Mülheim. Ein Verband der Frauenärzte sieht Rückgang bei Vorsorgeuntersuchungen. In Mülheim war das vor allem im Frühjahr Thema. Auch andere Ärzte warnen.
Im Corona-Jahr 2020 haben deutlich weniger Frauen die empfohlenen Termine zur Krebs-Früherkennung wahrgenommen als in den Jahren zuvor. Darauf und auf die möglicherweise schlimmen Folgen hat jüngst der Berufsverband der Frauenärzte hingewiesen. Gynäkologen aus Mülheim haben diesen Trend vor allem in der ersten Hälfte des Jahres beobachtet. Im letzten Quartal aber hätten sich viele Frauen doch noch auf den Weg zur Vorsorge-Untersuchung gemacht.
Martin Kottmann, der seit 16 Jahren in der Stadt praktiziert, hat - bezogen aufs ganze Jahr - keinen Rückgang zu vermelden. Im Frühjahr aber, im ersten Lockdown, sei es in seiner Praxis zwischenzeitlich total ruhig gewesen. "Die Menschen haben ja zum Teil wie paralysiert zu Hause gesessen und sind nirgends mehr hingegangen."
Martin Kottmanns Team wurde aktiv, rief ausbleibende Patientinnen an
Kottmann, der seit Dezember 2019 im neuen Ärztehaus an der Schulstraße arbeitet, beunruhigte die Leere im Wartezimmer. Sein Team und er wurden aktiv, griffen zum Telefonhörer. "Wir haben etliche Patientinnen, deren Termin anstand, von uns aus kontaktiert." Man habe versucht, Ängste zu nehmen, über Sicherheitssvorkehrungen in der Praxis aufgeklärt und auf die Wichtigkeit der Untersuchung hingewiesen. Ohne regelmäßigen Abstrich bestehe die Gefahr, dass Veränderungen zu spät entdeckt werden, sich Karzinome im Verborgenen entwickeln.
Auf sein "proaktives" Tun, so Kottmann, habe er positive Reaktionen erhalten, "Patientinnen haben sich für die Fürsorge bedankt". Die Telefonate hätten dafür gesorgt, dass die Zahlen doch noch gut wurden. Gegen Ende des Jahres habe man sogar einen wahren Run auf die Praxis erlebt.
Krebs des Gebärmutterhalses oft bei Frauen, die Vorsorge vernachlässigt haben
Gut so, denn: "Termine zur Krebsfrüherkennung sollten trotz aller Kontaktbeschränkungen unbedingt wahrgenommen werden", mahnt Dr. Christian Albring, Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte. Andernfalls bestünde das Risiko, dass zum Beispiel Krebserkrankungen des Gebärmutterhalses oder Tumore in der Brust erst in einem unnötig späten Stadium ausgemacht werden. „Über 90 Prozent der Frauen, bei denen heute ein Krebs des Gebärmutterhalses entdeckt wird, haben die Vorsorge in den letzten fünf Jahren nicht oder nur unregelmäßig wahrgenommen."
Albring versucht, Frauen die Sorge vor Ansteckung beim Arzt zu nehmen: „Wir tun in den Praxen alles, um unsere Patientinnen vor einer Infektion zu schützen.“
Deutlich weniger Check-up-Untersuchungen in internistischer Praxis
Sibylle Franken von der Gemeinschaftspraxis "Schloss 22" an der Schloßstraße erinnert sich an die ungewohnte Ruhe im ersten Lockdown, aufs Jahr gesehen sei das "aber nicht so ins Gewicht gefallen". Die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen habe kaum abgenommen. Dass bundesweit viele Untersuchungen unterblieben seien, sieht auch sie als Gefahr an: "Das kann wie ein Bumerang auf uns zurückkommen." Beunruhigendes höre sie leider auch aus der Praxis ihres Mann, des Internisten Dr. Stefan Franken. Der habe festgestellt, dass im Jahr 2020 "rund 40 Prozent" der allgemeinen Check-up-Untersuchungen, bei denen etwa Herz und Lunge überprüft werden, ausgeblieben seien.
Diese Zahlen kann Dr. Andreas Eisenhardt nicht bestätigen. Der Urologe aus der Gemeinschaftspraxis PUR/R am Evangelischen Krankenhaus, wo Männer zur Vorsorgeuntersuchung hingehen, berichtet zwar von "vier bis sechs Wochen im ersten Lockdown", in denen nur noch ein Drittel der Patienten gekommen sei. Anschließend aber hätten die Zahlen "wieder angezogen." Mittlerweile sagten am Tag höchstens noch zwei, drei Leute einen Termin ab. "Weil sie erkältet sind" und Sorge haben, dass es doch Corona ist. "Oder weil sie sich erstmal impfen lassen wollen", bevor sie sich endlich wieder in die Welt hinaustrauen: zu Ärzten, aber auch zu all den anderen Menschen...
INFO
Laut Berufsverband der Frauenärzte sind die Vorsorge-Untersuchungen sehr effizient: In den 1960er Jahren seien der Zellabstrich aus dem Gebärmutterhals und in den 1970er Jahren die jährliche, gesetzliche Krebsfrüherkennung für Frauen in Deutschland eingeführt woher.
Seither konnte das Auftreten von Gebärmutterhalskrebs erheblich gesenkt werden, von über 16.000 Neuerkrankungen im Jahr 1970 auf 4.400 im Jahr 2016. Im gleichen Zeitraum sank die Zahl der Frauen, die pro Jahr an diesem Krebs verstarben, von etwa 7.500 auf etwa 1.500 pro Jahr.