Einem Stück Mülheimer Industriegeschichte wird ein neues Kapitel hinzugefügt: Der Anblick verfallener und verlassener Hallen und Büros auf dem alten AEG-Fabrikgelände war gestern. Heute haben dort Softwareentwickler, Handwerksbetriebe und Dienstleister in komplett sanierten Büros ihren Sitz. 2014 hat der Unternehmer Mohamad Itani den Firmenkomplex gekauft und aufwendig saniert.
Es war ein Zufall, dass Mohamad Itani vom ehemaligen, 1918 erbauten AEG-Gelände erfuhr. Ein Freund erzählte ihm, dass es zum Verkauf stand. Itani, der mit seiner Firma „Inplan”, einem Logistik-Software-Entwickler, in Oberhausen ansässig war, suchte einen neuen, größeren Firmensitz mit Wachstumspotenzial. Als er das alte Fabrikgelände an der Aktienstraße sah, „strahlte die Historie so eine Kraft aus”, dass Itani den Kauf von rund 17 000 Quadratmetern Grundstücksfläche und 22 000 Quadratmetern an Lagerhallen sowie Gewerbe-/Büroflächen wagte – begleitet von dem Gefühl: „Entweder es wird ein Desaster oder wir haben eine Chance”, erinnert sich sein Geschäftspartner Peter Stratmann. Nur ein Fünftel der Hallen und Büros war vermietet, u.a. an den Sanitär- und Elektrogroßhandel Collin.
Jahrelanger Sanierungsstau
Schnell legte sich aber das Gefühl, dass es schiefgehen könnte. Auch weil „wir ein hohes Interesse der Wirtschaftsförderung gespürt haben, dass wir nach Mülheim kommen”, so Stratmann. Es war eine bewusste Entscheidung für den Standort Mülheim. Stratmann und Itani sind zwar in Mülheim verwurzelt, „aber wir haben auch einen Standort mit Wachstumsmöglichkeiten gesucht und hier eine ideale Raumsituation vorgefunden”, so Itani.
Eine ideale Raumsituation meint vor allem: viel Platz und eine gute Lage. Denn die Substanz der Gebäude, die war alles andere als gut. In den Jahrzehnten zuvor gab es auf dem AEG-Gelände zahlreiche Firmenaus- und -umgliederungen, Nutzungsänderungen, Flächenabgaben, An- und Umbauten, erste Insolvenzen, Sanierungsstau und steigenden Leerstand. Zuletzt stand das Gelände unter Zwangsverwaltung. „Noch ein paar Jahre und eine Sanierung wäre nicht mehr möglich gewesen”, sagt Peter Stratmann.
Verschimmelte Wände, offen stehende Fenster, tote Vögel oder verlassene Räume, in denen noch Relikte vergangener Tage verstaubten, darunter Trommeln, Ruderboote, ein Klavier oder eine alte Corvette: Das war das Bild, das sich ihm und Mohamad Itani bot, als sie ihre ersten Rundgänge durch die weiten Hallen machten. Und mit jedem Umbauschritt kamen neue Überraschungen dazu. Das Dach musste erneuert, neue Verkabelungen gelegt und Heizungen eingebaut werden. Zunächst wurde der Gebäudeteil A, in dem Collin Haustechnik nach wie vor ansässig ist, saniert. Über dem Sanitärhandel wollte Itani sein Firmendomizil errichten. Das erste Problem: „Es gab keinen Eingang und kein Treppenhaus.”
Für die Geschäftspartner war es ein Kraftakt. Denn neben der Sanierung der alten Fabrikhallen und des Verwaltungsgebäudes lief ihr Geschäft weiter. „Inplan”, vor über 25 Jahren gegründet, bietet Software-Lösungen für die Finanz- und Versicherungswirtschaft, vor allem aber für Reedereien und Häfen an. Ein Team von 30 Mitarbeitern entwickelt in Mülheim Logistik-Software für Binnenhäfen in Deutschland, aber auch internationale Seehäfen wie Beirut.
Nach einem Jahr Umbauarbeiten bezogen Itani und sein Team den neuen Firmensitz. Das Gebäude A und damit 4800 Quadratmeter waren durchsaniert. Doch eine Verschnaufpause gab es nicht. Denn von Beginn an war klar, dass die Wirtschaftlichkeit des Sanierungsprojektes auch von der Vermietung der Hallen und Gebäude abhing. Und die lief gut.
Für Gebäudeteil B, ebenfalls 3000 Quadratmeter groß, gab es bereits Mietinteressenten, u.a. einen Malerbetrieb, eine weitere Handwerksfirma und ein Maschinenhandel. Hinzu kommen mittlerweile zehn Lager-Mieter. Im April zieht mit der EOS-Gruppe ein Finanz- und Immobilien-Dienstleister der Otto-Gruppe mit 30 bis 40 Mitarbeitern von Hamburg an die Aktienstraße – in zwei sanierte Etagen, inklusive geräumiger Archivfläche.