Mülheim. In einer Expertenrunde diskutierte SPD-OB-Kandidatin Monika Griefahn die Chancen der Wirtschaft in der Corona-Krise. Manches davon war visionär.
Mülheims Gewerbe ist erschöpft – coronabedingt, die Finanzlage der Stadt ist verheerend, die Politik derzeit uneins über einen Masterplan. Ist Corona auch eine Chance für die Wirtschaft? SPD-OB-Kandidatin Monika Griefahn suchte am Dienstagabend mögliche Antworten in einer Expertenrunde. Die allerdings schwankte zwischen visionär und altbekannt.
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Das gilt sicher nicht für den Wissenschaftler Michael Braungart, Professor für Öko-Design und Öko-Effektivität – und Ehemann der OB-Kandidatin. Braungart gilt als Vordenker des „Cradle to cradle“-Gedankens, also der Idee einer Kreislaufwirtschaft, die zum Beispiel die Materialien ihrer Produkte konsequent zurückgewinnt.
„Öko-Kommunist“ und Griefahn-Ehemann plädiert für Ressourcenschonung
Wem war vorher klar, dass 4160 Chemikalien in einem Fernseher verbaut werden? Zumindest dem Lüneburger Professor, der das Gerät bei einem Wettbewerb auseinandergenommen hatte und dies kritisierte. Das brachte ihm den Ruf als „Öko-Kommunist“ ein – und einen Ausschluss vom Wettbewerb, erzählt Braungart anekdotisch.
Statt etwa Maschinen zu verkaufen, sollten Produzenten die Dienstleistung der Maschinen verkaufen, rät der Chemiker, der die Nachhaltigkeit auf 100 Prozent hochdrehen will. Damit würden Geräte nicht nur haltbarer, sondern das Recycling würde sich für den Hersteller lohnen. Doch der Professor hat an diesem Abend noch andere Ideen. Wie wäre es mit „Mülheim – die grüne Stadt der luftreinigenden Gebäude“, der feinstaubabsorbierenden Wandinnenfarben, der feinstaubfreien Bremsbeläge?
Ex-Chef von Evonik: Ziele der Stadtentwicklung am Runden Tisch entwickeln
Ob diese und andere Innovationen als lokaler Wirtschaftsmotor taugen? Wo sonst, wenn nicht lokal, glaubt Braungart. Auch Griefahn sieht die Voraussetzungen, dass Mülheim attraktiv für Ansiedlungen solcher Firmen sein kann, gegeben, wenn man etwa auf die renommierten Einrichtungen des Max-Planck-Instituts und die Hochschule Ruhr-West schaut.
Skeptischer hingegen skizziert Klaus Engel, ehemals Vorstandsvorsitzender der Evonik Industries, Verbandspräsident der Chemischen Industrie und Mülheimer, die Lage der Stadt. Es gäbe derzeit zu viele „Partikularinteressen“. Er plädiert dafür, die „Eliten“ aus Wirtschaft, Kirchen, Verbänden, Bürgern an einen Tisch zu holen, also Mitsprache zu ermöglichen, ähnlich wie ein Stake-Holder-Prozess in Unternehmen. Ziele und Wege sollen zur Diskussion gestellt werden. „Man muss damit beginnen, dann wächst auch das Vertrauen.“
Bürgerinitiative fragt kritisch: Wie groß ist der Flächenbedarf nach Corona?
Griefahn will auch diese Idee verfolgen. Doch was bedeutet dies für das Gewerbe und die Grünflächen? In der Diskussion mit dem digital zugeschalteten Publikum fragt etwa eine Sprecherin der Initiative Fulerumer Feld, ob der Flächenbedarf für das Gewerbe nach Corona gestiegen oder gefallen ist? Die Antworten der Experten dürften der Initiative zu vage sein: Gewerbe müsse maßvoll angesiedelt, Leerstände besetzt werden.
Welche Chancen bietet die Corona-Krise für Mülheim? Für Griefahn und Engels ist die Übernahme der kommunalen Altschulden zentral, auch müsse gute Arbeit gesichert, müssten Ressourcen effizienter genutzt werden, sei eine Stadtentwicklungsgesellschaft zu gründen. Altbekannte Forderungen. „Worauf gründet sich ihr Optimismus?“, fragt ein Zuschauer angesichts der Mülheimer Lage. Braungart springt ein mit einer Anekdote: Eine Stadt, die mit Helge Schneider die beste Jazzband der Welt habe, habe genügend Sinn für Humor, um optimistisch in die Zukunft zu schauen.