Mülheim. Das Mülheimer Ärztenetzwerk Doc-Net kritisiert das Impf-Modellprojekt der AOK. Aber auch die Apotheken in der Stadt sind noch zurückhaltend.

Unter den bislang rund 130 Apotheken, die erwägen, in den vier westdeutschen Testregionen die AOK-Versicherten künftig gegen Grippe zu impfen, sind auch Mülheimer Pharmazeuten. Genaue Zahlen und Infos gibt der Apothekerverband Nordrhein auch aus Datenschutzgründen für Mülheim nicht heraus. Dem Vernehmen nach sollen aber nur sieben Apotheken in Mülheim Interesse haben, künftig gegen die Influenza zu impfen. Das geringe Interesse könnte auch damit zusammenhängen, dass Konflikte mit der Ärzteschaft befürchtet werden.

Der Mülheimer Apotheker Patrick Marx hat selbst schon die notwendige Impfschulung absolviert, ebenso wie einige seiner Angestellten. Gegen Grippe impfen dürften, so erklärt er, ohnehin nur studierte Pharmazeuten, die auch die Schulung absolviert hätten. Die Impfschulungen für die Testregionen laufen derzeit noch, so der Apothekerverband Nordrhein.

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Apotheken wollen ein niederschwelliges Angebot schaffen

Marx verweist auf die Grundidee des Modellprojektes, ein niederschwelliges Angebot zu schaffen. Etwa für die über 60-Jährigen, die sich fit und gesund fühlen und daher nicht zum Arzt gehen. Eine Konkurrenz zu den Ärzten sieht er nicht: „Es geht ja gar nicht um die Menschen, die ohnehin in ärztlicher Behandlung sind, sondern nur um diejenigen, die sonst nicht zum Arzt gehen würden.“ Marx weiß, dass das Impfen in Apotheken anderswo bereits praktiziert wird, um die Impfrate zu erhöhen, er nennt als Beispiel Frankreich, wo die Impfrate mehr als doppelt so hoch liege wie hierzulande.

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Patrick Marx, der drei Apotheken in Mülheim hat und eine in Oberhausen, hat sich noch nicht endgültig entschieden, ob er die Grippeschutzimpfungen künftig überhaupt anbieten wird, auch wenn er es schon darf. Die Räume und die Organisation seien schon ein Problem für die Apotheker, so seine Einschätzung. Denn die geforderte Infrastruktur, die die Ärzte schon haben, sei ja erst noch zu schaffen. Apotheken müssen dafür einen Nebenraum mit Mittelliege bereithalten und sich auch die Zeit nehmen für Beratung und Aufklärung. „Das muss man organisieren, das muss ja ein Mitarbeiter zusätzlich machen.“ Zudem, auch darauf verweist Patrick Marx, müssten die Apotheken auch genug „eigenen“ Grippe-Impfstoff zur Verfügung haben. Er hat in seinen Apotheken 8600 Impf-Dosen bereits an die Arztpraxen verkauft, hat auch schon längst Vorbestellungen für die im Oktober erwartete nächste Lieferung.

Mülheimer Ärzte hätten sich gewünscht, ins Modellprojekt eingebunden zu werden

Dr. Peter Ramme, Hausarzt und Sprecher des Mülheimer Ärztenetzwerks Doc-Net, hat einerseits Verständnis dafür, dass die AOK die Initiative ergreift, um die Impfrate zu steigern. „Für die Grippe ist die Impfrate hierzulande ja noch längst nicht so hoch, so dass man von einem ,Herdenschutz’ sprechen könnte“, sagt auch er. Die Ärzteschaft hätte sich aber gewünscht, dass Krankenkassen wie die AOK, Ärzte und die Apotheker sich zusammensetzen, um ein gemeinsames Konzept zu erarbeiten, wie man die Impfrate erhöhen könne. Er betont: „Das Impfen ist eine ärztliche Tätigkeit und Aufgabe. Und es hat Vorteile, wenn man den Patienten schon kennt.“ Diesen „Schnellschuss“ kritisiere die Ärzteschaft, so Ramme, „das hätte man konzeptionell doch besser schultern können.“

Grippeschutz in Coronazeiten besonders wichtig

Über die Notwendigkeit einer Grippeschutzimpfung sind sich Ärzte, Kassen und Apotheker einig. Ab Oktober sollte man sich impfen lassen, betont der Mülheimer Hausarzt Dr. Peter Ramme, vor allem über 60-Jährige, Risikopatienten und chronisch Kranke.

Gerade in Coronazeiten werde die Grippeschutzimpfung empfohlen. „Im Frühjahr hat sich gezeigt, dass Patienten mit einer Grippeschutzimpfung besser mit einer Coronainfektion fertig wurden“, sagt Dr. Ramme.

Dass der Grippeimpfstoff in diesem Winter knapp werden könnte, befürchtet auch Dr. Ramme. Er verweist darauf, dass auch die Kinderärzte den Eltern raten, ihre Kinder in diesem Herbst gegen die echte Grippe impfen zu lassen.

Die Kosten für die Grippe-Impfung rechnen die an dem Modell beteiligten Apotheken direkt mit der AOK ab. Die Versicherten benötigen in der Apotheke ihre Versichertenkarte. Sie sollten auch den Impfpass mitbringen, rät die AOK Rheinland/Hamburg, die in Mülheim rund 42.000 Mitglieder hat.

Hausarzt warnt vor Komplikationen

Sobald beim Impfen in einer Apotheke Komplikationen oder Unverträglichkeiten aufträten, seien doch die Ärzte ohnehin mit im Boot. Wenn, so Hausarzt Dr. Ramme, ein Apotheker an einem Samstag impft, und es gebe Probleme, „dann hat man möglicherweise einen Notfall da sitzen“, warnt er. Das könnte für Ramme auch ein Grund dafür sein, dass in Mülheim gar nicht so viele Apotheken bei dem Modellprojekt mitmachen wollten.

Die unterschiedliche Kostenfrage spiele für die Ärzte eher keine Rolle, meint der Doc-Net-Sprecher. Apotheken bekommen laut Apothekerverband 12,61 Euro plus Mehrwertsteuer für die Dienstleistung, bei den Ärzten liegt das unter zehn Euro. Ramme schätzt, dass damit in der ersten Phase des Modellprojektes der höhere Aufwand für die Apotheken ausgeglichen werden solle.