Mülheim. Das „Psychosoziale Krisenmanagement“ der Stadt gilt als vorbildlich. Es fängt Stimmungen in der Bevölkerung ein, hilft Besorgten und Bedürftigen.

„Die Mülheimer kommen mit der Corona-Krise insgesamt relativ gut zurecht – auch wenn das Krisenerleben individuell unterschiedlich ist und es einzelne Menschen und Personengruppen gibt, die stark belastet und hilfsbedürftig sind.“ So lautet das Fazit des Mülheimer Krisenstabes und von Prof. Harald Karutz, der den im März eingerichteten Fachbereich „Psychosoziale Krisenmanagement“ leitet.

Netzwerk und Akuthilfen geschaffen


Das „Psychosoziale Krisenmanagement“ ist bundesweit fast einzigartig und gilt Fachleuten als Vorbild. Karutz hat ein Netzwerk von verschiedenen Hilfs- und Beratungseinrichtungen geschaffen, das die Bürger bei der Bewältigung der Krise unterstützt, und er hat psychosoziale Akuthilfen (etwa Beratung to go, Notfallseelsorge, Hotlines) etabliert. Auch liefert man der Verwaltung wichtige Informationen über Probleme und Stimmungen in der Bevölkerung – in enger Kooperation mit den Kollegen des „Social Media Command Center“ (SMCC), das ebenfalls neu eingerichtet wurde.

Die Hände desinfizieren - das hilft gegen das Corona-Virus. Die Pandemie macht aber auch Angst - in Mülheim gibt es koordinierte Hilfsangebote.
Die Hände desinfizieren - das hilft gegen das Corona-Virus. Die Pandemie macht aber auch Angst - in Mülheim gibt es koordinierte Hilfsangebote. © WP | Michael Kleinrensing

„50 Prozent der Krisenstab-Arbeit sind Kommunikation. Die beiden neuen Einrichtungen sind dabei eine unentbehrliche Stütze. Wir erfahren, wie die Menschen ,ticken’, können adressatengerecht darauf eingehen“, sagt Stadtdirektor Frank Steinfort, Leiter des Krisenstabs, anlässlich des 50. abgelieferten Lageberichts. Durch breitgefächerte Information, Transparenz und passgenaue Hilfeleistungen könne man auch mehr Akzeptanz für die Entscheidungen der Stadt erlangen. Das sei wichtig, weil die Meinungen der Bürger – etwa zu Corona-Maßnahmen – oftmals total gegensätzlich seien. Um umfassend zu informieren, habe man neben Online-Infos auch eine Info-Broschüre zu Corona und ein Kinderbuch herausgegeben.

Ängste ändern sich immer wieder

„Wir achten auf die Menschen, finden heraus, was aktuell ihre Gefühle und Bedürfnisse sind“, erklärt Harald Karutz. Anhand des Internets und der Sozialen Medien, aber auch durch Nachfrage bei den Beratungsstellen und Bürger-Befragungen filtere man heraus, welche Personen(gruppen) besonders belastet sind und entwickele entsprechende Hilfen. „Ganz zu Anfang der Krise dominierte die Angst, an der Krankheit zu sterben, jetzt verzeichnen wir vermehrt wirtschaftliche Not oder Alltagsprobleme“, berichtet der Professor für Notfallmanagement.

14 Personen im SMCC beantworteten die Anfragen der Bürger – an einem Spitzentag im März waren es 1500. „Wir können durch das psychosoziale Online-Monitoring, indem wir Bürger-Zuschriften bestimmten Emotionen zuordnen, statistische Daten erheben zur Stimmungslage in der Stadt. Die Erkenntnisse sind auch in die Online-Ansprachen von Herrn Steinfort an die Bevölkerung eingegangen“, berichtet Thomas Nienhaus vom SMCC. Mal galt es zu beruhigen, mal zu versachlichen, zu deeskalieren oder zu solidarischem Handeln aufzurufen.

Homeoffice nicht nur belastend

„Viele Befürchtungen der Anfangszeit haben sich nicht bestätigt. Weder konnte eine deutliche Zunahme von Suiziden noch von häuslicher Gewalt oder Kindeswohlgefährdung registriert werden“, so die Erkenntnis (wohlwissend, dass es eine Dunkelziffer gibt). Eine Lageverschärfung im Winter sei aber denkbar. Den Lockdown sowie Homeoffice/Homeschooling hätten manche Menschen als belastend, andere als entlastend empfunden.

Fragen nach dem Sinn von Corona-Maßnahmen werden jetzt häufiger gestellt als zu Beginn. Verschwörungstheorien und heftige Proteste habe es bislang aber nicht gegeben – lediglich einige dominant auftretende Einzelpersonen in den Sozialen Medien. Insgesamt hätten sich die Mülheimer diszipliniert und besonnen verhalten und Engagement für andere gezeigt. Alleine im Centrum für Bürgerschaftliches Engagement wurden 5600 Hilfeleistungen vermittelt.

Gelassene Wachsamkeit angebracht

Während anfangs an sieben Tagen rund um die Uhr Helfer erreichbar waren, täglich Berichte erstellt beziehungsweise Bürgerfragen beantwortet wurden, ist der Service im Sommer etwas zurückgefahren worden. „Wir sind aber flexibel, können jederzeit wieder hochfahren“, sagt Steinfort. „Die Lage könnte sich wieder verschärfen, aber wir haben jetzt das Netzwerk, können schnell handeln“, ergänzt Harald Karutz. Eine „gelassene Wachsamkeit“ sei angebracht.