Mülheim. Bildungsstätten, Sportvereine und Jugendtreffs sind erfinderisch, bieten Online-Kurse an. Viele Teilnehmer vermissen den persönlichen Kontakt.
Corona hinterlässt nicht nur negative Spuren. Ungewollt ist die Pandemie ein Beschleuniger der Digitalisierung geworden. Auch Bildungseinrichtungen oder Vereine mussten ihre Angebote an die Corona- und Lockdownsituation anpassen. Die VHS Mülheim möchte ihr Online-Angebot, das es auch vor Corona schon gab, weiter ausbauen und auch nach Corona digitaler als vor der Krise aufgestellt sein.
VHS: 50 Online-Kurse schnell entwickelt
„In kürzester Zeit haben wir 50 Online-Kurse auf die Beine gestellt“, sagt VHS-Leiterin Annette Sommerhoff. „Ich bin gespannt, wie sich das weiterentwickelt.“ Eine VHS in der Zukunft sei in jedem Fall eine digitalere VHS. Viele positive Rückmeldungen habe es zu dem Online-Angebot gegeben, so Sommerhoff. Viele, die sich vorher nicht getraut hätten, einen Online-Kurs zu machen, weil sie nicht besonders technikaffin wären, hätten sich in der Krise auf das digitale Abenteuer eingelassen. Auch die Dozenten der VHS seien natürlich umfangreich geschult worden, um bei technischen Schwierigkeiten helfen zu können.https://www.waz.de/staedte/muelheim/muelheim-neues-vhs-programm-umfasst-rund-300-angebote-id229568160.html
Gerade im Bereich der Fremdsprachen und Deutsch als Zweitsprache sind Online-Kurse beliebt und machen mit 34 Kursen einen großen Anteil des gesamten Online-Angebotes aus. Auch Kurse, in denen die Teilnehmer den richtigen Umgang mit der Videoplattform „Zoom“ lernen, seien gefragt. „Wir versuchen immer auf aktuellen Bedarf so schnell es geht zu reagieren“, sagt Sommerhoff. Beruflich aber natürlich auch privat seien Videokonferenzen und Videoanrufe das Mittel, um seine Kollegen und Verwandten nicht nur zu sprechen, sondern auch zu sehen.
Teilnehmerzahl gleich, Reichweite größer
Der erste große Vortrag ging ebenfalls bereits über die digitale Bühne. Mit 80 Teilnehmern waren es etwa so viele Zuhörer, wie vor der Krise bei den Präsenzvorträgen. „Aber wir hatten diesmal eine wesentlich größere Reichweite, die Teilnehmer hatten sich aus ganz Deutschland zugeschaltet“, zeigt Sommerhoff auch die Vorteile des Onlineformates auf. Viele potentielle Dozenten hätten sich bei der VHS extra und ausschließlich für Online-Kurse gemeldet. So sei es etwa freiberuflichen und alleinerziehenden Lehrkräften besser möglich, Kurse zu geben und Geld zu verdienen. [+++ Sie wollen keine Nachrichten mehr aus Mülheim verpassen? Abonnieren Sie hier unseren Newsletter +++]
Dennoch stehe VHS natürlich nach wie vor für Bildung und Begegnung. Die VHS-Leiterin und ihre Mitarbeiter möchten nach dem Lockdown wieder so viele Präsenzkurse anbieten, wie es möglich ist.
Evangelische Familienbildung: Viele mögen Präsenz
Die Evangelische Familienbildungsstätte konnte während des ersten Lockdowns zunächst keine Online-Kurse anbieten. „Wir waren nicht darauf eingestellt und hatten auch die technischen Voraussetzungen nicht“, sagt Inga Dorothea Schlemmer, die seit 2016 die Familienbildungsstätte leitet. Viele Kursteilnehmer seien jedoch auch nach dem Lockdown zu den Präsenzkursen nicht gekommen, aus Angst sich mit dem Virus anzustecken.https://www.waz.de/staedte/muelheim/es-begann-als-muetterschule-evangelische-familienbildungsstaette-wird-50-id6184834.html
Zu Beginn des zweiten Lockdowns Anfang November wurden dann auch viele Online-Kurse angeboten, die jedoch sehr unterschiedlich angenommen wurden. „Wir merken schon einen Anstieg der Bereitschaft das digitale Angebot anzunehmen“, sagt Schlemmer. „Es gibt aber auch Menschen, die explizit den persönlichen Kontakt haben möchten und daher im Moment weiter pausieren.“
Außerdem habe es auch viel mit Teilhabe zu tun, denn nicht jeder könne sich das technische Equipment leisten und sei daher auch nicht für Online-Kurse ausgestattet. Dennoch wolle man auch nach der Krise, da wo es sich bewährt hat, das digitale Angebot ausweiten. Der überwiegende Teil der Kursteilnehmer und Dozenten würden jedoch lieber zum Präsenzunterricht zurückkehren.
