Mülheim. In aller Stille hat Mülheim einen Skandal um Arbeitsmarktprojekte abgewickelt. Es sind Gelder für Ein-Euro-Jobs geflossen, die es gar nicht gab.

Ein Skandal um die Verwendung von Steuergeldern ist von der Stadtverwaltung ohne öffentliche politische Debatte zu den Akten gelegt worden. So hat die Stadt im vergangenen Jahr einen gut sechsstelligen Betrag vom Diakoniewerk Arbeit & Kultur zurückerstattet bekommen, der mit Bundesmitteln für Ein-Euro-Jobs ausgezahlt worden war, die es gar nicht gegeben hatte.

Erst nach der Ankündigung dieser Redaktion, bei weiterer Verweigerung die Herausgabe eines entsprechenden Rechtsgutachtens zur Causa per Klage beim Verwaltungsgerichtsgericht einzufordern, hatte die Stadt eingelenkt und sowohl das Gutachten als auch die Zahlungsaufforderungen an das Diakoniewerk aus dem Jahr 2020 zur Verfügung gestellt.

Auslöser war ein vertraulicher Bericht der Mülheimer Rechnungsprüfer

Über den Fall, der ursprünglich im nichtöffentlich tagenden Rechnungsprüfungsausschuss aufgerufen worden war, hatte die Redaktion erstmals im Mai 2019 berichtet. Nach einer Prüfung von 33 Maßnahmen mit Ein-Euro-Jobs beim Diakoniewerk hatten die städtischen Rechnungsprüfer den Betrag von mindestens einer Viertel Million Euro aufgerufen, den es von dem Mülheimer Sozialunternehmen zurückzufordern gelte.

Die seinerzeit von den Rechnungsprüfern aufgeführte Liste mit mutmaßlichen Mängeln war lang. Im Kern hatte das Rechnungsprüfungsamt der städtischen Hartz-IV-Behörde den schweren Vorwurf gemacht, dem Diakoniewerk reichlich zu viel Bundesmittel überwiesen zu haben, ohne die Angaben des Diakoniewerks zu Kosten und Erlösen aus den Projekten auch nur annähernd geprüft zu haben.

Stadt schaltete 2019 externe Wirtschaftsprüfer ein

In der Folge schaltete die Stadt mit politischem Segen externe Gutachter ein, um etwaige Rückforderungsansprüche zu prüfen. Das Ergebnis verkündete der damalige Sozialdezernent und heutige OB Marc Buchholz im Februar 2020 auf Anfrage dieser Redaktion. Seinerzeit kündigte er im Beisein von Ulrich Schreyer, dem zwischenzeitlich in den Ruhestand getretenen Geschäftsführer des Diakoniewerkes Arbeit & Kultur, sowie Superintendent Gerald Hillebrand, der dem Aufsichtsrat der gemeinnützigen Gesellschaft vorsitzt, eine Rückforderung von rund 200.000 Euro an.

Die Sache sei „nicht zu skandalisieren“, hatte Buchholz seinerzeit gesagt. In der Abwicklung und im Controlling der Arbeitsmarkt-Projekte habe die Mülheimer Hartz-IV-Behörde Fehler gemacht, sagte er da. So sei dem Jobcenter durchgegangen, dass es dem Diakoniewerk Kosten für mehr Teilnehmer erstattet habe, als es sie tatsächlich in den Projekten gegeben habe. Das Gutachten hierzu blieb aber unter Verschluss.

Jobcenter zahlte Gelder für Ein-Euro-Jobs aus, die es gar nicht gab

Jetzt liegt es dieser Redaktion vor und offenbart, dass die Rückforderung von exakt 176.256 Euro für die Jahre 2016 bis 2018 nicht ansatzweise auf jenen mutmaßlichen Mängeln fußt, die das Rechnungsprüfungsamt meinte ausgemacht zu haben. „Unsere Arbeit war nicht darauf ausgerichtet, Manipulationen oder Falschaussagen aufzudecken“, heißt es dazu seitens der Gutachter. So seien Mehraufwendungen nicht Gegenstand der Prüfungen gewesen. Es sei lediglich geprüft worden, ob die Zahl der abgerechneten mit der Zahl der tatsächlichen Teilnehmer übereinstimme.

