Mülheim. Mülheimer Praxen bereiten sich auf die Grippewelle im Winter vor. Infektionszahlen steigen erfahrungsgemäß zum Herbst. Hygienemaßnahmen bleiben.
Wie hat die Corona-Krise, der Lockdown, die Arbeit in den niedergelassenen Arzt-Praxen verändert? Der organisatorische Ablauf, die besonderen Hygienemaßnahmen haben einige Neuerungen für Patienten und Personal gebracht. Und das wird auch so bleiben, bis ein Impfstoff da ist, sagen Mülheimer Ärztevertreter.
Erwartet wird sogar, dass sich die Arbeitsbedingungen in der kalten Jahreszeit noch einmal ändern. Denn Winterzeit ist Erkältungszeit, Infektionszeit. Mehr Patienten werden in die Praxen kommen.
Hygienemaßnahmen: Weniger Patienten im Wartezimmer, keine Schlangen vor der Tür
"Nächsten Winter haben wir noch mal eine andere Praxis, da werden wir viele Dinge anders machen müssen", prophezeit Uwe Brock, internistischer Hausarzt und Vorsitzender der Ärztekammer in Mülheim, schon jetzt. Spuckschutz, Masken und Schutzkleidung, Abstand, weniger Patienten im Wartezimmer, das wird ja schon seit Monaten praktiziert. Aber wenn die Grippe- und Erkältungswelle - erfahrungsgemäß sei das nach der 36. Kalenderwoche der Fall - wieder rollen sollte, "muss der Ablauf in der Praxis weiterhin so organisiert werden, dass eine Ansteckungsgefahr so gering wie möglich gehalten wird", sagt Brock.
Der Aufbau der Sprechstunde müsse anders organisiert werden. Lange Warteschlangen vor der Praxis sollen vermieden werden, möglicherweise werden die Patienten per SMS darüber informiert, wann sie in die Praxis kommen können. Menschen mit akuten Infekten sollen von anderen Patienten getrennt werden. Die Grippe-Schutzimpfung wird möglicherweise an einem Samstag angeboten, stellt Hausarzt Brock einige Pläne für die Neuorganisation vor.
Digitale Sprechstunde ist in Mülheim noch nicht flächendeckend
Wie es wirklich kommen wird im Herbst, das weiß noch niemand, aber Brock hat schon jetzt beobachtet, dass bis zum Sommer 2020 Fälle von Erkältung und Influenza, der echten Grippe, in seiner Praxis, "deutlich unter dem Durchschnitt der letzten drei Jahre" liegen. Die Grippezahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) für NRW bestätigen den sinkenden Trend. Abstand und Hygieneregeln schützen offenbar nicht nur vor einer Corona-Infektion.
Mit einer digitalen Sprechstunde haben einige Mülheimer Ärzte bereits gute Erfahrungen gemacht, auch Uwe Brock hat dies sporadisch genutzt. Flächendeckend werde das in Mülheim aber noch nicht genutzt, schätzt Brock, der einen gezielten, begleiteten Videokontakt vor allem mit Patienten in Senioreneinrichtungen für sinnvoller als ein Telefonat hält.
Von Praxisschließungen oder Kurzarbeit während des Lockdowns sind weder Hausarzt Uwe Brock noch seinem Kollegen Dr. Peter Ramme, Sprecher des Mülheimer Ärzte-Netzwerks Doc-Net, nichts bekannt. Von einer Quarantäne seien vor längerer Zeit einmal kurzfristig zwei Mülheimer Praxen betroffen gewesen. Während Hausärzte ohnehin mehr Laufkundschaft hätten, so Dr. Ramme, hätten die niedergelassenen Fachärzte, die vor allem mit Terminen arbeiten, schon eher die Zurückhaltung der Patienten gemerkt.
Viele tragen eine Maske, aber keiner tut das gerne
"Wie die Zahlen letztendlich aussehen, wird sich erst Ende Oktober zeigen", sagt Hausarzt Ramme, denn dann seien die Daten aus April, Mai und Juni ausgewertet. Seiner Erfahrung nach sind die Patienten über die Hygienemaßnahmen inzwischen sehr gut informiert, wenn auch nicht alle immer konsequent handelten. "Viele Leute tragen die Maske diszipliniert, aber keiner tut es gerne."
In der Praxis sei, was die Schutzmaßnahmen anginge, Routine eingekehrt. Nachfragen von Risikopatienten nach einer Freistellung vom Job oder die Sorge, sich in Bus oder Bahn anzustecken, hätten abgenommen, hat Peter Ramme beobachtet: "Die Leute können heute besser einschätzen, wie sie sich am besten verhalten."
Hausarzt mahnt: Nicht zu sorglos werden, auch nicht auf Familienfeiern
"Mülheim steht, was die Infektionen mit Covid-19 angeht, immer noch relativ gut da", sagt Ramme, der allerdings davor warnt, allzu sorglos zu sein, etwa bei Familienfeiern. "Wer derzeit mit Erkältungssymptomen in die Praxis kommt, den schicke ich zum Corona-Test", so Dr. Ramme.
Wenn die Infektionszahlen steigen, müsse man sich auch noch mal mit dem Gesundheitsamt über das weitere Vorgehen verständigen, sagt der Hausarzt, der sich außer zu Covid-19 auch eine Reihenuntersuchung in Bezug auf die echte Grippe vorstellen kann. "Ich fände es interessant zu erfahren, wie hoch der Anteil der Influenza-Erkrankten in der kommenden Saison ist."
Denn so könne man den Sinn eines Lockdowns auch besser nachvollziehen, wenn man nämlich Zahlen zur Häufigkeit einer Grippeinfektion und dadurch verursachter Sterblichkeit im Vergleich zu Corona-Infektionen habe. Zudem stelle sich auch noch die Frage nach den Hygienemaßnahmen bei der echten Grippe: "Das ist ja bisher sehr lax gehandhabt worden."
STUDIE: ANSTECKUNGSGEFAHR IN PRAXEN IST GERING
Die Ansteckungsgefahr in Arzt-Praxen sei ziemlich gering, zitiert Hausarzt Uwe Brock aus einer laufenden Studie seiner Praxiskollegin Dr. Dorothea Dehnen für die Uni Essen.
Dabei wurde der Corona-Antikörperstatus von 1000 Medizinischen Fachangestellten und Ärzten in NRW-Praxen geprüft, berichtet Brock. Von den bisher ausgewerteten 800 Tests hatten weniger als zwei Prozent Antikörper.
Für Brock ist das ein Zeichen, dass die Sicherheitsmaßnahmen und Hygieneregeln in den Praxen greifen, so "dass sich Patienten kaum anstecken können."