Mülheim. SPD-OB-Kandidatin Monika Griefahn holte Verbände an den Runden Tisch. Warum soziale Arbeit hohe Bedeutung hat, aber um ihre Existenz bangen muss.

Sie betreuen alte Menschen, finanzschwache Familien, Kinder, Menschen mit Behinderungen, mit psychischen Erkrankungen, Vereinsamte – nicht nur in der schweren Corona-Krise. Und auch immer häufiger: Mülheimer aus der vermeintlichen sozialen Mitte.

Denn in Mülheim geht die Schere zwischen Arm und Reich auch ohne Pandemie immer weiter auf, zieht Monika Griefahn, SPD-Kandidatin für das Amt der Oberbürgermeisterin, am Runden Tisch mit den Sozialverbänden Bilanz: „Für mich ist soziale Arbeit systemrelevant.“

Forderung: Soziale Arbeit aus dem Dornröschenschlaf holen

Um die Bedeutung der sozialen Arbeit in Mülheim geht es am Mittwochnachmittag in – coronabedingt – großer Runde mit Regine Arntz (Caritas), Elke Domann-Jurkewicz (Awo) und Ulrich Schreyer (Diakoniewerk). Und die hat nicht nur Sorgen und diplomatische Forderungen im Gepäck, sondern klare Kritik an der Politik und auch den Wohlfahrtsverbänden selbst, die Schreyer formuliert: „Die soziale Arbeit hat in den vergangenen Jahren einen Dornröschenschlaf gehalten. Es gab früher keine soziale Arbeit, ohne dass man man auch politisch für die Sache aktiv war.“


Sie müsse deshalb aus ihrem Schneckenhaus heraus, fordert der Geschäftsführer des Diakoniewerks Arbeit und Kultur. Und die Mittwochsrunde mit der OB-Aspirantin hatte zumindest stellenweise das Zeug für einen solchen Auftakt. „Stellenweise“, weil die Verbände durch hohen Arbeitsdruck unter Hygienebedingungen selbst in finanzielle Notlage geraten und als „Bittsteller“ gegenüber Kommune und Landesverbänden nur bedingt stark auftreten können.

Und doch zerrt an ihnen eine schwere gesellschaftliche Verantwortung in Corona-Zeiten. Ein Dilemma. Denn etwa an die Tafeln kommen immer häufiger „Menschen, die man hier nicht vermuten würde“, stellt die Awo-Vorsitzende Elke Domann-Jurkewicz fest. Die zwar durch die Krise in Not geraten sind, aber auch schon vorher am unteren Ende der Löhne gearbeitet haben. Domann-Jurkewicz spricht von „Speisungen wie vor 100 Jahren, als wir mit der Awo begonnen haben“. Möglich machte dies nur eine Spende der Aktion Mensch – nicht der Staat.

Kritik an wachsender Kinderarmut in Mülheim

Auch die in Mülheim wachsende Kinderarmut kritisieren die Sozialverbände. Müssen sie und die Kirchen seit langem kompensieren, was Politik und Gesellschaft verschlafen haben? Für Schreyer ist es ein Skandal, dass so viele Menschen von der Tafel und Sozialarbeit abhängig sind. Es sei ja nicht die originäre Aufgabe etwa von Kirchen, „sondern wir leisten soziale Arbeit, weil wir die Notwendigkeit sehen“.


Was also brauchen die Sozialverbände, die übrigens auch die Landesregierung auf die Liste der systemrelevanten Berufe gesetzt hat? Manches erscheint profan: eine technische Ausstattung für digitale Konferenzen, um etwa Arbeit koordinieren zu können. Ausstattung für Telefondienste gegen Vereinsamung etwa von Kranken und Senioren, Ausstattung für den Schutz bei Beratungen. Vor allem Planungssicherheit fordert Arntz vom Caritas-Vorstand, denn bis heute ist vielen Einrichtungen unklar, ob der Zusatzaufwand an ihnen hängen bleibt. „Es bröckelt. Die Gelder dafür haben wir nicht“, unterstreicht die Awo-Vorsitzende Domann-Jurkewicz.

OB-Kandidatin kann keinen Geldsegen versprechen

Werden wir solidarischer sein, wenn alles wieder ,normaler’ geworden ist?“, blickt Schreyer auch in die Zukunft mit mehr Arbeitslosigkeit – und damit mehr Bedürftigkeit. Die Notwendigkeit von Caritas, Diakonie und Awo wird deshalb wohl steigen, aber wird es die jetzt unter Druck stehende, systemrelevante soziale Arbeit dann noch geben?

Einen „Geldsegen“ will auch die OB-Kandidatin nicht versprechen – zumindest, wenn die Altschulden der Kommunen den Haushalt belasten wie bisher. Griefahn sichert aber zu, mit den Verbänden eine Debatte auf Augenhöhe führen zu wollen. Auch dann, wenn die Krise überstanden sein wird.