Mülheim. Die Mülheimer Friedrich Wilhelms-Hütte ist in wirtschaftlicher Not und greift nach dem Schutzschirm. Es geht um die Zukunft von 440 Mitarbeitern.
Die Krise dauert schon lange an, die Corona-Auswirkungen haben das Fass zum Überlaufen gebracht: Die traditionsreiche Friedrich Wilhelms-Hütte Eisenguss GmbH hat beim Amtsgericht einen Antrag auf die Eröffnung eines Schutzschirmverfahrens gestellt.
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Das Gericht hat den Hersteller von Eisen- und Stahlgussprodukten zur vorläufigen Eigenverwaltung ermächtigt. So bleibt die Geschäftsführung in der Eisenguss-Gesellschaft. Die mit ihr verbundene Friedrich Wilhelms-Hütte GmbH, die ausschließlich für Verwaltungsaufgaben inklusive Einkauf und Vertrieb zuständig ist, geht ebenfalls diesen Weg. Am Montag waren die 440 Mitarbeiter informiert worden. Der Betrieb soll während des Verfahrens unvermindert weiterlaufen.
Massiver Auftragsrückgang und Umsatzverluste
„Die Corona-Krise hat bei uns zu massiven Auftragsrückgängen und Umsatzverlusten geführt. Wir haben uns daher entschieden, die Friedrich Wilhelms-Hütte im Rahmen des Schutzschirmverfahrens zu restrukturieren und für die Zukunft neu aufzustellen“, sagte am Dienstagmorgen Geschäftsführer Mark Vierbaum. Im Gespräch mit dieser Redaktion bestätigte Vierbaum aber auch, dass die Hütte schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie Probleme hatte.
Schon seit Februar 2019 hat der Eisenguss immer wieder in unterschiedlichem Maße mit Unterbeschäftigung zu kämpfen. Im Jahresmittel lag die Unterauslastung bei 30 bis 40 Prozent, in Spitzen lag sogar die halbe Betriebskapazität brach. Im Herbst hatte auch der Stahlguss Probleme bekommen. Die Unterbeschäftigung dort lag bei zehn bis 15 Prozent. „Seit Mai ist der Stahlguss wieder normal beschäftigt“, kann Vierbaum zumindest hier Erholung feststellen.
Eisenguss rechnet mit fortlaufenden Auslastungsproblemen
Die massiven Probleme im Eisenguss haben das Unternehmen nun aber den Schritt zum Amtsgericht gehen lassen. Die Corona-Krise habe die Auftragslage noch einmal geschwächt. Der internationale Vertrieb von Bauteilen für den Maschinen- und Anlagenbau, insbesondere auch für Großdiesel- und Gasmotoren leide auch unter dem Handelskonflikt zwischen China und den USA, so Vierbaum. Investoren übten sich aktuell in Zurückhaltung. Der Eisenguss ist aktuell zur Hälfte nicht ausgelastet. Das Werk rechnet fortlaufend mit einer Lücke von 30 bis 40 Prozent.
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Das Schutzschirmverfahren jetzt soll der Gesellschaft Zeit geben, ein Zukunftskonzept zu entwickeln. Befreit wird die Hütte für drei Monate von Lohn- und Gehaltszahlungen. Die Agentur für Arbeit zahlt den 440 Mitarbeitern in dieser Zeit Insolvenzgeld. Etwaige Lohnlücken will die Hütte selbst noch füllen, wie Rechtsanwalt Dirk Andres am Dienstag gegenüber dieser Zeitung erklärte. Der Experte der Kanzlei Andres Partner ist ab sofort für die Hütten-Gesellschaften als Generalbevollmächtigter im Einsatz. Andres habe mit seinem „Team ausgewählter Experten“ in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Unternehmen bei ihren Sanierungsprozessen erfolgreich begleitet, hieß es.
Stellenabbau wird es geben, Umfang ist noch unklar
„Wir haben bereits erste Vorkonzepte für die Sanierung erarbeitet und wollen diese nun in den nächsten Wochen und Monaten gemeinsam mit allen wesentlichen Beteiligten im Detail ausarbeiten und umsetzen“, hieß es seitens der Unternehmensleitung. Konkreter werden will sie momentan noch nicht.
Man sei dabei, verschiedene Konzepte durchzurechnen, so Andres. Zeitnah wolle man hierfür auch mit seinen wesentlichen Kunden Gespräche suchen. Es wird darum gehen, sich der Treue zu vergewissern und Potenziale abzuklopfen. Stellenabbau werde es wegen der fortwährenden Unterauslastung geben müssen, so Andres. Zum Umfang könne man aber noch nichts sagen.
Sich seit Jahren in Mülheimer Wirtschaftskreisen haltenden Gerüchten, das Ende der Hütte insgesamt sei wohl nicht allzu fern, stellt sich Geschäftsführer Vierbaum entschieden entgegen. Ziel sei es, den langfristigen Fortbestand der Hütte sicherzustellen. „Das ist unsere klare Erwartung“, so Vierbaum.
