Mülheim. Das Kunstmuseum Temporär hat sein Schaufenster für eine einmonatige Ausstellung Joseph Beuys gewidmet. Was den Künstler mit Mülheim verbindet.

Er hat die Demokratie aus der Bürgerbewegung entwickelt, er hat die Natur künstlerisch ins Zentrum der Politik geholt, er hat mit Filz und Fett gearbeitet, ohne sich schmieren zu lassen. Wenn just nicht Beuys-Jahr wäre - Mülheim müsste es erfinden: So eng ist die inzwischen grün-schwarze Stadt thematisch mit ihm verbunden. Das Kunstmuseum Temporär hat sein Schaufenster für eine einmonatige Dauerausstellung dem stets auch politischen Künstler Joseph Beuys gewidmet.

Dass Beuys ebenso persönlich mit der Ruhrstadt verknüpft war, zeigt im Schaufenster an der Schloßstraße 28 ein Film des Mülheimer Filmemachers Werner Nekes und der Künstlerin Dore O. Knapp elf Minuten sieht man Beuys Rücken in einem Atelier am Kassenberg, wo er 1981 über den erweiterten Kunstbegriff spricht - unter teils wütendem Protest seines Publikums. "Beide, Nekes und Beuys, haben an der Entgrenzung gearbeitet: Der eine erweiterte den Film zum Kunstfilm, der andere die Kunst mit vergänglichen Materialien und zur politischen Aktion", interpretiert Beate Reese, Leiterin des Kunstmuseums.

Mit dem roten Besen gegen den ritualisierten Marxismus

Bis zum 21. Februar ist die Mini-Ausstellung im Kunstmuseum Temporär zu betrachten, kostenlos und quasi 24 Stunden am Tag. Sie soll den Auftakt machen für eine spätere Ausstellung, die im Februar eröffnen soll - so Corona es zulässt.

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So lange machen die Kleinode hinter Glas den Mund wässrig, als da wären Plakate, die seine Aktionen dokumentieren. Etwa als der Fluxus-Künstler am 1. Mai 1972 mit einem rotborstigen Besen den Karl-Marx-Platz in Westberlin fegte, nachdem dort die Gewerkschaft demonstriert hatte. Das war durchaus als symbolische Reinigung und kritische Auseinandersetzung mit dem ritualisierten Marxismus zu verstehen, wie Beuys kommentierte: „Damit wollte ich klarmachen, dass auch die ideologisch fixierte Orientierung der Demonstranten ausgefegt werden muss, nämlich das, was als Diktatur des Proletariats auf den Transparenten verkündet wurde.“

Beuys scheint aktuell wie nie

Ebenso zeigt das Kunstmuseum sein Mandala-artiges Schaubild, das den Parteienstaat der "wirklichen Demokratie" gegenüberstellte. Ein hochaktueller Denkanstoß in Zeiten, in denen Bürgerbeteiligung und parlamentarische Demokratie gesellschaftlich neu verhandelt werden. Beuys Haltung war klar: Nein zum Parteienstaat, wenn auch das im historischen Kontext der linken Bürgerbewegung gesehen werden muss. Ein heutiges von rechts usurpiertes Wutbürger- und Querdenkertum wäre dem friedensbewegten Künstler wohl fremd gewesen.

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"Was Beuys wohl heute zur Corona-Krise gesagt hätte?", zeigt sich Museumsleiterin Reese von dem Sendungsbewusstsein und der Bandbreite Beuys' fasziniert, "Er fehlt unserer Gesellschaft als konstruktiver politischer Gestalter, der nicht nur Parolen herausposaunte. Ich denke, er wäre auch eine interessante Person für die junge Generation."

So ist auch die Schaufenster-Ausstellung "als Impuls in die Stadt zu verstehen, an etwas anderes zu denken als an Corona", hofft Reese auf bessere Zeiten für das öffentliche Leben und die Kultur. Beuys könnte als Hoffnungsträger gut dienen, denn er stand für das Wandelbare auch in der Kunst. Das, so Reese, zeige sich auch in den Materialien: Fett, Filz, Honig.

Ab Februar wieder Ausstellungen - so Corona will

Am stärksten fasziniert Reese jedoch das Plakat, in dem der Aktionskünstler zur Dokumenta in Kassel im Gespräch zu sehen ist. Eine blühende Rose im Reagenzglas ragt in die Bildmitte und über die Köpfe der Diskutanten hinaus, als wäre sie der eigentliche Star des Bildes, darüber: überraschend viel Leere - "ein Denkraum für den Betrachter".

Den gibt es hoffentlich bald auch wieder im öffentlichen Leben: Wenn es gutgeht mit der Pandemie, will das Kunstmuseum nach der Beuys-Ausstellung im Februar anknüpfen mit einer weiteren des Kunstfördervereins zu "Farbe, Raum, Objekt" gemeinsam mit der Galerie D'Hamé. Später folgen eine Schau der aktuellen Mülheimer Kunststipendiatin Yohana Tushorova sowie die Jahresausstellung "Das Runde".

Infos: www.kunstmuseum-mh.de