Mülheim. Als Mülheimer in den Lockdown gingen, spielte sie die Trümpfe aus: Wie die Freilichtbühne unter freiem Himmel zum Glücksfall für die Szene wurde.

Corona hat der Mülheimer Kultur einen schweren Dämpfer verpasst, und dennoch Potenziale gehoben: Über Wochen war die Freilichtbühne im Frühjahr der einzige real existierende Veranstaltungsort. Als die hiesigen Kulturbetriebe in den Lockdown gehen mussten, konnte sie plötzlich Trümpfe ausspielen, die vormals als Risiko galten: Kultur unter freiem Himmel. Die Bilanz der Regler-Leute fällt deshalb überraschend aus.

Zumindest überraschend besser als gedacht und auch als die Bilanz vieler anderer Kollegen der Branche: Gut 40 Veranstaltungen kamen an der Freilichtbühne zusammen, vorneweg der „Plan B“ mit Auftritten des Straßentheaters organisiert von Gert Rudolph, die Kinoreihe im September von Filmer Jürgen Mäurer , politische Diskussionsrunden mit den OB-Kandidaten. Der Spielort punktete aber auch auf unerwarteter Seite.

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Innere Ruhe vor bewucherten Felswänden

Sarah Rurka und Leon Schirdewahn-Debring hievten die Mittwochsreihe ins Digitale und knüpften Kontakte zu ungewöhnlichen Orten.
Sarah Rurka und Leon Schirdewahn-Debring hievten die Mittwochsreihe ins Digitale und knüpften Kontakte zu ungewöhnlichen Orten. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Zum Beispiel dort, wo sonst andere Mülheimer Orte genutzt worden sind: „Wir haben Anfragen bekommen für Veranstaltungen, an die wir vorher nie gedacht haben“, verrät Regler-Veteran Michael Schüttler. So verlegte das Gymnasium Heißen seine Abiturübergabe an die Dimbeck, der Chor der Friedrich-Wilhelms-Hütte schmetterte seine Proben ungehemmt unter freiem Himmel, ein Yoga-Kursus fand innere Ruhe vor bewucherten Felswänden , Mülheimer Imker erklärten hier die Sache mit den Bienchen und Blumen.

Doch auch selbst sind die Regler in Corona-Zeiten durchaus fruchtbar gewesen: Mit ihren „Klassikern“ wie der Mittwochsreihe beschritten Sarah Rurka, Leon Schirdewahn-Debring und Louis Wippich den Weg ins Digitale . Die Arbeit mit drei Kameras, jeder Menge Tontechnik und elf Bands war zwar aufwendig, aber auch lohnend: „Wir haben ein Publikum damit erreicht, das bislang mit Streamings im Internet wenig anfangen konnte“, sagt Sarah Rurka, „und trotzdem haben wir mit Anmoderation und Interviews versucht, mit dem Publikum zu kommunizieren“.

Analoge Mittwochsreihe macht Ausflüge ins Digitale und an ungewohnte Orte

Das Digitale aber schaffte ganz neue Reichweiten, die analog so gar nicht möglich sind. Zum Beispiel blickten Zuschauer aus den Niederlanden und Großbritannien vorbei – die längste Strecke über viele Zeitzonen hinweg ging bis nach Texas (USA). Ein ehemaliger Mülheimer besuchte virtuell die frühere Heimat.

Abgehoben sind die Regler nicht, wohl aber gingen Hans-Uwe Koch und Peter-Michael Schüttler mit der Rockabilly-Frauencombo „The Silverettes
Abgehoben sind die Regler nicht, wohl aber gingen Hans-Uwe Koch und Peter-Michael Schüttler mit der Rockabilly-Frauencombo „The Silverettes" an den Flughafen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Und auch umgekehrt streckten die Regler mit der Mittwochsreihe ihre Fühler aus zu Orten, die sie noch nicht auf dem Schirm hatten. Bands traten auf dem Flughafengelände auf, in der Alten Dreherei, im Makroscope, im AZ, in einer privaten Oldtimer-Werkstatt, in einer Kirche. Und das – so bekennen Rurka, Schirdewahn-Debring und Wippich – soll im kommenden Jahr auch fortgesetzt werden. Die Anträge auf Förderung seien auf dem Weg.

Ahnen konnte das Mitte März niemand, als der Regler-Vorsitzende Hans-Uwe Koch mit ernster Miene die drohende Insolvenz für Juli verkünden musste. 1150 Menschen aber bekundeten den Freidenkern an der Dimbeck die Solidarität mit Spenden – übrigens bis heute. Auch die Brost-Stiftung sprang mit Mitteln ein. „Das ist ein tolles Gefühl, so fest in der Stadt verankert zu sein“, sagt Koch. Bis etwa August 2021 sind zumindest die Fixkosten von monatlich rund 2500 Euro für Miete, Strom, Wasser und anderes gesichert.

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Biergarten bleibt unter Corona ein nur kleines Geschäft

Es kann also im neuen Jahr weitergehen, wenn auch die Zuschüsse für kommende Veranstaltungen derzeit nicht möglich sind, „sie müssen sich selber tragen können“, macht Koch deutlich. Also wie bekannt aus dem Hut, und hier hat sich gezeigt, dass mit der Beschränkung der maximalen Besucherzahl auf 150 wenigstens die Spendenbereitschaft gewachsen ist, „so dass die Künstler auf vernünftige Gagen kommen“, so Koch.

Mittwochsreihe plant ein „Weihnachtsspecial“

Die gute Nachricht vorweg: Noch macht die Freilichtbühne keine Winterpause. Es steht noch ein Weihnachtsstreaming vor der Tür. Am 19. Dezember bringt die Mittwochsreihe ein feierliches Spezial . Zeitnah zu finden unter: www.reglerproduktion.de und auf Facebook.

Eine besondere Kooperation ist die Freilichtbühne mit dem Mülheimer Naturgarten-Verein eingegangen. Der Verein begrünt das Gelände mit heimischen Pflanzen und zeigt künftig Besuchern, wie das im eigenen Garten gehen kann. „Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie hier jeder Mensch willkommen ist, an der Freilichtbühne mitzuarbeiten“, sagt der Vorsitzende Hans-Uwe Koch.

Was unter Corona aber deutlich ins Minus schlägt, ist der Biergarten. Nur gut ein Viertel der normalen Einnahmen konnten die Regler hier aufgrund von weniger Veranstaltungen mit dazu begrenzten Zuschauern erzielen. Die studentischen Aushilfen konnte man nicht halten, hier mussten die Regler selbst ran, wie auch unter dem Corona-Konzept mehr ehrenamtliche Arbeit der Vereinsmitglieder gefragt waren. „Der Einsatz unserer Mitglieder und Freunde war aber unglaublich stark, alle haben angepackt und gesagt: ,Es muss weitergehen’“, lobt Michael Schüttler.

Genutzt haben die Regler die Corona-Zeit auch für ein lange überfälliges Projekt: die kleine Bühne. „Sie ist jetzt endlich auch fundamentiert, dazu sind wir vorher aufgrund der vielen Konzerte nicht gekommen“, meint Schüttler. In diesem Sinne hat Corona auch Möglichkeiten geschaffen, blickt der Regler-Veteran zurück: „Es war ein ganz anderes Jahr...“