Katholische Akademie: Zwischenmenschliches wichtig
Auch Judith Wolf, Leiterin der katholischen Akademie „Die Wolfsburg“ zieht viel Positives aus der zunächst notgedrungenen Digitalisierung der Akademiearbeit. Sie sieht aber auch Grenzen. „Ich hätte vorher nicht gedacht, dass man mit Online-Angeboten so viel erreichen kann“, sagt Wolf. „Aber das Zwischenmenschliche fehlt halt doch und man merkt eine gewisse Müdigkeit in Sachen Digitalität bei den Menschen.“ Beibehalten möchte sie ein gewisses digitales Angebot jedoch unbedingt. „Man kann ja auch zweigleisig fahren“, so Wolf. „Dass man sich an einer großen Veranstaltung vor Ort etwa auch digital beteiligen kann, soll als zusätzliches Angebot weiter bestehen und über das Online-Angebot hat man natürlich auch eine größere Reichweite.“ https://www.waz.de/staedte/muelheim/muelheim-die-wolfsburg-oeffnet-nach-corona-shutdown-wieder-id229051101.html
Sportverein stellt Videos zur Verfügung
Eine gute Alternative in der Pandemie, aber keinesfalls Zukunftsmusik, sei das Online-Angebot des Turn- und Schwimmvereins (TSV) Viktoria, meint der Vereinsvorsitzende Dirk Winkelmann. Auch wenn die Videos, die durch die jeweiligen Trainer erstellt werden, sehr gut angenommen würden, seien die sozialen Kontakte ein wichtiger Faktor, warum Menschen Mitglied in Sportvereinen seien. Das zeige sich auch daran, dass im Laufe des Jahres doch ein gewisser Mitgliedsschwund zu bedauern sei. „Wir hoffen natürlich, dass wir nach der Krise viele Rückkehrer haben werden, die großen Hunger darauf haben, endlich wieder Sport in der Gemeinschaft zu machen“, so Winkelmann.
Viele Mitglieder vermissen persönlichen Kontakt
Online-Kurse, die live über Videoplattformen laufen, gibt es beim TSV Viktoria ausschließlich im Bereich des Leistungsturnens, wo eine direkte Kommunikation zwischen Trainern und Sportlern unabdingbar ist. In den anderen Bereichen, vor allem bei Gymnastik- oder Reha-Kursen setzt der Verein auf Videos, die von den jeweiligen Trainern aufgenommen und zur Verfügung gestellt werden. Das habe den Vorteil, dass die Vereinsmitglieder diese immer wieder abrufen könnten, so Winkelmann. Um allen Mitgliedern die Teilnahme an den Kursen weiter zu ermöglichen, würden die Trainer viel Engagement zeigen. So wurden etwa allen Teilnehmern der Jumping Fitness die benötigten Trampoline nach Hause gebracht.http://www.tsv-viktoria.de/startseite.html
Footballer motivieren online zu Sprintübungen
Dass gerade ein Kontaktsport wie American Football in der Krise nur sehr eingeschränkt möglich ist, haben die Spieler der Mülheim Shamrocks im vergangenen Jahr zu spüren bekommen. Und auch jetzt im zweiten Lockdown ist Kreativität gefragt. „So sollen Challenges zwischen den Teams den Ehrgeiz wecken, sich etwa in der Anzahl von Push-Ups zu messen“, sagt Shamrocks Jugendwart Jan-Philipp Heinen. „Selbstgedrehte Videos zu verschiedenen Sprintübungen motivieren dazu, trotz Kälte und Schnee, nach draußen zu gehen und sich an der frischen Luft zu bewegen.“
Jugendtreff liefert Spielkisten ins Haus
Für Mülheimer Kinder- und Jugendzentren ist der Lockdown besonders bitter. Die offene Jugendarbeit wird durch die Pandemie ausgebremst. Ein Ort, an dem sich junge Leute treffen und austauschen können, ist durch ein Online-Angebot nicht zu ersetzen. „Wir sind momentan hauptsächlich damit beschäftigt, den Kindern und Jugendlichen das Jugendzentrum nach Hause zu bringen“, fasst Christin Hickmann vom Betreuungsteam des Dümptener Jungentreffs „Der springende Punkt“ ihren aktuellen Arbeitsschwerpunkt zusammen. https://www.waz.de/staedte/muelheim/neue-nasch-ecke-am-jugendzentrum-in-muelheim-duempten-id230458206.html
„Wir stellen Boxen mit Beschäftigungsmöglichkeiten zusammen, die wir den Kindern und Jugendlichen nach Hause liefern.“ Auch über Facebook würde viel mit den Jugendlichen kommuniziert. Und man komme jeden Freitag zu einem Quatsch- und Spieleabend via Videokonferenz zusammen. Ersetzen könne das den persönlichen Austausch im Jugendtreff, der für viele Dümptener Kinder und Jugendliche eine wichtige Anlaufstelle sei, aber nicht.