Mülheim. Sorge und Frust sitzen tief in der Mülheimer Gastronomie. Monatelang kämpfte sie gegen einen zweiten Shutdown. Wie sie die Krise meistern will.
Der Frust sitzt tief in der Mülheimer Gastronomie: Monatelang haben sie unter Hygieneauflagen ihre Gästezahl halbieren müssen, ihre Orte des Genusses und der Kommunikation in funktionale Einbahnstraßen verwandelt. „Bloß keine zweite Welle“ – das war das Ziel. Doch statt der erhofften Einnahmen durch Weihnachtsfeiern steht ihnen dennoch vielleicht der Shutdown bevor. Und zum Frust gesellt sich nun auch Wut.
„Wir tragen keine Schuld an den steigenden Infektionen“, spricht Hendrik Peek von der Mausefalle für nicht wenige Restaurantinhaber. „Wenn ich mir dagegen Einkaufspassagen ansehe, wo manche Menschen sich teils ohne Maske lange und eng zusammenstehend aufhalten, ohne dass das kontrolliert wird, entwickelt sich bei mir ein Hauch von Wut.“
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Für etliche Gastronomien war der Sommer nur ein Plus-Minus-Geschäft
Der Puffer, den Peek sich seit seinem Neustart 2013 mit selbst gemachtem „Slow-Food“-Essen am Fuße der Altstadt aufgebaut hat, „ist weg. Der Sommer war ein Plus-Minus-Geschäft. Wir haben deshalb auf ein gutes Weihnachtsgeschäft gehofft“, lehnt der ehemalige Schloss-Hugenpoet-Koch mit verschränkten Armen frustriert an der Fachwerkwand seines Restaurants. Auch im Gewölbe im Erdgeschoss hat Peek die Theke rausgenommen, um Platz für mehr Tische zu schaffen. War nun die ganze Mühe umsonst?
Den Abgesang will Peek nicht anstimmen, denn noch hat er Hoffnung. Nach Umfragen des Gaststättenverbands Dehoga aber bangen gut 61 Prozent der gastgewerblichen Unternehmen um ihre Existenz – und das war noch im September vor der sich anbahnenden zweiten Welle. Auch Jörg Thon, Sprecher des Mülheimer Dehoga und Inhaber zweier Mülheimer Restaurants, befürchtet nun eine noch härtere Zeit gerade auf Gastronomen zurollen, die gewöhnlich in der zweiten Jahreshälfte ihre Haupteinnahmen machen.
Das Weihnachtsgeschäft hätte die Delle bei den Einnahmen begradigen sollen
„Es ist zum Heulen. Wir sind mit dem Bürgergarten und dem Ratskeller aus einer starken Wintersaison gekommen. Die ,Kriegskasse’ war voll“, sagt Inhaber Thon. Übrig ist davon nur noch wenig: Seit Corona-Beginn verzeichnet er in beiden Gaststätten einen Verlust von insgesamt 340.000 Euro. Das kommende Weihnachtsgeschäft hatte die tiefe Delle etwas begradigen sollen. Der Traum ist aus.
Corona- Inzidenz-Zahl in Mülheim steigt laut RKI auf 44,5Stattdessen kämpfen die Restaurants nun erneut mit Absagen. Mancher storniert aufgrund der steigenden Infektionszahlen, andere aufgrund der verschärften Auflagen. Aktuell dürfen laut Verordnung der Stadt nur eine Gruppe von fünf Personen an einem Tisch. Ronja-Chef Sinan Bozkurt hat daher alle Hände voll zu tun, um nun umzuplanen: „Wir können Tische zwar teilen, aber dann reicht auch unser Platz nicht mehr aus.“
Weniger Tische, weniger Gäste – die Reserven sind aufgebraucht
Und das bedeutet: noch einmal deutlich weniger Gäste. Dabei hat das Ronja im Herbst bereit die Außengastronomie abbauen müssen. Bozkurt bleiben also nur noch 55 Plätze statt 130. Mehr als 100.000 Euro hat der Ronja-Chef investiert. Ein Shutdown würde aber nicht nur ihn sondern alle 24 Mitarbeiter der Gastrononie gefährden. „Ich merke eine innere Unruhe, es gibt viel Existenzangst im ganzen Team. Unsere Energie und Reserven sind aufgebraucht.“
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Und die Auswege aus der Misere? Mancher geht wieder zurück zum Bring-Service. „Die Gans mit Knödeln lässt sich gut liefern und auch wieder warm machen“, hat Mausefallen-Chef Peek vorsichtshalber reichlich Verpackungskartons vorbestellt. Das war im März ein Engpass, als alle Restaurants plötzlich liefern wollten, um zu überleben. „Aber Lieferservice kann das Geschäft nicht ersetzen.“
Alles wieder auf Null? Gastronomie hofft mit Lieferservice zu überleben
Sperrstunde ist herber Schlag für viele Kneipen
Die Sperrstunde und die Begrenzung auf fünf Personen pro Tisch lässt klassische Kneipen verzweifeln: Meik Nahmer, Wirt der Saarner Kneipe „zur Linde“, muss wohl auf sämtliche seiner 17 Kegelmannschaften verzichten, weil nun der Platz nicht ausreicht, um genügend Abstand halten zu können.
„Der Monat war immer komplett ausgebucht. Das sind verdammt große Einbußen“, weiß Nahmer just keine Lösung, wenn sich die Kegelbrüder nicht aufteilen wollen. Hinzu kommt auch noch die Sperrstunde aktuell ab 1 Uhr, künftig vielleicht sogar um 23 Uhr. Denn bisher hatte Nahmer immer bis 4.30 Uhr geöffnet. Viele junge Erwachsene kämen am Wochenende erst um 22 Uhr, „denen kann ich doch unmöglich sagen, dass sie nach zwei, drei Stunden wieder gehen müssen““
Im Saarner Hof, wo das Publikum etwas gesetzteren Alters ist, begrüßt Peter Weber hingegen die zeitliche Begrenzung: „Es hat sich bei manchen eine gewisse Lässigkeit eingespielt“, berichtet Weber auch von unfreundlichen Antworten, wenn man diese Gäste auf Hygieneregeln hinweist. „Wer lange bleibt, trinkt auch viel. Ich bin um die Sperrstunde nicht böse.“
Für „Das Kaff“ am Rande der Altstadt ist das ebenfalls eine Option, sagt Chef Jerry – Jerome – Krüger. Der Kuchen geht bereits „außer Haus“, das ließe sich auf andere Angebote erweitern. Dennoch ein Rückschlag: Doch eben erst hatte der neue und sehr gut besuchte Treff seine Fühler auf den Sonntag ausgestreckt: „Es war der zweitbeste Tag seit unserer Eröffnung“, schwärmt Krüger. Auch sonst sei es hier bisher gelaufen „wie Hulle“.
„Dass die Infektionszahlen wieder so schnell steigen, hätte ich nicht gedacht“, räumt Krüger ein. Vorsichtshalber fährt „Das Kaff“ bei den Bestellungen auf Sicht, heißt: Waren werden nur für wenige Tage eingekauft, falls man doch kurzfristig schließen müsste. Ähnlich handelt auch Jörg Thon für seine beiden Gaststätten. Die Krise zieht Kreise bis zu den Lieferanten.
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„Und das alles aus Panikmache“, macht sich Thon doch noch Luft: „Wenn ich vor dem Bürgeramt sehe, wie sich 50 Leute mit ,Schnutenpulli’ eng zusammendrängen wie die Pinguine, dann macht mich das wütend. Denn dieses unachtsame Verhalten wird nun auf unserem Rücken ausgetragen.“