Mülheim. Dass mehr Menschen im Homeoffice arbeiten sollen, schreckt Mülheimer Unternehmen nicht. Aber Ämter sollten mit gutem Beispiel voran gehen.
"Eine Dampfturbine kann man nicht mit nach Hause nehmen." Dass die Bestrebungen der Bundesregierung zum möglichst flächendeckenden Homeoffice natürliche Grenzen haben, macht Georg Lohmann, Pressesprecher von Siemens Energy in Mülheim, im Gespräch mit der Zeitung schnell klar. Doch das Unternehmen setze konsequent um, was möglich sei. Aktuell arbeiten rund 80 Prozent der 4000 Mülheimer Mitarbeiter von zu Hause aus.
Lohmann spricht von "lang schon gelebter Praxis". Eine Betriebsvereinbarung habe das Arbeiten im Homeoffice schon vor dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 ermöglicht. In Absprache mit dem Chef seien schon damals bis zu 20 Prozent der wöchentlichen Arbeitszeit am heimischen Schreibtisch erlaubt gewesen. Die Erfahrung habe in der Pandemie geholfen. "Die Technik war einfach erprobt." In der klassischen Produktion aber sei natürlich auch weiterhin eine Mannschaft vor Ort notwendig.
Sparkasse muss dafür sorgen, dass Versorgung mit Bargeld gesichert ist
Bei der Sparkasse Mülheim ist diese Mannschaft nach wie vor groß: "Knapp die Hälfte der etwa 450 Mitarbeiter muss vor Ort erscheinen", sagt Pressesprecher Frank Hötzel. Bankmitarbeiter seien "systemrelevant", sie hätten dafür sorgen, dass die Versorgung mit Bargeld gesichert bleibt. Auch manche Beratungsleistungen seien von zu Hause aus schlicht nicht machbar. Etwa 200 Kollegen arbeiteten daher im direkten Kundenverkehr.
Immer mehr Kunden aber würden umdenken, immer mehr Bankgeschäfte via Telefon oder PC abgewickelt. Hötzel rät dazu, vor jedem Besuch einer Filiale zunächst unter 30050 im Callcenter nachzufragen, ob ein Auftrag tatsächlich körperlicher Präsenz bedarf.
Flexiblere Arbeitszeiten ermöglicht
Bislang gab es bei der Sparkasse 190 Zugänge, die es Angestellten ermöglichen, sich auf die Sparkassen-Oberfläche aufzuschalten. Nun seien weitere 40 Zugänge beantragt worden, die Möglichkeiten zum Homeoffice also werden ausgebaut. Doch auch für jene Kollegen, die weiter klassisch ins Büro gehen müssen, wurden die Bedingungen verbessert, sagt Hötzel. Musste man seinen Job früher zwischen 7 und 19 Uhr erledigen, sei dies nun zwischen 6 und 21 Uhr möglich. So komme es zu deutlich weniger Begegnungen am Arbeitsplatz.
Auf die Frage, wie die aktuelle Situation bei Aldi-Süd, einem anderen großen Mülheimer Arbeitgeber, ist, hieß es am Mittwoch nur knapp per Mail: "Selbstverständlich richten wir uns nach den Vorgaben von Bund und Ländern und ermöglichen unseren Verwaltungsmitarbeitern überall dort, wo es die Tätigkeit zulässt, mobiles Arbeiten." Bereits seit der ersten Corona-Welle arbeite ein Großteil der Verwaltungsangestellten von Zuhause aus, so Pressereferentin Annika Büschken.
70 und 80 Prozent der etwa 350 Turck-Kollegen sind im Homeoffice
Der Mülheimer Automatisierungsspezialist Turck hat "schon vor langer Zeit" damit begonnen, Arbeitsplätze mit Notebooks auszustatten. Zwischen 70 und 80 Prozent der etwa 350 Kollegen seien daher jetzt im Homeoffice tätig, schätzt Unternehmenssprecher Klaus Albers. Schon im März habe man "leicht den Schalter umlegen" und nach Hause umziehen können. "Alles, was jetzt gefordert wird, setzen wir schon um." Die Verschärfungen beträfen das Mülheimer Unternehmen daher nicht.
Die gute Quote habe auch damit zu tun, dass in Mülheim Vertrieb und Marketing angesiedelt sind. In Halver im Sauerland, wo es um Entwicklung und Produktion geht, seien die Zahlen geringer. "Die Kollegen kann man ja schlecht ins Homeoffice schicken."
Energiedienstleister Medl "muss einfach funktionieren"
Auch Thomas Seifert, Personalchef des Energiedienstleisters Medl, weiß, dass nicht jeder von daheim aus arbeiten kann. "Wir sind ein Unternehmen der kritischen Infrastruktur; wir müssen einfach funktionieren und unseren Versorgungsauftrag erfüllen." Das setze voraus, dass es Kräfte gibt, die auch außerhalb der eigenen vier Wände nach dem Rechten sehen.
Vier Fünftel der 130 Medl-Arbeitsplätze seien ins Homeoffice gewandert. Um immer auf der sicheren Seite zu sein, sei man nicht erst seit Corona vorbereitet. Pläne, was im Falle einer Pandemie zu tun ist, lägen lange schon in den Schubladen. Diese seien in den vergangenen Monaten angepasst worden. Für "Aufruhr und Aktionismus" als Folge der aktuellen Vorgaben gebe es keinen Grund. Man werde sich die Verordnung von Bundesarbeitsminister Heil genau ansehen, vielleicht Abläufe verändern - und verlässlich weiterarbeiten.
