Mülheim. Die Kirmes-Schausteller reparieren ihre Fahrgeschäfte oder sitzen zu Hause. Erinnerungen an Mülheimer Jahrmärkte, als Familien Stammgäste waren.
Eigentlich stünde die Familie Buchholz mit ihrem Kinderkarussell jetzt auf der Mölmschen Kirmes und mit ihrer historischen Raupe auf der Rheinkirmes in Düsseldorf. Aber in diesem Jahr zeigen die Zugmaschinen keine neuen Kilometer auf dem Tacho. Die Mülheimer Schausteller, Familien und ihre Mitarbeiter sind seit März zur Zwangspause verdonnert. Corona fesselt sie zu Hause. „Wir haben inzwischen unsere Fahrgeschäfte komplett repariert. Aber drehen sie sich nicht mit unseren Gästen, haben diese keinen Spaß und wir keine Einnahmen“, erklärt Peter Buchholz. Staatliche Unterstützung gebe es keine. Nur von den Reserven zehren zu müssen? „Das Ende ist absehbar“, sagt der Sprecher der Mülheimer Schausteller.
Buchholz, seine Tochter und sein Sohn leben normalerweise mit ihren Familien davon, Besuchern auf Rummelplätzen Abwechslung, Kurzweil und Vergnügen zu bieten. Dafür sind sie häufig auf Achse, bauen ihre Fahrgeschäfte auf und ab. „Bitte wieder zusteigen, gleich geht die Fahrt los“, so tönte in diesem Jahr noch nicht aus den Lautsprechern.
Die Saarner Kirmes war für heimische Schausteller ein Muss
An die Saarner Kirmes haben die Buchholzens seit Generationen gute Erinnerungen. „Das ist ein toller Platz im Grünen. Die Saarner und ihre Gäste waren stets nett, ganze Familien unsere Stammgäste. Sind die Leute begeistert, hast du als Schausteller auch Freude und drehst ein paar Runden mehr“, sagt Buchholz.
Er wuchs in der Nähe der Speldorfer Kirche auf. „Am ersten Juliwochenende standen wir immer in Saarn. Für Mülheimer Schausteller ein Muss. Im Herbst haben wir in Speldorf aufgebaut. Neben uns standen häufig neue Fahrgeschäfte, die dort für die folgende Saison im Test liefen. Das war spannend.“
Nur noch wenige Freiflächen für Buden und Karussells
Sein Vater habe zwischendurch auch auf kleineren Plätzen in der Stadt Kirmessen für die Nachbarschaft organisiert. „An der Aktienstraße, in Ober- und Unterdümpten, Heißen oder Styrum gab es für ein Wochenende oder eine ganze Woche Rummel.“ Aber diese Zeiten seien lange vorbei. Es gebe dafür kaum noch geeignete Freiflächen in der Stadt.
Das bestätigt Peter Stermann: Er ist seit 20 Jahren Platzmeister auf der Kirmes – früher in Diensten der Stadt, jetzt für die Mülheimer Marketinggesellschaft (MST): „Fast alle Freiflächen, wo Karussells und Buden stehen könnten, sind heute Feuerwehrzufahrten.“ Stermann hätte gern örtliche Schausteller wieder im Mügapark begrüßt und für die neue „Mölmsche Kirmes“ gebucht. „Aber in Coronazeiten läuft leider gar nichts.“
Sie wollen der Gemeinschaft nicht auf der Tasche liegen
Namensstreit beendet
Für Samstag, 11. Juli, war der Start der ersten „Mölmschen Kirmes“ angesetzt. Mit dieser Neubenennung des Rummels will die MST den Streit beenden, ob die Kirmes, die jetzt im Mügapark läuft, noch Saarner Kirmes heißen darf, obwohl sie nicht mehr in Dorfnähe abgehalten wird. Damit hat die Saarner Kirmes nur noch Erinnerungswert.
Es soll zum Eingemeindungsvertrag von 1904, als Saarn Ortsteil von Mülheim wurde, einen Anhang geben, in dem steht: Die Stadt Mülheim an der Ruhr sagt den Saarnern die Fortführung der Saarner Kirmes in eigener Regie für alle Zeiten zu.
Auch die Saarner Kirmes litt in ihren letzten Jahren unter Besucherschwund. Die Kosten für Schausteller sind gestiegen, aber das Geld für einen Kirmesbesuch sitzt nicht mehr so locker.
Helmut Langenberg hat für sein Süßwarengeschäft einen Platz am kommenden Wochenende bekommen. „Das bringt mir zwar keine Einnahmen, aber wir müssen ja mal raus. Als Schausteller will man unterwegs sein und auf der Kirmes stehen. Das geht leider jetzt nicht, weil der Staat uns die Chance nimmt, für die Menschen da zu sein und Einnahmen zu machen. Wir wollen der Gemeinschaft nicht auf der Tasche liegen“, stimmen Langenberg und Buchholz überein. Das Warten zu Hause ist für die Schausteller die schlechteste Lösung.
Süßwarenverkäufer Langenberg erinnert sich gern an die Saarner und die Speldorfer Kirmes. „Zuerst standen wir auf der Straßburger Allee im Dorf, später auf dem aufgeschütteten Kirmesplatz an der Ruhraue. Wir hatten ein tolles Verhältnis zu Hundezüchtern und Sportlern nebenan.“
Selbst das Dicke-Bohnen-Essen musste ausfallen
Das Dicke-Bohnen-Essen am Freitagabend vor der Kirmes kennt Langenberg auch noch. „Diese Einladungen waren eine schöne Geste. Selbst diese Traditionspflege musste dieses Jahr ausfallen. Die Mitglieder des Stammtisches Aul Ssaan haben im Dorf keinen Saal gefunden, in dem sie mit ausreichend Abstand ihren Gästen Dicke Bohnen mit Pellkartoffeln hätten auftischen können.“
Dass die Saarner Kirmes schon vor mehr als 170 Jahren abgehalten wurde, dokumentieren Anzeigen der Familie von der Bey. Sie betrieb eine Bäckerei und Gaststätte nahe des Klostermarktes. Zur Saarner Kirmes am Sonntag, 3., und Montag, 4. Juli 1893 „findet in meinem festlich geschmückten, wasserdichten Zelte ein Ball statt“. Dieses Dokument schickten Silvia und Volker von der Bey.
Dokumente belegen: „Saansche Kirmes“ war schon 1849 und früher
Werner Rausch vom Saarner Geschichtsgesprächskreis hat ein 43 Jahre älteres Dokument, eine Zeitungsanzeige von 1849. Wahrscheinlich gibt es ältere Papiere, die belegen, dass die „Ssaansche Kirmes“ eine lange Tradition vorweisen kann. „Nach mündlicher Überlieferung hat eine Saarner Äbtissin 1239 vor dem Kloster das Kirchweihfest (Kirmes) verordnet“, ergänzt Rausch.
„In seiner Eröffnungsrede zur (vorerst) letzten Kirmes in Saarn (2015) auf dem Platz an der Mintarder Straße habe sich Schaustellerpräsident Albert Ritter getraut zu vermuten, „die Kirmes ist so alt wie das Kloster Saarn.“ Das würde bedeuten, die Kirmes wäre im gleichen Jahr wie das Kloster entstanden und hätte 2014 ihren 800. Geburtstag gefeiert. „Dies ist leider nicht zu belegen“, fügt Werner Rausch hinzu.