Mülheim. Die Mülheimer Firma Inplan beschäftigt 30 Mitarbeiter im Beiruter Hafen. Ihr Geschäftsführer bangte nach der Explosion auch um seine Familie.
Die verheerende Explosion im Hafen von Beirut hat auch Mohamad Itani, Geschäftsmann aus Mülheim, bis ins Mark erschüttert. Zum einen hat er drei Schwestern und viele andere Verwandte unmittelbar vor Ort, zum anderen pflegt seine Firma seit 15 Jahren engste Beziehungen zur Hafengesellschaft. Die Inplan zeichnet verantwortlich für die komplette Digitalisierung des Beiruter Hafens.
„Meine Familie war sehr nah dran am Geschehen und ich war außer mir vor Angst, wusste nicht, was ich tun sollte“, erzählt der 58-Jährige am Donnerstagnachmittag im Büro an der Aktienstraße. Zwei Tage großer Sorge und Unruhe liegen hinter ihm. Das Erste, was er von seinen Schwestern vernahm, waren Schreie und panische Sprachnachrichten auf seinem Handy. Eine der Frauen rief: „Da ist eine Bombe, die ist so stark, dass wir alle sterben müssen.“
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Nach wie vor beeindruckt von der Schreckensbotschaft auf dem Handy
Itani war tief beeindruckt von der Schreckensbotschaft, sie machte klar, wie ernst es sein musste: „Eine Bombe allein bringt die Menschen im Libanon nicht so leicht aus dem Gleichgewicht. Sie sind abgehärtet durch den Krieg.“ Dass es vielleicht gar keine Bombe war, spielte in diesem Augenblick keine Rolle.
Itanis Familienmitglieder leben allesamt vier bis fünf Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt; und für jeden war der Dienstagabend ein Moment des nackten Grauens. „Meine Schwestern haben erzählt, dass es sich anfangs angefühlt habe wie bei einem heftigen Sturm. Dann kam diese unglaubliche Detonation. Sie muss mehrere Sekunden gedauert haben.“ Die Häuser hätten geschwankt wie bei einem Erdbeben. Und ihre Bewohner seien durch die Wucht der Explosion gegen die Wände geschleudert worden, viele, viele Scheiben seien zerstört und Fenster aus den Rahmen gesprengt worden. „Selbst Scheiben in unserem 30 Kilometer entfernten Sommerhaus sind kaputt“, so Itani.
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Glücklicherweise kam die Familie mit leichten Blessuren davon
Glücklicherweise kam seine Familie mit leichten Blessuren davon. Und auch die fünf Inplan-Mitarbeiter, die ihr Büro und verschiedene Lagerräume direkt im Hafen haben, wurden verschont. Ebenso die 25 Mitarbeiter eines Subunternehmens, die für die Mülheimer Firma tätig sind. Sie hatten rund eine Stunde vor dem Unglück Feierabend gemacht, berichtet Itani, und spricht von „echtem Glück im Unglück“.
Einzig der Inplan-Projektleiter vor Ort, der noch länger im Hafen zu tun hatte und zum Zeitpunkt der Detonation nur rund einen Kilometer entfernt im Auto saß, habe Verletzungen davongetragen. „Zuerst hat er noch gesagt, dass es ihm gut geht, damit wir uns keine Sorgen machen. Aber dann hat er ein Foto geschickt mit blutverschmiertem Hemd.“ Splitter der zerborstenen Scheibe hatten ihn erwischt.
Seit zwei Tagen ununterbrochen am Telefon
Seit zwei Tagen telefoniert Mohamad Itani „ununterbrochen“. Und so weiß er mittlerweile, dass auch viele andere Menschen, die in Beirut leben und ihm lieb und teuer sind, „unversehrt“ blieben. „Doch viele Arbeiter, die am Terminal eingesetzt waren, sind einfach verschwunden.“
Die Stimmung in Stadt und Land sei derweil von „Panik und Trauer“ in „einfach nur noch Wut“ umgeschlagen. Viele Libanesen machten die Regierung für alle Missstände verantwortlich. Und es waberten diverse Theorien zu dem Unglück durchs Land – „von Unfall bis Anschlag“. Anfangs hätten manche ein Attentat auf den Sohn des 2005 ermordeten, libanesischen Politikers Rafiq al-Hariri vermutet. Und mancher könne einfach nicht glauben, dass es Zufall sei, dass angeblich schon viele Jahre unzureichend gelagertes Ammoniumnitrat ursächlich gewesen sein könnte. „Sie fragen: Warum explodiert es ausgerechnet jetzt?“ Der Mülheimer Geschäftsmann hofft, „dass der Druck weltweit so stark sein wird, dass internationale Ermittlungen eingeleitet werden“.
Der Hafenverwaltung unentgeltliche Hilfe angeboten
Rechenzentrum im Beiruter Hafen ist noch intakt
Laut Geschäftsführer Mohamad Itani ist das Mülheimer Unternehmen „Marktführer im Bereich Hafen-Management-Software“. Neben knapp 60 Häfen in Deutschland, ist man auch in Beirut und Amman (Jordanien) groß im Geschäft.
Vor 15 Jahren bekam Inplan den Auftrag, den Beiruter Hafen zu digitalisieren. „Alles, was im Hafen passiert, läuft über unsere Systeme“, so Itani, „von der Ankunft des Schiffes bis zur Abfahrt sowie das Lager“.
In Mülheim arbeiten aktuell 32 Mitarbeiter, zumeist Ingenieure und Softwareentwickler, weltweit sind es 60 Mitarbeiter.
Laut Itani ist Inplan in Beirut heute vor allem mit der Wartung der Systeme beschäftigt, unterstützt die Hafenverwaltung zudem dabei, die digitalen Prozesse zu optimieren. Die Mitarbeiter haben Büros auf einer Fläche von rund 200 Quadratmeter, zudem Lagerräume.
Das Rechenzentrum der Firma ist bei der Explosion nicht in Mitleidenschaft gezogen worden.
In der Zwischenzeit möchte der 58-Jährige vor allem eins: helfen. Am Donnerstag, so erzählt er, habe er der Hafenverwaltung unentgeltliche Hilfe angeboten. Man sei bereit, einen sogenannten „disaster recovery plan“ auszuarbeiten, also einen Plan, um die üblichen Geschäftsabläufe nach der Katastrophe wieder möglich zu machen.
Man wolle alles zur Verfügung stellen, „was die digital brauchen, um den Betrieb wiederaufzunehmen“. Da so viele Gebäude zerstört seien, gebe es auch die Idee, die Infrastruktur für die Software außerhalb des Hafengebiets wiederaufzubauen. Itani spricht zudem davon, dass Tripoli – ein kleinerer Hafen rund 150 Kilometer entfernt – als Ausweichort dienen könne.
Der Informatiker, der in Beirut aufgewachsen ist, aber seit bald 40 Jahren in Deutschland lebt, erklärt an einem kleinen Beispiel, welch schlimme Folgen die Detonation auch für die Ökonomie hat: „Derzeit kann der Hafen keine einzige Rechnung stellen – an normalen Tagen aber fallen 2000 Rechnungen an.“ Itani weiß, wovon er spricht, denn für all diese Arbeitsschritte sind die Mülheimer verantwortlich. Sein Unternehmen wolle nun mit aller Kraft daran mitwirken, „dass in Beirut hoffentlich in einigen Wochen wieder Schiffe empfangen werden können“.