Er sei sicher, dass die Hütte im Jahr 2061 auch noch ihren 250. Geburtstag feiern werde. „Wir stellen wertige Produkte her, die wir nachhaltig für wichtig für die Wirtschaft erachten. Produkte, die sich nicht einfach verlagern lassen.“ Man setze dabei auch auf sein Know-how und seine Alleinstellung bei manchen Produkten, auch gebe es eigene Forschungsanstrengungen, um technischen Vorsprung im Wettbewerb zu halten.
Womöglich im Juli erste Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite
Die Restrukturierung und Sanierung des Unternehmens wird begleitet durch den gerichtlich bestellten vorläufigen Sachwalter, den sanierungserfahrenen Rechtsanwalt Jan Roth von der Kanzlei Wellensiek. Seine Aufgabe ist es, das Unternehmen im gesamten Schutzschirmverfahren zu überwachen und die Interessen aller Gläubiger zu wahren.
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Erste Gespräche gab es auch bereits mit der IG Metall. Gewerkschaftssekretär Dirk Horstkamp bestätigte die Zusage des Arbeitgebers, Verhandlungen zum Sanierungs- und Zukunftskonzept eng und zeitnah aufnehmen zu wollen, wenn mögliche Szenarien durchgerechnet sind. Generalbevollmächtigter Andres rechnet damit, dass es womöglich im Juli so weit ist.
IG Metall: Hütte hat mit ihren 200 Jahren auf dem Buckel noch Potenziale
Horstkamp hofft, durch eine frühe Einbindung von Betriebsrat und Gewerkschaft die Zukunft aktiv mitgestalten zu können. Insgesamt sei es es zu begrüßen, dass das Unternehmen sich frühzeitig unter den Schutzschirm begeben habe. Das Ziel der IG Metall sei klar: Man wolle sowohl Stahl- als auch Eisenguss in Mülheim halten, dazu so viele Arbeitsplätze wie möglich. Er sei überzeugt, dass „die Hütte mit ihren 200 Jahren auf dem Buckel noch Potenziale hat“. Die Belegschaft habe ihre Flexibilität und ihr Know-how in der Vergangenheit schon unter Beweis gestellt. „Nur der Markt muss uns fordern, es zeigen zu können.“
Die Friedrich Wilhelms-Hütte: Tradition seit 1811
In der Eisengießerei der Friedrich Wilhelms-Hütte (FWH) werden seit dem Jahr 1811 gegossene Bauteile für verschiedenste Abnehmerbereiche hergestellt. Als traditionsreicher Hersteller von Gussprodukten ist FWH spezialisiert auf hochtechnologische Gusseisen- und Stahlgussstücke verschiedenster Legierungen.
Im Bereich Stahlguss erstreckt sich der Produktbereich insbesondere auf Fahrwerksteile und Bauteile für den ballistischen Schutz, Gussteile für Schienenfahrzeugkupplungen, den allgemeinen Maschinenbau, Bremsscheiben und Verschleißguss wie Hämmer für Schredder-Anlagen. Die Kunden sind in den Branchen Wehrtechnik, Schienenfahrzeugtechnik, Bergbautechnik sowie im Maschinen- und Anlagenbau tätig.
Der Bereich Eisenguss deckt schwerpunktmäßig die Produktbereiche Platten für Kunststoffspritzgießmaschinen, Zylinderblöcke für Großmotoren, Kokillen für die Stahl- und Schmiedeindustrie, Gehäuse für Gas- und Dampfturbinen und Mahlschüsseln für die Zement- und Mineralienindustrie ab. Das Kundenportfolio besteht aus deutschen und internationalen Unternehmen, die ihre Endprodukte in unterschiedlichen Endmärkten vertreiben. Bei der Friedrich Wilhelms-Hütte Eisenguss GmbH arbeiten 394 Mitarbeiter. Der 2019 erwirtschaftete Umsatz lag bei 64,5 Millionen Euro.
In der Friedrich Wilhelms-Hütte GmbH werden alle erforderlichen Verwaltungsaufgaben inklusive Einkauf und Vertrieb gebündelt. Dort sind 46 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Beide Gesellschaften sind Teil der GMH Guss Gruppe, deren Zwischenholding GMH Guss GmbH sich seit dem 27. April ebenfalls in einem Schutzschirmverfahren befindet. Die Muttergesellschaft Georgsmarienhütte Holding GmbH unterstützt das Schutzschirmverfahren.
Zehn Jahre lang hat die Hütten-Belegschaft laut Horstkamp nun schon auf Bestandteile des Manteltarifs verzichtet. Für Horstkamp ist klar – und das habe die Geschäftsführung im Gespräch ebenfalls signalisiert: „Auf einem dauerhaften Verzicht der Belegschaft kann man kein Zukunftsmodell aufbauen.“ Der eigentlich bis 2023 laufende Haustarifvertrag, mit dem die Mitarbeiter Verzicht geübt haben, ist mit dem Start des Schutzschirmverfahrens ohnehin obsolet.
Wirtschaftsförderer hofft auf Zukunft für Mülheimer Standort
Mülheims Wirtschaftsförderer Hendrik Dönnebrink drückte am Dienstag seine Hoffnung aus, dass ein tragfähiges Zukunftskonzept entwickelt wird. Er machte aber auch deutlich, dass die Stadt keine Möglichkeiten habe, in dieser Sache entscheidend Hilfe zu leisten. Die Hoffnung basiere auf den nun eingesetzten „Profis“ zur Sanierung.