Bemerkenswert, dass die Stadtverwaltung für diese einfache Prüfung externen Rat einholte und dass das Prüfergebnis ein halbes Jahr auf sich warten ließ, wo doch sämtliche von dem Diakoniewerk eingereichten Rechnungen vorlagen. Bemerkenswerter aber noch ist die Feststellung der Gutachter, dass das Mülheimer Jobcenter über die Jahre dem Diakoniewerk auch Kostenpauschalen für Teilnehmer (192 Euro pro Monat) gezahlt hat, die es gar nicht gab.

Gutachter spürten gut 900 Fälle auf

Offenbar hatte der Jobcenter stets so viel Geld überwiesen, als wenn das Diakoniewerk die maximal mögliche Zahl an Ein-Euro-Jobbern betreut hätte. Dafür gab es allerdings keinerlei schriftlich fixierte Grundlage. Schriftlich vereinbart worden war demnach lediglich, dass die Stadt Pauschalen nur für "echte" Teilnehmer zahlt. Allein in den Jahren 2016 und 2017 hat das Jobcenter demnach Steuermittel für 485 Ein-Euro-Jobber ausgezahlt, die gar nicht existent waren.

Für den Zeitraum Januar bis Mai 2018 stellen die Gutachter zudem fest, dass noch Maßnahmen aus dem Jahr 2017 abgerechnet worden seien, "die im Jahr 2018 vermutlich weiter fortgeführt wurden"; die Stadt habe dies allerdings akzeptiert, ohne dass es dafür eine vertragliche Grundlage gebe. Darüber hinaus bestünden allerdings Rückforderungsansprüche, weil Teilnehmer mehrfach abgerechnet worden seien. Insgesamt seien im Jahr 2018 noch einmal 433 Fälle zu viel abgerechnet worden.

Diakoniewerk hat die Rückforderungen zähneknirschend akzeptiert

Das Diakoniewerk Arbeit & Kultur hat die Forderungen zähneknirschend akzeptiert und die knapp 180.000 Euro Bundesmittel zwischenzeitlich zurücküberwiesen. "Nach wie vor bewerten wir die Sache anders", sagt dessen Aufsichtsratsvorsitzender Hillebrand allerdings. Man habe aber gezahlt, um einem womöglich jahrelangen Rechtsstreit aus dem Weg zu gehen und die Zusammenarbeit mit der Stadt für die Zukunft nicht zu belasten.

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Das Diakoniewerk beruft sich auf eine mündliche Vereinbarung mit dem damaligen Sozialdezernenten Ulrich Ernst und dem mittlerweile pensionierten Sozialamtsleiter Klaus Konietzka, dass das Jobcenter genau die Anzahl an Pauschalen zahlen wollte, so viele Plätze das Diakoniewerk an Infrastruktur vorhalte.

Diakoniewerk hält Infrastruktur vor, ist aber abhängig von Zuweisungen

Das Diakoniewerk verweist darauf, dass es bei der Zuweisungen von Teilnehmern bei Arbeitsgelegenheiten komplett vom Jobcenter abhängig sei, aber es sich vertraglich verpflichtet habe, ein bestimmte Zahl an Plätzen in seinen Einrichtungen vorzuhalten. Es sei wirtschaftlich nötig, die Kosten für die vorgehaltene Infrastruktur auch erstattet zu bekommen.

"Nach wie vor bekommen wir nur schleppend Teilnehmer für Arbeitsgelegenheiten zugewiesen", beklagt Hillebrand, dass eine soziale Einrichtung wie das Diakoniewerk auf wackligem wirtschaftlichem Fundament stehe, wenn fortlaufend so abgerechnet werde.

INFO

Im Jahr 2019 hat die Stadtverwaltung wegen der mutmaßlichen Mängel, die die Rechnungsprüfer bei Stichproben moniert hatte, insgesamt 74 Arbeitsmarktprojekte an Gutachter übergeben, um weitere Rückforderungsansprüche prüfen zu lassen.

Noch ist dazu ein Gutachten nicht präsentiert worden. Zuletzt hieß es im November 2020, "die weitergehende externe Prüfung ist noch nicht abgeschlossen". Neben dem Diakoniewerk hatte das Rechnungsprüfungsamt auch bei der Abwicklung von Arbeitsmarktprojekten mit der Paritätischen Initiative für Arbeit mutmaßliche Mängel entdeckt.