SPD fordert: Stadt Mülheim muss mit gutem Beispiel vorangehen
Mit rund 3200 Beschäftigten ist die Stadtverwaltung Mülheim einer der größten Arbeitgeber vor Ort. Sie müsse als gutes Vorbild voran gehen, meint die Mülheimer SPD und kritisiert, dass hier die Zeichen der Zeit noch nicht hinreichend erkannt wurden.
So rügt Fraktionschefin Margarete Wietelmann in einem aktuellen Statement: "Auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie pendelt ein Großteil der Angestellten der Mülheimer Verwaltung noch täglich zur Arbeitsstelle. Dies widerspricht Forderungen der Virologen und den Entscheidungen aus Berlin und Düsseldorf.“ Umgekehrt müsse es laufen: Präsenz dürfe nur verlangt werden, wenn die Abteilungsleitungen sie nachvollziehbar begründen.
Tatsächlich arbeitet nur eine Minderheit der städtischen Beschäftigten im Homeoffice. Einige von ihnen, etwa Außendienstmitarbeiter oder Reinigungskräfte, können dies schon aus praktischen Gründen nicht, erläutert der Personalratsvorsitzende Dirk Neubner auf Anfrage. Nur für die etwa 2300 Computerarbeitsplätze der Stadtverwaltung kommt Homeoffice überhaupt in Frage.
Schon seit einigen Jahren sei es möglich, Telearbeit zu beantragen, also durchgängig zu Hause zu arbeiten. Die Stadt stellt dann Dienstlaptops zur Verfügung, ermöglicht den Zugriff auf alle Programme. Hierzu gebe es auch eine Dienstvereinbarung, so Neubner, der schätzt, dass mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen diese Möglichkeit nutzen. "Seit März, als klar war, was auf uns zukommt, haben wir mit dem Verwaltungsvorstand darüber gesprochen, die Telearbeit auszubauen."
Rund 700 Homeoffice-Plätze bei der Stadtverwaltung
Ausgebaut wurde aber vor allem das Homeoffice, quasi eine Light-Variante der Heimarbeit, bei der die Beschäftigten ihre eigenen Geräte nutzen und auch nur eingeschränkt auf den städtischen Server zugreifen können. "Eine Möglichkeit", so der Personalratsvorsitzende, "die die Kolleginnen und Kollegen gerne und immer öfter nutzen, um ihre Gesundheit zu schützen, Kontakte zu vermeiden."
Nach Angaben der Stadt wurden seit der ersten Corona-Welle im Frühjahr die Homeoffice-Möglichkeiten auf mittlerweile rund 700 Plätze ausgebaut. Ein freiwilliges Angebot, über dessen Nutzung die Fachbereiche selbstständig entscheiden, so Stadtsprecher Volker Wiebels. "Dabei werden insbesondere die Erforderlichkeit einer Kundenerreichbarkeit vor Ort und Aspekte des Datenschutzes berücksichtigt."
Personalrat: Keiner wird ins Homeoffice gezwungen
Wie viele Beschäftigte aktuell im Homeoffice arbeiten, kann weder die Stadt noch der Personalrat beziffern. Es wechselt auch täglich, weil eben die Möglichkeiten im Homeoffice mit privater Ausstattung begrenzt sind. Und Dienstgeräte teuer wären. Der Personalrat betont auch: "Keiner wird ins Homeoffice gezwungen. Das würden wir auch nicht mitmachen."
Mülheimer Finanzamt: Steuergeheimnis auch bei Heimarbeit gewahrt
Beim Mülheimer Finanzamt wurde offenbar schon etwas mehr in die technische Ausstattung investiert: Rund 240 Beschäftigte gibt es dort, maximal 135 von ihnen können im Homeoffice arbeiten, erklärt eine Sprecherin der Oberfinanzdirektion NRW auf Anfrage. "Hausmeister und Beschäftigte in der Poststelle arbeiten weiterhin vor Ort. Für dringende persönliche Termine sind ebenfalls Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort behilflich." Man sei "auf die aktuelle Situation gut vorbereitet".
Die Finanzverwaltung habe die Homeoffice-Möglichkeiten in den letzten Monaten erheblich erweitert, sowohl Hardware - also Laptops - als auch die nötige Software bereitgestellt. Damit sei gewährleistet, dass Datenschutz und Steuergeheimnis auch im Homeoffice gesichert sind.
Wie viele ihrer Mitarbeiter tatsächlich zu Hause am Laptop arbeiten, kann Birgit Höltgen, Leiterin des Mülheimer Finanzamtes, nicht genau sagen. "Viele wechseln zwischen Homeoffice und Büro." Viel Luft nach oben sieht sie auch nicht mehr: "Wir geraten an Grenzen, wenn wir unseren Service aufrecht erhalten wollen."
+++ UNTRNEHMERVERBAND KRITISIERT HOMEOFFICE-PFLICHT
Der örtliche Unternehmerverband kritisiert die neuen Beschlüsse zum verpflichtenden Homeoffice und nennt sie „unverhältnismäßig“.
Wo es möglich und praktikabel sei, könnten Beschäftigte schon jetzt zu Hause arbeiten, heißt es in einem Statement von Hauptgeschäftsführer Wolfgang Schmitz.
Viele Tätigkeiten, etwa in der Produktion, Pflege oder im Handwerk, seien ohne Präsenz gar nicht möglich.
Außerdem, so Schmitz weiter, „versäumen es Bund und Länder selbst, in ihren eigenen Behörden mobile und digitale Konzepte umzusetzen. Wer so umfassende Forderungen an andere stellt, sollte mit gutem Beispiel vorangehen".