hilfesuchende direkt anrufen unter 0208-997086 (montags bis donnerstags von 8 bis 16 Uhr, freitags von 8 bis 14 Uhr).
Täglich rund um die Uhr erreichbar ist das bundesweite Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen: 0800-0116016.
Wie ist es mit der 15-Jährigen und der 83-Jährigen dann weitergegangen?
Es waren Erstberatungen, in denen wir über die Rechte aufklären. Was sich daraus entwickelt, wie die Frauen sich entscheiden, bekommen wir manchmal gar nicht mit.