Mülheim. Der Mülheimer Zeitzeuge Volker Sperlich erinnert sich an den Einmarsch der Amerikaner. Kurz vor Kriegsende gab es noch einen Fliegerangriff.

Volker Sperlich hat als Kind das Kriegsende miterlebt. Mit gemischten Gefühlen blickt er zurück auf diese Zeit. „Der Bunker war nicht nur Fluchtort, er war zentraler Treffpunkt der Nachbarschaft“, erinnert sich Volker Sperlich, der das Kriegsende in Mülheim als Siebenjähriger miterlebte. „Dort wurden Nachrichten ausgetauscht und Gegenstände über Tausch erworben, die es sonst nicht mehr zu kaufen gab.“

Sperlich wohnte mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder in einem Haus am Lohbecker Berg im Witthausbusch. Noch heute lebt er mit seiner Frau, Tochter und Schwiegersohn in dem Zweifamilienhaus, das den Krieg beinahe unbeschadet überstanden hat. Im März 1945 – Mülheim und die anderen Ruhrgebietsstädte lagen schon in Schutt und Asche – gab es noch einen speziellen Fliegerangriff auf den Witthausbusch und damit auch auf den Lohbecker Berg.

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Angriff auf Mülheim im März 1945 kam ohne Vorwarnung

Dort hatte sich eine der letzten im Ruhrgebiet eingekesselten Wehrmachtseinheiten einquartiert, Fahrzeuge mit Treibstofftanks waren unter den Bäumen im Witthausbusch versteckt. In der Wohnung, die Sperlich heute noch mit seiner Frau bewohnt, residierte der kommandierende Major. „Ich erinnere mich noch gut an die Melder, die mit ihrem Motorrad über die Wiese nebenan bis ans Haus heranfuhren und nach dem Rapport schnell wieder weg waren“, so der 83-jährige Bauingenieur. „Für uns Kinder war das spannend.“

Der Angriff im März 1945 kam ohne Vorwarnung nur kurz nach dem Vollalarm. Die Familie erreichte gerade noch mit Mühe den Bunker, als es losging. „Wie lange es dauerte, weiß ich nicht mehr, aber wir dachten, da oben steht jetzt kein Stein mehr über dem anderen“, erinnert sich Sperlich. Die Stoßwellen seien so heftig gewesen, dass der Fels bebte und sich einige Felsbrocken lösten und auf die Holzabdeckung fielen.

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Nicht nur schlechte Erinnerungen an die Zeit

Es seien aber nicht alles schlechte Erinnerungen, die er an diese Zeit habe. Im Bunker habe es eine Gemeinschaft gegeben, in der man sich gegenseitig half. Auch erinnert sich der Mülheimer an eine gemeinsame Weihnachtsfeier im Bunker, bei der er ein Gedicht über ein Mikrofon aufsagen durfte. Der 11. April 1945, das Kriegsende für Mülheim, war ein sonniger, warmer Tag. Seit Tagen hatte es keine Fliegerangriffe mehr gegeben, auch Artilleriebeschuss habe man keinen mehr vernommen.

Volker Sperlich und sein älterer Bruder.
Volker Sperlich und sein älterer Bruder. © Sperlich

„Meine Eltern hatten im Bunker gehört, dass der Feind von Osten kommen würde und Mülheim bereits erreicht hatte“, erzählt Sperlich. Beim Frühstück auf dem Balkon, von dem man einen guten Blick ins Ruhrtal hatte, hörte die Familie plötzlich wieder Detonationen. „Bald sahen wir die Einschläge auf der Mintarder Straße, zwischen der heutigen B1 und Dicken am Damm“, erinnert sich der 83-Jährige. „Ein Auto, das dort unterwegs war, wurde von Panzern beschossen, die wir jetzt auf der Wöllenbeck entdecken konnten.“

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Besatzungsmächte quartierten sich in heilgebliebenen Häusern ein

Weiterer Panzerbeschuss galt zwei Hausbooten, die vor Dicken am Damm geankert hatten. „Nach einigen weiteren Einschlägen im Bereich Dicken am Damm sahen wir plötzlich eine Gruppe von etwa fünf Männern hinter den Bäumen in Richtung heutiger B1 hervorkommen. Sie trugen eine große weiße Fahne und marschierten unbehelligt bis zum gesprengten Brückenbogen am Altarm der Ruhr. Von unserer Seite kamen ihnen auch etwa fünf Amerikaner entgegen.“

Danach, so erinnert sich Volker Sperlich, quartierten sich die Besatzungsmächte in den Häusern ein, die von den Bomben verschont worden waren und aus Sicherheitsgründen möglichst nah beieinander liegen sollten. Diese Voraussetzungen seien in der Jahnstraße mit dem Vereinshaus und in der Röschstraße auf dem Kahlenberg erfüllt gewesen.

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Wohnungen mussten innerhalb weniger Stunden geräumt werden

Innerhalb weniger Stunden, erinnert sich der damals Siebenjährige, hätten die Bewohner ihre Wohnungen räumen müssen und nur wenige, lebensnotwendige Dinge mitnehmen dürfen. Die beiden Straßen wurden mit Stacheldraht abgesichert und die Zugänge bewacht. Auch eine Freundin der Mutter musste ihre Wohnung mit ihrem 16-jährigen Sohn Max verlassen.

Sie kamen bei Familie Sperlich in der Mansarde unter. „Max verdingte sich bei den Amerikanern als Küchenjunge und brachte regelmäßig übrig gebliebene Speisen in einer Milchkanne am Lenker seines Fahrrades mit“, erinnert sich Zeitzeuge Sperlich. „Für uns war das, neben einem Sack mit 100 Kilo Roggenmehl und einem Sack Zucker – beides Reste aus dem Proviant der deutschen Soldaten – eine wertvolle Nahrungsquelle.“