Mülheim. „Judas“ (Regie: Markus Sascha Schlappig) hatte Premiere im Theater an der Ruhr in Mülheim. Das Stück appelliert an den Willen zur Veränderung.
War Judas wirklich ein Verräter und wenn ja, warum? „Seit 2000 Jahren versucht die Menschheit mich zu begreifen, aber sie hat es nicht“, sagt der Judas in dem gleichnamigen Theaterstück, das jetzt im Theater an der Ruhr Premiere hatte. Der Jünger erzählt seine (unbekannte) Version der überlieferten Geschichte, legt dar, wie sein „Leben mit ihm“ - mit Jesus - war.
Liebe deinen Nächsten...
Die Inszenierung von Markus Sascha Schlappig nach dem Text von Lot Vekemans beginnt schon im Foyer, der Vertraute Judas’ (Adriana Kocijan) deutet an, worum es gehen soll. Ein zentraler Satz, der zur Klammer um das Berichtete werden wird: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Dann bleibt kein Stein auf dem anderen. Und zwar weltweit.“ Denn überall, so der Regisseur, gibt es derzeit Ungleichverteilung und Ungerechtigkeit.
Simone Thoma spielt den Judas in reduzierter Kulisse. Auf einer Seite des Raumes: die Darstellung des letzten Abendmahls. Gegenüber, im Lichtkegel stehend, Judas. Man hätte ihn sich dramatischer vorstellen können, seinen Bericht. Schlappig und Thoma aber legen ihn unaufgeregt an. Die Schauspielerin nutzt ihre große stimmliche Gestaltungskraft, Gestik und Mimik sind fein, aber ausdrucksstark. Das funktioniert.
Aus römischer Herrschaft befreien
Judas, so hört man, folgte Jesus, weil dieser an die Veränderung glaubte und an die eigene Kraft. Die Jesusbewegung habe zunächst darauf abgezielt, das Volk aus römischer Herrschaft zu befreien. Später jedoch habe sie nur noch auf das Jenseits verwiesen. Judas dagegen wollte Revolution und beging daher an Jesus Verrat.
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Nicht der Messias, sondern er habe mit seinem Selbstmord alle Schuld auf sich genommen, die Schuld der Hohepriester, des Mobs und der Besatzungsmacht, argumentiert Judas. „Und jetzt ist Schluss, jetzt seid ihr selber Schuld“, sagt er, tritt aus dem Lichtkegel, also der 2000 Jahre alten Interpretation, heraus.
Es fehlt an echten Überzeugungen
Analogien zur Gegenwart werden deutlich und die Beobachtung: Überzeugungen und der Wille zur Veränderung würden heutzutage „wegrelativiert“, kaum jemand kämpfe für eine Idee. Aber ohne „Verrat“ (an überkommenen Wertvorstellungen) gebe es keinen Wandel. „Wir brauchen einen Messias, hier und jetzt, mit dem man in den Widerstand gehen kann“, sagt Judas. Gemeint ist wohl eine positive Leitfigur.
Der zweite Teil des Judas-Monologes ist durchbrochen von Reden (Sprecher: Jens Harzer), die akustisch nicht immer gut zu verstehen sind. Es sind christliche, demokratische, sozialistische Gedanken, wie sie Wilhelm Weitling, Frühsozialist, formuliert hat. Judas und sein Vertrauter werden am Ende zu Gärtnern (und französischen Revolutionären). Sie schenken jedem Zuschauer ein Saatkorn. Der Theaterchor der Petrikirche (Leitung: Gijs Burger) singt ein Arbeiterlied von Brecht/Eisler, das zu Solidarität und zum Handeln aufruft. „Welchen Verrat wollen Sie begehen?“, lautet zum Schluss die Frage ans Publikum. Es ist ein Appell, sich nicht abzufinden.